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Hessische Polizei in unheiliger Allianz  (Rolf Gössner)

Am 8. Juni wurden im Bielefelder Stadttheater die diesjährigen BigBrotherAwards verliehen. In der Kategorie Behörden und Verwaltung ging der Negativpreis an den hessischen Innenminister Peter Beuth (CDU). Jury-Mitglied Rolf Gössner hielt die folgende, hier leicht gekürzte Laudatio.

 

Der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) erhält den Negativpreis BigBrotherAward erstens für die bundesweit erstmalige Anschaffung einer Analysesoftware der CIA-nahen Firma Palantir; zweitens dafür, dass diese umstrittene US-Firma über Einsatz und Betrieb der Software Zugang zum Datennetz der hessischen Polizei erhält; und drittens dafür, dass mit dieser Analysesoftware Massendaten aus polizeieigenen und externen Quellen in Sekundenschnelle automatisiert verknüpft, analysiert und ausgewertet werden können – mit fatalen Auswirkungen auf Grundrechte, Datenschutz und Rechtsstaat.

 

Ja, wir haben die schwarze und die grüne Regierungsfraktion in Hessen schon letztes Jahr mit einem BigBrotherAward ausgezeichnet, und zwar für deren damals geplante Verschärfung des Verfassungsschutz- und Polizeigesetzes (vgl. Ossietzky 9/2018). Trotz aller Proteste sind die Gesetze im Juli 2018 – nur leicht modifiziert – verabschiedet worden und seitdem in Kraft. Damit darf die hessische Polizei inzwischen neue Überwachungsmaßnahmen weit im Vorfeld eines Verdachts oder einer möglichen Gefahr ergreifen – etwa heimlich Staatstrojaner installieren oder Menschen in elektronische Fußfesseln legen, von denen sie nur annimmt, dass sie künftig Straftaten begehen könnten.

 

Damit aber nicht genug: Um diese neuen präventiven Aufgaben zu erfüllen und die dabei anfallende Datenflut zu bewältigen, holte sich die Polizei auch noch die umstrittene CIA-nahe Firma Palantir ins Haus. Deshalb kommen wir erstmals in der Geschichte der deutschen BigBrotherAwards nicht darum herum, einen zweiten Straf-Preis in Folge an einen Datenfrevler derselben Regierungskoalition desselben Bundeslandes verleihen zu müssen.

 

Der hessische Innenminister Peter Beuth ist dafür verantwortlich, dass die US-Firma Palantir beauftragt worden ist, ihre Analysesoftware »Gotham« im IT-System der hessischen Polizei zu installieren und in Betrieb zu setzen. Benannt ist die Software nach jener fiktiven, von Kriminalität und Korruption verseuchten Stadt, in der Batman Verbrecher jagt und für Recht und Ordnung sorgt. Nachdem die »Gotham«-Software an hessische Polizei-Bedürfnisse angepasst worden ist, heißt sie »Hessen-Data«. Zur Nutzung ermächtigt wird die Polizei mit § 25a des verschärften Hessischen Polizeigesetzes, weshalb dieser Paragraf auch spöttisch »Palantir-Ermächtigung« genannt wird. Danach dürfen umfangreiche Datenanalysen zur vorbeugenden Bekämpfung von über vierzig Straftaten sowie zur Abwehr bestimmter Gefahren durchgeführt werden.

 

Was aber ist nun so problematisch und grundrechtsschädigend an dieser Verknüpfungs- und Analysesoftware der US-Firma »Palantir«?

 

»Palantir«, benannt nach den »sehenden Steinen« aus »Herr der Ringe«, ist »eine der umstrittensten Firmen des Silicon Valley«, so die Süddeutsche Zeitung. Sie gilt nach Einschätzung der US-Bürgerrechtsvereinigung ACLU als »Schlüsselfirma in der Überwachungsindustrie«. Der US-»Starinvestor« und Milliardär Peter Thiel, der bereits den Online-Bezahldienst Paypal mitgegründet hatte, gründete die Firma im Jahr 2004 mit finanzieller Unterstützung des US-Geheimdienstes CIA. Die Kundenliste der Firma liest sich wie das Who-is-Who der US-Militär- und Sicherheitsbürokratie: CIA, FBI, NSA, Pentagon, Marines und US Air Force. Oder anders ausgedrückt: Als Hauslieferant dieser Behörden ist die Firma tief in den militärisch-digitalen Komplex der USA verstrickt und ihr Geschäftsmodell heißt: Big Data for Big Brother. Firmengründer Peter Thiel sitzt zudem im Aufsichtsrat von Facebook und hat Donald Trumps Wahlkampf mit über einer Million US-Dollar unterstützt.

 

Die hessische Polizei beauftragte also diese hoch umstrittene Überwachungsfirma damit, ihre Polizeidatenbanken mit Social-Media-Daten und anderen externen Dateien zu verknüpfen und zu analysieren. Es ist dabei keineswegs auszuschließen, dass vertrauliche Polizeidaten aus Hessen in die USA abfließen könnten – zumal bis zu sechs Software-Entwickler der Firma mit eigenen Laptops die Analysesoftware installierten, sie für die hessische Polizei betrieben und Servicezugriff haben. Als US-Firma ist Palantir übrigens auch dem FISA-Act unterworfen, dem berüchtigten Foreign Intelligence Surveillance Act (Gesetz zur Überwachung in der Auslandsaufklärung). Und das bedeutet: Alle Informationen über Nicht-US-Bürger und -Bürgerinnen, zu denen Palantir – wie und wo auch immer – Zugang bekommt, müssen im Fall einer Anordnung auch an US-Geheimdienste übermittelt werden. Und es gibt, so sehen es die Oppositionsfraktionen von FDP und Die Linke im hessischen Landtag, keine verlässlichen Kontrollmechanismen, um das zu verhindern.

 

Mit der Dateienverknüpfungs- und -auswertungssoftware »Hessen-Data« sollen Bedrohungslagen leichter erkannt und sogenannte terroristische Gefährder identifiziert und aufgespürt werden können – also Menschen, die keine Straftaten begangen haben müssen, denen polizeilicherseits aber aufgrund bestimmter Indizien oder Verhaltensweisen solche künftig zugetraut werden. In der modernen Polizeiarbeit geht es längst nicht mehr nur um die Abwehr konkreter Gefahren, sondern um polizeiliche »Aufklärung« weit im Vorfeld mutmaßlicher Gefahren, wie sie mit der letzten Polizeirechtsverschärfung in Hessen legalisiert worden ist. Damit begibt sich die Polizei auf geheimdienstliches Terrain, wo sie prinzipiell nichts zu suchen hat. Und folgt man dem neuen schwarz-grünen Koalitionsvertrag von Dezember 2018, könnte die Analysesoftware künftig auch schon unterhalb der Schwelle der Bekämpfung von islamistischem Terrorismus und Organisierter Kriminalität eingesetzt werden – und damit in weit größerem Ausmaß als ursprünglich vorgesehen.

 

»Hessen-Data« ist ein Dammbruch für die polizeiliche IT-Arbeit: Bislang waren die Polizeidatenbestände der Strafverfolgung und Gefahrenabwehr nicht miteinander verknüpft, weil personenbezogene Daten aus datenschutzrechtlichen Gründen prinzipiell nur für den Zweck verwendet werden dürfen, für den sie erhoben wurden – also entweder für Strafverfolgung oder für Gefahrenabwehr. Dieser Zweckbindungsgrundsatz wird mit »Hessen-Data« aufgehoben. Mehr noch: Es werden nicht nur unterschiedliche Polizeidatenbanken, sondern auch noch die Verkehrs- und Inhaltsdaten aus Telekommunikationsüberwachungen zusammengeführt und durchforstet sowie Daten aus unterschiedlichen Informationssystemen anderer Behörden wie etwa des Melde- und Ausländerzentralregisters. Doch damit nicht genug: Ein Dammbruch ist auch, dass mit »Hessen-Data« erstmals auch Informationen aus sozialen Medien und Netzwerken wie Facebook, Twitter, WhatsApp, Instagram oder YouTube automatisch abgerufen, zusammengeführt und in Windeseile mit polizeilichen Daten abgeglichen werden können.

 

Mithilfe rasanter Dateienverknüpfung und Datenanalyse liefert die Palantir-Software der Polizei – grafisch spannend aufbereitet – komplexe Bewegungs- und Kontaktbilder, Beziehungsgeflechte und Personendossiers sowie Anomalien oder Verhaltensmuster von Menschen. Wer kommuniziert oder trifft sich mit wem? Welche persönlichen Kontakte, Verbindungen und Zusammenhänge gibt es zwischen bestimmten Ereignissen, Personen, Gruppen oder Institutionen? Wer verhält sich ungewöhnlich oder verdächtig? Auch bloße Kontakt- und Begleitpersonen, Zeugen, Hinweisgeber oder Geschädigte können dabei ins Visier der Fahnder geraten, auch wenn sie nur in loser oder zufälliger Verbindung mit mutmaßlich Verdächtigen stehen.

 

Dabei geht es nicht mehr in erster Linie um harte Fakten und Beweise, sondern um mehr oder weniger zufällige Analyseergebnisse dieser automatisiert zusammen gemixten Datensammlungen. Stellen Sie sich vor, Ihre alltäglichen Aktivitäten, mit denen Sie Unmengen digitaler Spuren hinterlassen, machen Sie plötzlich verdächtig, weil sie aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang gerissen und in einen vollkommen anderen, neuen Kontext gestellt werden. Vielleicht kommt Ihnen die hessische Polizei »auf die Spur«, nur weil Sie zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort waren, eine Wohnung in der Nähe eines Tatortes haben oder einfach mit einer anderen Person verwechselt worden sind. Das Analysesystem scheint zwar sehr leistungsfähig zu sein – aber auch recht manipulations-, willkür- und diskriminierungsanfällig.

 

Durch die neuen gesetzlichen Überwachungsermächtigungen der hessischen Polizei können solche Analyseergebnisse für die Betroffenen zu gravierenden Konsequenzen führen. Denn wer im Rahmen der Dateienverknüpfung und Datenanalyse als auffällig, als angebliche Risikoperson oder sogenannter Gefährder herausgefiltert wird, hat unter Umständen mit dem heimlichen präventiven Einsatz von Staatstrojanern auf seinen Geräten zu rechnen, kann unter Meldeauflagen, Aufenthalts- und Kontaktverbote gestellt, in elektronische Fußfesseln gelegt oder in Präventivhaft genommen werden.

 

Bemerkenswert ist im Übrigen, wie die Kooperation der hessischen Polizei mit Palantir eingefädelt worden ist. Ein Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags befasste sich im vergangenen Jahr monatelang mit der Frage, ob die Auftragsvergabe an Palantir möglicherweise rechtswidrig erfolgt ist und welche Rolle der Innenminister dabei spielte. Beide Fragen sind bis heute nicht eindeutig geklärt. Jedenfalls erfolgte die Vergabe auf intransparente Weise; die Leistungsbeschreibung war auf Palantir und ihre Software zugeschnitten, so dass andere mögliche Anbieter keine gleichberechtigte Chance hatten, obwohl es Alternativen gab.

 

Es macht darüber hinaus misstrauisch, wenn die Öffentlichkeit über den Kaufpreis der Palantir-Software im Dunkeln gelassen wird. Ihr Wert beträgt nach offizieller Mitteilung »0,01 Euro ohne MwSt.«. Gegenüber Spiegel online räumte das hessische Innenministerium ein, dass dies »nicht der tatsächliche Preis« sei, wollte diesen aber aus »Gründen des öffentlichen Sicherheitsinteresses des Landes Hessen« nicht nennen. Wie kann eine solche Information die öffentliche Sicherheit gefährden – werden etwa Straßenunruhen oder gar Anschläge befürchtet? Hessens Innenminister Beuth nimmt offensichtlich lieber Spekulationen in Kauf, als transparent zu arbeiten, wie es in einer Demokratie selbstverständlich sein sollte.

 

Fazit: Der Einsatz der wohl millionenschweren Palantir-Software bedeutet eine neue Qualität der Datenverarbeitung – die Polizei schwärmt gar von einem »Quantensprung in der polizeilichen Arbeit«. Oder anders und klarer ausgedrückt: Mit »Hessen-Data« geht das schwarz-grün regierte Hessen einen weiteren großen Schritt in Richtung Kontroll- und Überwachungsstaat.

 

Die Analyseplattform »Hessen-Data« steht im Dauerkonflikt mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Ausprägung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Artikel 2 Abs. 1 GG). Außerdem wird mit dem Einsatz der Palantir-Software eine wichtige Grundsäule des Datenschutzes buchstäblich niedergerissen: nämlich das Prinzip der Zweckbindung, wonach personenbezogene Daten grundsätzlich nur für den Zweck verwendet werden dürfen, für den sie erhoben worden sind. Und das Ganze auch noch weitgehend ohne wirksame Kontrolle und in einer unheiligen Allianz mit einem Hauptakteur des US-amerikanischen Militär- und Geheimdienstkomplexes. Da können wir nur sagen: Herzlichen Glückwunsch, Herr Innenminister Peter Beuth, zum BigBrotherAward 2019.

 

Laudator Rolf Gössner ist seit Anbeginn im Jahr 2000 Mitglied der Jury zur Verleihung des Negativpreises BigBrotherAward, seit 2003 für die Internationale Liga für Menschenrechte. Weitere Informationen zum BigBrotherAward 2019 unter: https://bigbrotherawards.de/