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Titel1012

Zivilcourage (nicht) gefragt  (Hartwig Hohnsbein)

Die Stadt Göttingen ist stolz auf ihre Universität, und die Universität ist stolz auf ihre Tradition.

Am Anfang stand der Gedanke, eine »Reformuniversität« zu gründen, die der Aufklärung verpflichtet sein sollte. Deshalb wurde der Vorrang der Theologie vor den anderen Fakultäten abgeschafft und Zensurfreiheit eingeführt. Als weitere leuchtende Beispiele in ihrer Geschichte nennt die Universität das Aufbegehren der »Göttinger Sieben« gegen die willkürliche Aufhebung der Verfassung durch den hannoverschen König im Jahre 1837, was zu ihrer Amtsenthebung führte; die »Göttinger Erklärung« führender deutscher Atomphysiker von 1957 gegen die von Konrad Adenauer und Franz Josef Strauß geplante Aufrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen; außerdem die über 40 Nobelpreisträger, die mit Göttingen verbunden waren, von denen ein Teil, die jüdischen, 1933 vertrieben wurde. Unter den zurückbleibenden Professoren fanden sich damals keine sieben, die Bekennermut gezeigt hätten, wie es ihr Namen von ihnen verlangte, etwa für ihre verfolgten Kollegen einzutreten. Dafür wurde die Universität dann im Juni 1937 anläßlich ihres 200jährigen Jubiläums mit dem Besuch des NS-Reichserziehungsministers Bernhard Rust gebührend geehrt. »Im Lehrkörper der Universität«, so fand der Wissenschaftshistoriker Hans Joachim Dahms heraus, »gab es damals überhaupt nur einen einzigen regelrechten Widerstandskämpfer, den Psychologiedozenten Heinrich Düker, der dem ›Internationalen Sozialistischen Kampfbund‹ angehörte.«

Aus jüngster Zeit wird stolz vermerkt, daß die Universität Göttingen 2009 den Aufstieg in die Liga der neun »Exzellenz-Universitäten« in Deutschland schaffte, den sie nun, wieder in der üblichen Fußballsprache ausgedrückt, »verteidigen muß«. Das soll in diesem Jahr geschehen, in dem die Stadt Göttingen im Stolz vereint mit der Universität das 275. Universitätsjubiläum feiern wird.

Im Vorlauf dazu, vor genau einem Jahr, übernahmen die Stadt und ihre Universität in einer Feierstunde auf dem Campus ein Denkmal zu Ehren der »Göttingen Sieben«, das ihnen der Literatur-Nobelpreisträger Günter Grass und sein Verleger Gerhard Steidl aus Göttingen schenkten. Bei der Enthüllung des Denkmals – es besteht aus einem Buchstaben und einer Ziffer: G7 – beschwor die derzeitige Universitätspräsidentin die Aufgabe der Universität, nämlich »den Studenten kritisches und unabhängiges Denken mitzugeben« – nach dem Vorbild der »Göttinger Sieben«: »Mit ihrer Würdigung wird an Engagement für Bürgerrechte und Zivilcourage appelliert und zugleich die Universität in ihrem 275. Jubiläumsjahr geehrt.« Schöne Worte in den rauhen Aprilwind gesprochen.

Zu Ostern dieses Jahres wehte wieder ein solcher Wind. Da stand das Denkmal abermals für kurze Zeit im Mittelpunkt örtlicher Presseberichte. Unbekannte hatten es beschmiert und den Dichter Grass wegen seines Gedichtes »Was gesagt werden muß« übel verunglimpft – mehr noch: damit auch die »Göttinger Sieben« und ihr »couragiertes Engagement für Bürgerrechte« geschmäht.

Man hätte nun erwarten können, daß die Schändung ihres Eigentums und die Verächtlichmachung der Bürgerrechte die Stadt und die Universitätsleitung unverzüglich auf den Plan riefen, doch sie fanden keine Worte. Es sei, so teilte die Pressestelle der Universität auf Anfrage mit, auch nicht geplant, eine Erklärung zu dem Vorfall abzugeben ...

Der 15. Juni wird ein großer Tag in der deutschen Hochschullandschaft sein. An diesem Tag wird im Rahmen der »Exzellenz-Initiative« wieder entschieden, welche Hochschule für die nächsten Jahre den Titel »Elite-Universität« tragen darf und damit in den Genuß kommt, aus dem 2,7 Milliarden Euro umfassenden Förderfonds ihren Anteil zu erhalten. An allen Hochschulen wird mit Hochdruck daran gearbeitet, den Titel zu gewinnen. Als besonders verdienstvolle Leistung dafür gilt, erfolgreich Anträge für »Drittmittel« zu schreiben, also wissenschaftsfremde Arbeiten zu erledigen. Die Präsidentin der Göttinger Universität kennt schon jetzt für ihre Hochschule das Ergebnis: »Die Sektkorken knallen am 15. Juni.«

Würde in dem Wettbewerb auch nach »Erziehung zur Demokratie und zur Zivilcourage« gefragt, dann könnte die Präsidentin wohl nicht so sicher sein.