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Titel1311

Na aber hallo!  (Matthias Biskupek)

Früher gab es Briefsteller. Dort stand verzeichnet, daß zur Anrede: »Werter Herr!« die Grußformel »Hochachtungsvoll!« gehöre. Immer schön mit Ausrufezeichen abgeschlossen. Jetzt ist alles noch einfacher, also einfach kompliziert geworden.

Denn wir schreiben keine Briefe mehr. Wir senden Mails, wenn wir nicht gar nur simsen. Mail heißt auf Deutsch Post und simsen: »Ich habe üüüberhaupt keine Zeit, und anrufen ist mir viel zu umständlich, aber wir bleiben in Verbindung.« Das alles ist nicht neu. Ebenfalls nicht neu ist, daß man sich dennoch weiterhin anschreit. Der Angeschriebene ist der Angeschrieene: »hallo! herr biskupek!« heißt es, wie einst im Mai.

Früher schrieb man meist: »Sehr geehrter Herr Oberuntermieter! Bezugnehmend auf Ihr wertes Schreiben teile ich Ihnen mit usw. usf.« Und beendete das Ganze »Mit vorzüglicher Hochachtung!«

Dabei achtete man in solchen Briefen weder vorzüglich noch hoch, und den sehr geehrten Herrn empfand man als Pfeifenwichs, dem man einfach nur mal die Meinung geigen wollte. Wirklich abfällig war der »Werte Herr!«, den man vor allem Leuten zuerkannte, die einer vernünftigen Anrede nicht wert schienen. Und die Briefe solcher Leute waren einem eh nix wert, weshalb man vom »werten Schreiben« faselte.

Irgendwann aber hatte man begriffen, daß der Angeschriebene vielleicht doch nicht schwerhörig war, man also statt des Anbrüllzeichens ein schlichtes Komma nach der Anrede setzen konnte. Doch die sehr geehrte Förmlichkeit blieb. Im Englischen war ein jeder »Dear«, man mußte nicht mal zwischen weiblich und männlich unterscheiden, aber weil wir im Deutschen zwischen »Dear« und »Lovely« ebenfalls nicht unterscheiden mögen, war uns die Anrede »Liebe Frau Sowieso,« schlicht peinlich. Der Herr Sowieso hätte ja denken können, man wolle mit seiner Frau eine Liebelei anfangen.

Eigentlich aber waren es schöne Zeiten, als man »Lieber Freund«, »Lieber Herr Unbekannt« oder »Liebe Behörde« schreiben konnte und nach Gefühlslage »Mit freundlichen Grüßen«, »Herzlich« oder »Sehr herzlich« oder auch »Herzlichst«, wie ein berühmter Bild-Briefeschreiber, drunter setzen konnte.

Das alles ist im Mail-Zeitalter verschwunden. Ob ich eine Gebrauchsanweisung oder die schnelle Mitteilung einer Freundin bekomme, ob ich von völlig unbekannter Seite oder viel zu bekanntem Absender Nachrichten erhalte – immer werde ich »Hallo!« begrüßt. Schämt man sich, mich mit »Lieber M.« anzureden? Ich will ja nicht von allen mit Allerliebster oder Herzallerliebster angesprochen werden – aber lieber ist doch besser, als immer und überall nur »Hallo!« angebrüllt zu werden.

Nun sind allerdings auch mündliche Anredeformeln von »Guten Morgen« bis »Tach ooch«, von »Moinmoin« über »Grüß Gott« bis »Wünsche einen freundlichen Abend« im Schwinden. Man ruft sich auch da nur noch »Hallo!« zu.

In früheren Zeiten fand ich bei Wanderungen in südeuropäischen Gefilden das »olá« ganz hübsch, weil es nicht gar so nach »Hallo« klang, obwohl es wahrlich nichts anderes bedeutete. Heute sagen zu mir selbst die Nachbarn im Hause »Hallo!«, und weil man nicht unmodern sein will, gibt man sein lässiges »Hallo!« zurück.

Auf den Höhen der Thüringer Berge, auf denen früher noch »Gut Runst« gegrüßt wurde – das muß kurz nach dem Dreißigjährigen Krieg gewesen sein –, hallot es heute ebenfalls nur noch, und das Echo hallot zurück.

Bedeutet dies nun einen Wandel hin zu einer Annäherung der Menschen? Eine allgemeine Distanzlosigkeit zu allem und jedem? Oder bezeichnet das »Hallo!« nicht viel eher die Suche nach Distanz, nach großer Distanz, nach einer Entfernung zum Nächsten, die mit dem Ruf »Hallo!« zwar scheinbar überbrückt wird, aber zugleich den innigen Wunsch ausdrückt, der andere möge bitte auf Rufweite entfernt bleiben?

Wir wollen derlei Überlegungen mit dem fortschrittlichen Kommentar unserer Zeit beenden: »Na, aber hallo!«