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Titel132013

Bemerkungen

Wie man Protest kriminalisiert
»Blockupisten« ist ein Beitrag überschrieben, mit dem der Ressortchef für Politik bei der Frankfurter Allgemeinen dem Publikum darlegte, was von den Frankfurter Demonstranten zu halten sei, denen die hessische Polizei den Weg verlegte und die nun die Versammlungsfreiheit gefährdet sehen: Heuchler seien sie, Fanatiker, Hasser der real existierenden Demokratie. »Blockupisten« – da mag so mancher Leser der F.A.Z. wortklanglich an »Bolschewisten« erinnert sein und ins Schaudern kommen – steht der Bundesrepublik ein blutroter Aufstand bevor?

Daß dem F.A.Z.-Redakteur Jasper von Altenbockum, der mit seinem Autorenkürzel »kum« diesen Kommentar zeichnete, eine Blockupy-Kampagne zutiefst zuwider ist, kann nicht überraschen, der Mann ist publizistischer Hardliner, wenn es um die Abwehr kapitalismuskritischer Umtriebe geht. Für das Feuilleton seines Blattes ist er allerdings nicht zuständig. Glücklicherweise haben wir in diesem Land Meinungsfreiheit, rechtlich betrachtet, und auch »kum« ist sie vorbehaltlos zu gönnen. Bemerkenswert aber ist, was er als Tatsachenbehauptung in seinen Kommentar über die Frankfurter Demo hineingeschrieben hat: »Blockupisten« hätten »den Polizisten nach dem Leben getrachtet«. Mordwillige also, die da unterwegs waren, ein schwerwiegender Vorwurf, strafrechtliches Handeln erfordernd. Woher weiß Jasper von Altenbockum von solchen blockupistischen Plänen? Aus den Medienberichten über die Demo, auch denen seiner eigenen Zeitung, hat er eine solche Information nicht. Auch nicht aus den Mitteilungen der Polizeibehörden. Also aus eigenen Erkenntnissen, war er als verdeckter Ermittler tätig? Wir dürfen auf den weiteren Gang der Dinge warten, die F.A.Z. wird doch wohl berichten, was aus der öffentlichen Anklage auf Vorbereitung von Polizistenmord, die ihr Redakteur erhob, nun wird.

A. K.


Die Dämonisierten
Owen Jones beschreibt die Entwicklung der britischen Gesellschaft. Zeichnet in einem weiten Bogen die Zeit seit Kriegsende, Labour, Maggie Thatcher, New Labour unter Tony Blair, Tory-Regierung unter David Cameron bis in die jüngste Vergangenheit nach. Und verliert dabei nie die Leidtragenden der verhängnisvollen Entwicklung aus dem Blick: die Menschen, die zu den Verlierern gezählt werden, der sogenannte Abschaum, die Sozialschmarotzer, kurz und verächtlich »Prolls« genannt. Früher bezeichnete man sie mal als Arbeiterklasse. Menschen, die stolz auf ihre Arbeit waren, sich gewerkschaftlich stark engagierten. Sie waren sich ihrer gesellschaftlichen Stärke bewußt, wurden entsprechend wahrgenommen und wählten zum größten Teil Labour. Sie wurden nicht reich, aber es reichte zum Leben, sie hatten Arbeit.

Heute gibt es diese Klasse als Macht in der öffentlichen Darstellung nicht mehr. Heute sind diese Menschen Geringverdiener, arm, arbeitslos, der Bodensatz der Gesellschaft. Nicht respektiert, den Gängelungen der Sozialverwaltung ausgeliefert, ein Zerrbild einstmaliger Stärke. Dies ist zumindest die Sichtweise, die die Medien vermitteln, das Bild, das die konservative Regierung unter Cameron von ihnen hat und im täglichen Regierungsgeschäft durch eine regressive Arbeits-, Sozial- und Wohnungspolitik in Gesetze gießt.

Jones beschreibt, übersetzt von diesen Weg gesellschaftlichen Abstiegs: »Die Torys unter Ted Heath waren 1974 von streikenden Bergarbeitern aus dem Amt getrieben worden.« Diese Niederlage steckte Margaret Thatcher in den Knochen. 1984 stellte sie ihre Pläne zur Schließung der Zechen vor, die Streiks begannen, wurden von der berittenen Polizei niedergeknüppelt. Dies war der 16. Juni 1984 in New Yorkshire. Am 3. März 1985, nach einem Jahr des Kampfes, brach der Streik zusammen. Von dieser Niederlage hat sich die Arbeiterbewegung in Großbritannien nie wieder erholt. Heute spielt Industriepolitik auf der Insel kaum mehr eine Rolle, die einst so stolze Automobilproduktion hat sich in andere Länder verabschiedet, das Land hängt am Tropf der Finanzbranche.

Für die ehemals stolzen Arbeiter gibt es von den Torys und den Medien nur Verachtung. Der Proll-Haß wurde in den letzten zehn Jahren in Großbritannien salonfähig und findet in den Mainstream-Medien Unterstützung, deren Journalisten fast ausschließlich Mitglieder der Upper Class sind. Sie stilisieren die Lebensweise der einfachen Leute zum Problem hoch, nicht die ungerechte Struktur der Gesellschaft. Und Owen Jones erzählt die Geschichte weiter, schildert den Wandel der Labour-Partei unter Tony Blair von der Interessenvertreterin der arbeitenden Bevölkerung hin zu New Labour, ihrem Streben in die Mitte. Jones geht ausführlich auf die Situation im heutigen Vereinigten Königreich ein, läßt dessen Arbeiter in Gesprächen und Interviews zu Wort kommen, gibt ihnen eine Stimme. Dies ist eindeutig die Stärke des Buches und macht es so lesenswert.
Ulrich Klinger

Owen Jones: »Prolls – Die Dämonisierung der Arbeiterklasse«, übersetzt von Christophe Fricke, VAT Verlag, 320 Seiten, 18,90 €


Mietpreisbremse im Wahlkampf
Irgendwie müssen doch die Umfragewerte nach oben zu bringen sein, hat sich der Kanzlerkandidat der SPD gedacht, und da ist ihm (oder seinen Beratern) eingefallen: Die Mehrheit der Deutschen wohnt zur Miete, die Mietpreise steigen an, und wer dagegen gesetzlich etwas zu tun verspricht, kann auf Stimmengewinn bei der Bundestagswahl rechnen. Also kündigte Peer Steinbrück eine sozialdemokratische Offensive für preiswertes Wohnen an und machte den bayerischen SPD-Chef Florian Pronold zum Wohnungsschattenminister in seinem Kompetenzteam. Aber dann hat die Bundeskanzlerin im Telefonverkehr Wahlversprechen gemacht, darunter auch das einer Mietpreisbremse. Da wurde Steinbrücks Wahlhelfer ganz böse – des Ideendiebstahls bezichtigte er Angela Merkel, unglaubwürdig mache sie sich, durch das Plagiieren sozialdemokratischen geistigen Eigentums. Ob diese Reaktion unter dem Aspekt des politischen Marketings kompetent ist? Da sind Zweifel angebracht. So manche MietbürgerInnen werden doch denken: Ist ja gut für uns, wenn diese demoskopisch stärkste Politikerin sich unserer Sorgen annimmt, zumal sie alle Aussichten hat, wieder die Richtlinien der Politik zu bestimmen. Und wenn dann in der neuen Regierung die Sozialdemokraten mitziehen an der Mietpreisbremse, umso besser. Deswegen muß man nicht ihnen die Stimme geben, auf die Kanzlerin kommt es an ...

Auch könnten Fragen aufkommen: Warum denn soll besagte Bremse ein höchst brauchbares Instrument sein, wenn der SPD-Spitzenmann es anschaffen will, diese Qualität aber einbüßen, wenn die Spitzenfrau der Union sich auch für dessen Anschaffung ausspricht? Kann eine richtige Idee falsch werden durch ihre Übernahme, selbst wenn diese ohne Genehmigung geschieht? Sind sozialpolitische Konzepte Parteieigentum? Geht es da am Ende gar nicht um die tätige Solidarität mit Menschen, denen das Dach überm Kopf zu teuer wird, sondern darum, Wahlstimmen in die jeweilige Parteischeune zu bringen?

Dieser Verdacht bestätigt sich, wenn man überprüft, welche Politik im Wohnungsmarkt denn seit Jahren jene Parteien betrieben haben, die jetzt um den Gebrauch des Themas Mietbremse im Wahlkampf konkurrieren. Gas gegeben haben sie, bei der Privatisierung öffentlichen Wohneigentums, bei der Begünstigung der großen Immobiliengesellschaften, die Massen von kleinen Mietern das Leben schwermachen.
M. W.


Drehtüreffekt
Eckart von Klaeden (CDU), Staatsminister im Bundeskanzleramt, wechselt in die Wirtschaft. Nach der laufenden Legislaturperiode wird er beim Autokonzern Daimler Bereichsleiter für Politik und Außenbeziehungen. Ex-Kanzler Schröder (SPD) ist in die Erdgasindustrie gegangen, Ex-Ministerpräsident Koch in einen anderen Industriezweig. Ex-Außenminister Fischer betätigt sich als Wirtschaftsberater. Die Liste der Staatslenker, die sich unter Ausnutzung ihrer Beziehungen der Wirtschaft angedient haben, ist lang. Die Vorstellung, Willy Brandt hätte nach seinem Ausscheiden aus dem Amt bei Neckermann Geschäftsführer werden können, ist absurd. Sie regt zu der Überlegung an, von Politikern welchen Kalibers wir eigentlich regiert werden. Und dann gibt es noch etliche, die die Wirtschaft nicht einmal nehmen würde.
Günter Krone


Deutschland – deine Schande
Am 1. und 2. Juni war auf Gleis 10 des Berliner Ostbahnhofs der »Zug der Erinnerung« zu besichtigen. Das war am 3. und 4. Juni auch auf den Bahnhöfen Spandau und Friedrichstraße möglich. In einem Aufruf des gleichnamigen veranstaltenden Vereins hieß es: »Kommen Sie auf die Bahnhöfe, um Abschied zu nehmen!« Es ging um die Kinder, die mit Zügen der Reichsbahn aus dem KZ Westerbork abtransportiert wurden.

Schweigend gehen Frauen und Männer, auch viele Jugendliche, durch die in den Waggons gezeigte Ausstellung. Blumen liegen unter den Fotos. Tausende Kinder waren es – aus Dortmund, Hannover, Magdeburg und Berlin ... –, die im Vernichtungslager Sobibór ermordet wurden. Fotos zeigen die Verantwortlichen für dieses Verbrechen. Es gab Widerstand im Lager; die SS-Bewacher konnten überwältigt werden, und das Vernichtungslager mußte schließen. Die Deutsche Reichsbahn hatte mit ihren Transporten den unvergessenen Massenmord möglich gemacht.

Und heute? Heute verlangt ihre Rechtsnachfolgerin, die Deutsche Bahn AG, 10.000 Euro »Trassen- und Bahnhofsgebühr«; weitere 40.000 Euro hat sie dem »Zug der Erinnerung« für solche Gebühren bereits entzogen. Die Bahn verdient also immer noch an den Opfern.

Im Aufruf des Vereins (www.zug-der-erinnerung.eu) heißt es: »Indem wir die Deportierten auf den Bahnhöfen ehren, warnen wir die Wiedergänger der Nazis: Wir sind zum Widerstand bereit!«. Für mich sind diese Kinder nicht anonym; ich denke an meine Kinder und Enkel und schäme mich meiner Tränen nicht.
Maria Michel


Warum heute?
Ein Fernsehfilm erregt Aufsehen. »Unsere Väter, unsere Mütter« zeigt die Schrecken des Krieges eindrucksvoll, bedrückend. Er zeigt auch ohne Wenn und Aber Deutschlands Schuld am Ausbruch des Krieges und an der Unmenschlichkeit seiner Führung. Eine Frage läßt er unbeantwortet: Warum erst heute? Die Täter von damals waren die Großväter und Großmütter der Filmemacher und der Zuschauer. Warum also erst heute?

Neonazis ermorden von 2000 bis 2007 acht Türken, einen Griechen und eine Polizistin. Heute werden sie entdeckt, zwei der mutmaßlichen Täter sterben mysteriös, eine dritte Beschuldigte wird angeklagt. Über viele Jahre ist nichts passiert. Jetzt sind die Aufdeckungen des Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages, die Prozeßvorbereitung und der Prozeß des Bayerischen Oberlandesgerichts Spitzenmeldungen in den Medien. Warum erst heute?

Die Zentralstelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg fand nunmehr 50 ehemalige Wächter im KZ Auschwitz, und sie meint auch, es gäbe noch mehr derartige Täter aus anderen ehemaligen KZ. Es wird berichtet, die Entdeckten seien etwa 90 Jahre alt. Warum wurden sie erst jetzt entdeckt? Wem nützt noch die Bestrafung von Greisen?

In Italien spricht der Bundespräsident, dessen Mutter seit 1932 und dessen Vater seit 1934 Mitglieder der NSDAP waren, am Grabe von Opfern deutscher Kriegsverbrecher, die nie bestraft wurden. Ob seine Eltern ihm das verzeihen würden? Ob das Elternhaus ihn so wenig politisch geprägt hat? Hat die BRD keinen anderen Präsidenten gefunden? Hat sie keinen anderen gesucht?

Am 22.2.2013 spricht der Präsident: »Sehr geehrte Damen und Herren, es macht mir Sorge, wenn die Rolle Deutschlands im europäischen Prozeß augenblicklich bei einigen Ländern Skepsis und Mißtrauen auslöst. Ja, es stimmt, Deutschland hat auch vom Euro kräftig profitiert. Er hat Deutschland stark gemacht. Und daß Deutschland nach der Wiedervereinigung zur größten Wirtschaftsmacht in der Mitte des Kontinents aufstieg, das hat vielen Angst gemacht. Ich bin erschrocken, wie schnell die Wahrnehmungen sich verzerrten, so als stünde das heutige Deutschland in einer Traditionslinie deutscher Großmachtpolitik, gar deutscher Verbrechen. Nicht allein populistische Parteien stellten gar die deutsche Kanzlerin als Repräsentantin eines Staates dar, der heute angeblich wie damals ein deutsches Europa erzwingen und andere Völker unterdrücken will.«

Steht die BRD nicht in dieser »Traditionslinie«? Waren die Globke, die Oberländer, die vielen Nazi-Juristen und Nazi-Polizisten nicht Symptome dieser Linie? Europa wird argwöhnisch. Das gefällt dem Wolf im Schafspelz nicht und so versucht er heute, sich zu tarnen.
Friedrich Wolff


Berlin – Wladiwostok per Rad
Polen: Ein Bild wie im Märchen: Ich rausche dahin – den Sonnenwind im Rücken – und grüße die auf dem Feld arbeitenden Bauern, die zurückgrüßen. Noch ein Bild: Ich hole mir im »Sklep« (Lebensmittelgeschäft) reinen Alkohol zur Pflege meines wunden Sitzfleisches. Beide Bilder sind wahr, Momentaufnahmen meiner Reise. Sie zeigen die zwei Seiten der Tour: Die Freude, wenn es läuft, und die physische Anstrengung. Doch der Reihe nach.

Fast hätte ich nach dem ersten Tag umkehren müssen. Meine Visacard-PIN funktionierte nicht in der ersten polnischen Stadt, Slubice. Verzweifelt fuhr ich über die Brücke zurück nach Frankfurt, wo mir freundliche Sparkassenmitarbeiter meine desperate Lage ansahen, mir weiterhalfen, obwohl beide Kassen »nichts miteinander zu tun« hätten.

Das zweite Mal stand ich hoffnungslos vor der wegen Hochwasser untätigen Fähre in Milsko, wo mir zwei Anwohner mit Gastfreundschaft und ihren Versuchen, den Fährmann zum Übersetzen zu bewegen, zwar den Moment erträglicher machten – letztlich mußte ich aber doch einen Umweg von 30 Kilometern über Nova Sol nehmen. Der bisher gnädige Rückenwind begann sich zu drehen. Die nächsten zwei Tage bemühte ich mich, den 100-Kilometer-Tagesdurchschnitt zu halten. Bei Gegenwind, wenn man kleinste Steigungen mit kaum mehr als zehn Kilometern pro Stunde nehmen kann, ein Wahnsinnsunterfangen. Abends zitterten meine Knie. Als sich bei der Ausfahrt aus Kalisz endlich kein Gegenwind einstellte, konnte ich mein Glück kaum fassen. Prompt folgten drei Tage mit jeweils etwa 150 Kilometern, obwohl ich am letzten Tag nur noch nach Chelm kommen wollte, um mal einen ganzen Tag für mich zu haben: Wäsche waschen, Internetcafe, wo ich den Text gerade ein zweites Mal schreibe, weil aus Versehen gelöscht, das Fahrrad checken.

Zwischendurch immer wieder anhalten für Fotos. Am Ende eines Tages habe ich keine Lust, das Zelt aufzustellen oder zu kochen. Ich leiste mir gutes Essen, trinke viel, gönne mir auch mal Kaffee mit Kuchen, wenn die Leistung stimmt.

Und immer wieder die hilfreichen Leute, zum Beispiel: Der alte Zemen, der unbedingt meine Sachen in mein Hotelzimmer in Jaronice schleppen wollte. Kaum angekommen, bediente er sich vom für Hotelgäste bereitstehenden Wasser. Später fehlte ein hübsches Hotelglas. Als er am nächsten Morgen wieder meine Sachen nach draußen tragen wollte, war ich unwillig. Wer weiß ... – nachher war ich beschämt. Zemen packte Geschenke und Verpflegung aus, wollte mir unbedingt einen Briefumschlag mit seiner Adresse und 20 Zloti aushändigen, damit ich ihm über den Verlauf meiner Tour berichte. »Und wofür das Geld?« – »Für die Briefmarke.«

Heute schlafe ich auf dem »Chelm«, einer alten Bezeichnung für den Hügel, auf dem das römisch-katholische Kloster thront. Ich schlafe gegenüber einem Karol-Wojtyla-Bild und einem Kruzifix unter einem weltlichen Bild. Die Nonnen und Popen waren schlau genug, ihre Pension ins Internet zu stellen, eine hilfsbereite Kellnerin hatte sie mir mit Smartphone herausgesucht.

Morgen soll es in die Ukraine gehen.
Uwe Meißner


Soll ich mich übergeben?
Der »Taschenbibelbund« (kurz Tabibu genannt) hat mir eine Taschenbibel spendiert, die einen auffordert, den »Entschluß zur Übergabe an den Herrn durch Eintragung des Namens auf die nächste Linie« zu bekunden. Alsdann verkündet die Tabi: »Also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab, auf daß unsereiner, an ihn glaubend, nicht verloren werde, sondern das ewige Leben habe.«

Sehr verlockend, aber ich habe mich noch nicht entschlossen. Das im Tabi enthaltene Evangelium des Johannes wird von zwei Gedichten geschmückt, eines vom Dichter Fritsche, der Straß und Buß schreibt und das eingesparte »e« bei »der Herre Christ« wieder hervorzaubert. Das Lied der Fürstin und Poetin Eleonore Fürstin Reuß verrät uns: »Ich habe die Menschen gesehen, / und sie suchen spät und früh, / sie schaffen, sie kommen und gehen, / und ihr Leben ist Arbeit und Müh ...« – im Gegensatz zum Leben der Fürstinnen, die bekanntlich in aller Seelenruh (während gewöhnliche Sterbliche mühsam ihren Lebensunterhalt verdienen müssen) Zwiesprache mit dem lieben Gott halten.

Jeder kann dem Taschenbibelbund kostenlos beitreten, indem er sich verpflichtet: »Hiermit verpflichte ich mich, täglich Gottes Wort zu lesen und bei mir zu tragen.« Textbeispiel: »Er muß wachsen, ich aber muß abnehmen.« (Evangelium des Johannes, 3,30)
Das sagt mir unsere Hausärztin auch immer.
Lothar Kusche


Zuschrift an die Lokalpresse
Endlich: zwei positive Nachrichten über die großen Berliner Bauvorhaben! Das Fundament vom Berliner Schloß steht planmäßig im märkischen Sand, und die BND-Zentrale in der Chausseestraße, ja, dort wo ganz früher ein Exerzierplatz und später das Walter-Ulbricht-Stadion war, hat termingemäß ihr Richtfest gefeiert. Termingemäß! In Berlin! Das muß man sich mal auf der Zunge zergehen lassen! Selbstverständlich ist das Projekt wesentlich teurer geworden als vorher errechnet, geplant und gefühlt, aber das ist ja bei allen Bauvorhaben so, auch bei denen, die wesentlich später oder überhaupt nicht fertig werden. Nach den Schreckens-szenarien über die Verzögerung des BER-Flughafens, über den Verlauf am Bahnhof Ostkreuz, über die Schienenverwerfungen am neuen Hauptbahnhof und die Katastrophen fast aller anderen Berliner Großprojekte, von der Stuttgarter Tiefenschürfung ganz abgesehen, ist das jedenfalls eine umwerfend positive Nachricht!

Na gut, der Verfassungsschutz war ja mit seinen begrenzten personellen und räumlichen Kapazitäten schon lange am Ende und nicht mehr dazu in der Lage, die Feinde unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung rechtzeitig aufzuspüren und einzubuchten. Und aus den meisten verdeckten Ermittlern sind inzwischen entdeckte Vermittler geworden, und bei einigen ist jetzt noch unklar, ob sie beim BND gegen die Nazis oder bei den Nazis gegen den BND oder sowohl als auch gearbeitet haben. Hauptsache, das Geld hat gestimmt, da darf man in der Geheimszene auch bei Kollateralschäden nicht so pingelig sein.

Aber egal – da, wo früher Wilhelms Soldaten für den Weltkrieg exerziert und Walters Sportler für den Weltfrieden trainiert haben, verbessern sich endlich die Arbeitsbedingungen für die Schlapphüte. Und sicher gibt es in dem Gelände auch eine Konklave, in der sich Obergeheimräte mit Oberkriminalräten treffen können, denn an deren fehlenden Kontakten ist ja auch vieles gescheitert. – Korbinian Schüssel (48), vertraulicher Geheimnisträger, 55743 Hintertiefenbach
Wolfgang Helfritsch