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Oper an der Karajanstraße  (Sigurd Schulze)

Die Berliner Philharmoniker haben ihre letzten Osterfestspiele in Salzburg absolviert (s. Ossietzky 15 und 16/11), die nächsten wollen sie 2013 im Festspielhaus Baden-Baden ausrichten. Dessen Intendant Andreas Mölich-Zebhauser ist überzeugt, daß die Berliner den Festspielen neue Glanzlichter aufsetzen werden. Mit der »Zauberflöte« von Wolfgang Amadeus Mozart kann man nur glänzen, zumal eine hochkarätige Besetzung bereits feststeht. Nicht weniger von sich überzeugt sind auch die Berliner Philharmoniker. In ihrem Magazin ist zu lesen, daß ihnen die Osterfestspiele »immer Gelegenheit« geben, »unter Beweis zu stellen, was für ein hervorragendes Opernorchester sie sind«. Interessant.

Das Opernorchester sitzt allabendlich im Graben und leistet drei bis vier Stunden Knochenarbeit, ständig bereit zur Anpassung an die Vorgänge auf der Bühne, die Eigenheiten der Sänger und was sonst so passiert. Das gab es bei den Berliner Philharmonikern einst, als Herbert von Karajan in Salzburg noch selbst Regie führte und »echte« Oper zelebrierte. Sensibilität und Flexibilität sind Fähigkeiten von Opernorchestern, andererseits brauchen auch sie Sinfoniekonzerte, um ihre Qualität in reiner Konzentration auf die Musik zu üben.

Nun bürgert es sich immer mehr ein, daß angesehene Sinfonieorchester im Konzertsaal Opern konzertant aufführen. Das ist verständlich zum Beispiel bei Barockopern, die man nicht mehr spielen, aber mit Genuß hören kann, etwa wenn sie mit Countertenören besetzt sind. Oder wenn es darum geht, die Werke von NS-verfolgten Komponisten wie Walter Braunfels bekannt zu machen, wie es das Anliegen von Lothar Zagrosek mit dem Konzerthaus-Orchester war. Volles Haus haben Marek Janowski und das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin mit der konzertanten Aufführung von zehn Wagneropern in der Philharmonie. Vor kurzem spielten die Berliner Philharmoniker im eigenen Hause ihre Salzburger Aufführung von Bizets »Carmen« mit Magdalena Kozena in der Titelrolle. Mit von der Partie weitere Stars: Jonas Kaufmann, Genia Kühmeier und Kostas Smoriginas. Es war ein Genuß. Die Berliner Philharmoniker zeigten, was sie können, und die wunderbaren Soli von Stefan Dohr (Horn) und Wenzel Fuchs (Klarinette) kamen viel unmittelbarer rüber als aus dem Dunkel des Grabens.

Der Solist und seine Hingabe an das Instrument sind ein Erlebnis für sich. Der Erfolg konzertanter Aufführungen aber wird letzten Endes von den genialen Komponisten garantiert, deren Musik man sich jederzeit gern anhört.

Der Haken ist, daß diese Art der Aufführung der Oper als Gesamtkunstwerk, wie es Walter Felsenstein gepflegt hat, nicht gerecht wird. Die konzertante Wiedergabe zeigt nur die eine Seite. Bei den Sparkommissaren weckt sie die Illusion, man könne Oper auch ohne Opernensemble und den gesamten »Apparat« anbieten.

Nun widmen sich die Berliner Philharmoniker also wieder dem »Format« der inszenierten Oper. Aber werden sie zum Opernorchester? Berlin hat drei Opernhäuser mit glänzenden Orchestern. Kann man sie vergleichen? Andernorts fällt großen Orchestern die Doppelrolle von ihrer traditionellen Aufgabe her zu. Das Gewandhausorchester Leipzig bedient die Leipziger Oper, die Sächsische Staatskapelle Dresden macht ihren Dienst in der Semperoper, die Berliner Staatskapelle in der Staatsoper. Es ist ein aufreibender Dienst, aber er bildet besondere Fähigkeiten heraus. Nicht umsonst wurde beim Engagement der Staatskapelle Dresden für die Salzburger Osterfestspiele 2013 hervorgehoben, daß die Dresdner mit ihrer Erfahrung als Opernorchester mal »richtig« Oper spielen werden.

Die Berliner Philharmoniker werden ihre Aufgabe in Baden-Baden und in der Wiederholung im Teatro Real Madrid in gewohnter Qualität meistern. Sie sind Weltklasse als Sinfonieorchester. Opernaufführungen bleiben die Ausnahme. Und im übrigen: Gibt es keine Opernorchester, die als solche geschützt werden müssen wie die Mecklenburgische Staatskapelle Schwerin oder das Orchester der Landesbühne Sachsen/Radebeul oder das Orchester der Duisburger Oper oder oder oder? Gibt es die Solidarität der Großen? Gibt es eine Zwei-Klassen-Kunst? Wen störte das noch?