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Titel1315

Wie du mir, so ich dir  (Ralph Hartmann)

In der zweiten Maihälfte hatte ein Vorfall die auch so schon arg ramponierten deutsch-russischen Beziehungen zusätzlich schwer belastet. Die Bundesregierung legte Protest ein. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes nannte das Vorgehen der russischen Seite »unverständlich und inakzeptabel«. Der bundesdeutsche Botschafter in Moskau, Rüdiger von Fritsch, wurde unverzüglich im Außenministerium der Russischen Föderation vorstellig und protestierte energisch. Gleichermaßen ging das Auswärtige Amt gegenüber der russischen Botschaft in Berlin vor. Bundestagspräsident Norbert Lammert reagierte »mit Unverständnis und Enttäuschung«.


Was brachte das Auswärtige Amt und sogar den Bundestagspräsidenten so aus dem Häuschen? Die Moskauer Behörden hatten sich erdreistet, dem CDU-Bundestagsabgeordneten und Vorsitzenden der deutsch-ukrainischen Parlamentariergruppe, Karl-Georg Wellmann, die Einreise zu verweigern. Bei seiner Ankunft auf dem internationalen Flugplatz Moskau-Scheremetjewo wurde er abgewiesen und gezwungen, nach Berlin zurückzufliegen. Ein Skandal sondergleichen, zumal er Präsident Putin nur als »Kriegstreiber« beschimpft hatte!


Inzwischen hat das russische Außenministerium eine Sperrliste an die EU-Delegation in Moskau übergeben. Nach dieser »Schwarzen Liste« wird 89 EU-Politikern, darunter acht Deutschen, die Einreise verwehrt. Im Vergleich zur scharfen Verurteilung des Einreiseverbotes gegen Wellmann ist die EU-Reaktion auffällig weniger heftig. Sie schwankt zwischen routinemäßiger Verurteilung und – vor dem Hintergrund der gegen Rußland verhängten Einreisesperren – lachhaften Verrenkungen.


Eine Sprecherin der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini hat die Einreisesperren als »völlig unbegründet und ungerechtfertigt« kritisiert. Außer der Liste mit den Namen habe Moskau »keinerlei andere Information über die rechtliche Grundlage, die Kriterien und den Prozeß dieser Entscheidung« übermittelt. Der EU-Parlamentspräsident Martin Schulz höchstselbst zeigte sich bestürzt: »Es ist inakzeptabel, daß dadurch das gegenseitige Vertrauen verringert und jegliche Anstrengungen behindert werden, einen konstruktiven Dialog für eine friedliche und anhaltende Lösung der gegenwärtigen geopolitischen Krise zu finden«, sagte er und sprach kurz danach russischen Diplomaten ein Hausverbot für das Parlamentsgebäude aus, in dem er der Hausherr ist. Kleinkarierter geht es schwerlich! Der Chef des Auswärtigen Amtes, Frank-Walter Steinmeier, vermied jede Verurteilung und hielt es, im Gegensatz zu seiner Zustimmung zu den vorangegangenen analogen gegen russische Politiker gerichteten Sanktionen »nicht für besonders klug, solche Einreiseverbote überhaupt auszusprechen«. Dies sei kein geeigneter Beitrag zu den Bemühungen, »einen hartnäckigen, gefährlichen Konflikt in der Mitte Europas zu entschärfen«. Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Michael Fuchs, dessen Name auf der Liste steht, fand es »unerträglich, daß Politiker auf diese Art und Weise mundtot gemacht werden sollen«.


Obwohl sich führende Russen bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit bekreuzigen und gute Christen, aber eben orthodoxe, sind, handelten sie nicht so, wie Jesus von Nazareth es in der Bergpredigt empfahl: »Ihr habt gehört, daß gesagt worden ist: Auge für Auge und Zahn für Zahn. Ich aber sage euch: Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin.« Nein, sie reagierten nach dem Motto: »Wie du mir, so ich dir.« Die Einreiseverbote der EU für 95 russische Staatsbürger – laut Außenminister Lawrow sind es mittlerweile 150 – hatten sie leider nicht zur Vernunft gebracht, obwohl davon namhafte Repräsentanten betroffen sind, darunter Sergej Schelesnjak, stellvertretender Vorsitzender der Staatsduma, Viktor Oserow, Vorsitzender des Sicherheits- und Verteidigungsausschusses des Föderationsrates, Wladimir Dschabarow, erster stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für internationale Angelegenheiten des Föderationsrates, und Sergej Mironow, Mitglied des Rates der Staatsduma und Fraktionschef der Partei Gerechtes Rußland.


Schlimmer noch: Auch die scharfe Kritik seitens NATO- und EU-Größen an der jüngsten Unterzeichnung des Gesetzes über »unerwünschte Organisationen« durch Wladimir Putin stieß im Kreml auf taube Ohren. Nach diesem Gesetz können russische Staatsorgane ausländische beziehungsweise internationale Nichtregierungsorganisationen (NGO) auf eine schwarze Liste setzen und ihre Tätigkeit in Rußland unterbinden oder zumindest erschweren. Die neue gesetzliche Verfügung verschärft das 2012 von der Duma verabschiedete Gesetz, nach dem von Ausland finanzierte NGO zu »ausländischen Agenten« erklärt werden können. Wie zu erwarten war, wurden diese gesetzlichen Regelungen von den meisten NATO- und EU-Staaten empört und entschieden verurteilt. Am lautesten fiel der Protest im Hort der Demokratie, beim selbsternannten Weltpolizisten aus. Laut dem State Department seien die USA »zutiefst besorgt« über »die zunehmenden Einschränkungen von unabhängigen Medien, der Zivilgesellschaft, Minderheiten und der politischen Opposition«. Wie jedes andere Volk verdienten die Russen »eine Regierung, die einen offenen Ideenaustausch, einen transparenten und verantwortungsvollen Regierungsstil, Gleichbehandlung vor dem Gesetz und die Möglichkeit zur Ausübung von Rechten ohne Angst vor Vergeltung« fördere. Die Washingtoner Reaktion auf das Putinsche Strangulierungsgesetz ist verständlich, denn »die US-Regierung unterstützt zivilgesellschaftliche Organisationen … in Rußland seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion«, wie der Tagespiegel schrieb, »mit mehreren Milliarden Dollar im Jahr«. Die genannte Summe ist gewiß übertrieben, es ist jedoch eine Tatsache, daß Jahr für Jahr Millionen und Abermillionen aus Washington nach Rußland fließen, in der Hoffnung, daß es im »Reich des Bösen« ähnlich wie in der Ukraine zu einem regime change kommt. Auch die Bundesrepublik, und hier besonders ihre Stiftungen, unterstützt und finanziert oppositionelle Organisationen in Rußland mit dem gleichen Ziel. Ein Staatsgeheimnis ist das nicht. Während in einem Dossier der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) festgestellt wird, daß die Rolle der politischen Stiftungen darin besteht, »politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Eliten, denen eine besonders wichtige Rolle bei der Etablierung demokratischer und marktwirtschaftlicher Strukturen zukommt, zu fördern«, heißt es in den Richtlinien des Auswärtigen Amtes über die Stiftungen unmißverständlich, sie trügen »zur Vorbereitung und Flankierung der deutschen Außenpolitik bei«. Dabei handelten sie zwar nicht im Auftrag der Bundesregierung, aber »mit ihrer Zustimmung und finanziellen Unterstützung«. Was Letzteres anbelangt, so ist die Höhe der für die russischen NGOs eingesetzten Mittel selbstverständlich topsecret.


So bleibt denn die Frage, wie die Bundesregierung und vor allem ihr Innenminister Thomas de Maizière reagieren würden, wenn der Kreml zum Beispiel die deutsche Linkspartei, die GBM, die VVN/BdA, Cuba si oder die AG Friedensforschung Kassel (Friedensratschlag) mit Millionenbeträgen unterstützte? Allein schon die Frage ist überflüssig, denn beide und natürlich auch die schwarz-rosa-grünen Parteien würden selbstverständlich lebhaften Beifall spenden und Dankschreiben an Präsident Putin schicken. Oder etwa nicht?