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Titel1109

Vor sechzig Jahren: die Spaltung  (Manfred Oertel)

»Wir sind Sechzig« ist das Motto, unter dem in diesem Jahr immerzu gefeiert werden soll. Aber wer ist mit »wir« gemeint?

»60 Jahre Deutschland« lautet die silberne Gedenkprägung der offiziellen Münzprägestätte Berlin. Wurde Deutschland etwa erst 1949 gegründet? Nicht doch schon etwas früher? Gegründet wurden damals zwei deutsche Staaten: die BRD im Westen und später die DDR im Osten. Deutschland wurde also von Westen her gespalten. Das lassen die Festredner 2009 gewöhnlich unerwähnt. Aber man braucht nur in Zeitungen von damals – am besten wie immer in oppositionellen, in diesem Fall also in ostdeutschen – nachzuschlagen, um herauszufinden, was wirklich geschah.

Zur Vorgeschichte gehört, daß am 1. September 1948 auf Befehl der westlichen Militärgouverneure ein »Parlamentarischer Rat« zur Ausarbeitung einer Verfassung für Westdeutschland gebildet wurde. Dazu hatten die USA, Großbritannien, Frankreich, Belgien, die Niederlande und Luxemburg im Frühjahr 1948 in London »Empfehlungen« beschlossen. Auch die separate Währungsreform in den westlichen Besatzungszonen im Juni 1948 gehörte dazu. Noch bevor der »Rat der Außenminister« in Paris zu seiner von der Sowjetunion vorgeschlagenen Konferenz zusammentrat, wollten sich die Westmächte von den früheren Abmachungen über ein einheitliches Deutschland verabschieden.

Das Grundgesetz wurde – anders als später die DDR-Verfassung – nicht per Volksabstimmung beschlossen. Als Grund nannte Konrad Adenauer (CDU), der Präsident des Parlamentarischen Rates, man habe »keine Zeit verlieren wollen«. Einen anderen Grund führte der Hamburger Bürgermeister Max Brauer (SPD) an: Eine Abstimmung sei aufgrund technischer Schwierigkeiten nicht möglich. Einen dritten Grund hatte der bayerische Ministerpräsident Hans Ehard (CSU) parat: Sein Wunsch sei es gewesen, die Bonner Verfassung einer Volksabstimmung zu unterwerfen, diese Möglichkeit sei aber leider »durch die Haltung der Westmächte« ausgeschlossen worden.

Nicht das Volk, aber immerhin die damaligen Landtage der westdeutschen Länder sollten über die als provisorisch verstandene Verfassung abstimmen. Das bedeutete aber nicht, daß gründliche parlamentarische Debatten hätten geführt werden können. Im südwürttembergischen Landtag hielt Parlamentspräsident Gengler (CDU) es für unnötig, der Abstimmung eine Beratung vorangehen zu lassen. Der Protest der KPD-Fraktion dagegen blieb ohne Erfolg.

Vor und während der Sitzung in Düsseldorf, in der der nordrhein-westfälische Landtag zum Grundgesetz Stellung nehmen sollte, demonstrierten in den umgebenden Straßen viele Tausende gegen die »westdeutsche Separatverfassung« und forderten ein einheitliches Deutschland. Aus gegenteiligen Gründen lehnte der bayerische Landtag mit 101 gegen 64 Stimmen der SPD und der FDP das Grundgesetz ab: weil es der Eigenstaatlichkeit Bayerns nicht genügend Rechnung trage.

Am 23. Mai 1949 unterschrieben 88 Mitglieder des Parlamentarischen Rats, Ministerpräsidenten und Landtagspräsidenten das Grundgesetz. Die beiden kommunistischen Abgeordneten verweigerten die Unterschrift. Als der Abgeordnete Heinz Renner aufgerufen wurde, sagte er: »Ich unterschreibe nicht die Spaltung Deutschlands.«

Solche Einzelheiten, die dem offiziellen Geschichtsbild widersprechen, sollten im Festjubel nicht ganz vergessen werden.