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Titel1315

Bemerkungen

Im Namen der Freiheit
ist in der Ukraine das Zeigen von Symbolen der Sowjetunion verboten worden. Hammer und Sichel und der Rote Stern werden von öffentlichen Gebäuden und Denkmälern entfernt. Dafür kommt die Wolfsangel der Bandera-Anhänger hin, denn das waren nämlich keine Faschisten, sondern Freiheitskämpfer.


Der ukrainische Staat hat ja sonst keine Sorgen. Ach doch: Die ukrainische Eisenbahn ist pleite und kann ihre Rechnungen nicht bezahlen. Die Bahn? Nein, der Staat ist pleite. Er kann die Zinsen für einen Kredit, den die Bahn aufgenommen hat, nicht zahlen. Dafür übernehmen die USA die Bürgschaft über mehrere Milliarden Dollar Schulden der Ukraine. Das ist der Segen der Freiheit – und des Verbrechens.

Jane Zahn


Poststreik in der Presse
Die Ostsee-Zeitung (OZ) widmete sich am 11. Juni dem Poststreik und berichtete, daß sich in Mecklenburg-Vorpommern 300 Briefträger und Paketboten im Ausstand befinden. Und sie weiß: »Die ersten Internethändler werden nervös und wechseln den Zustelldienst.« Mit Namen und Foto wird im Beitrag der Paketbote Ralf Köhn genannt, der »eigentlich lieber arbeiten als streiken« würde.


Die OZ ist ein Tochterunternehmen der Lübecker Nachrichten. Seit dem 31. Dezember 2009 gehören beide Zeitungen zum Imperium der Verlagsgesellschaft Madsack in Hannover.


Breit werden die Händler im Beitrag genannt, die der DHL den Rücken kehren wollen. Im Beitrag wirbt die OZ für den Wechsel der Versandhändler zum Deutschen Paket Dienst (DPD). Der beutet wie kein anderes Zustellunternehmen seine Zustellfahrer, die selbständig sind, aus. Per E-Mail wies ich den Chefredakteur Andreas Ebel auf den gewerkschaftsfeindlichen Beitrag und auf das Buch »Geld schreibt« von Upton Sinclair hin. In seiner Antwort schrieb der leitende Redakteur: »Wie Sie auch an unserer Berichterstattung vom heutigen Tag sehen können, berichten wir darüber, warum Bedienstete der Post streiken. Aber natürlich gehört es auch dazu, über die Auswirkungen zu berichten. Wir haben den Anspruch, ausgewogen zu berichten und die Themen von allen Seiten zu beleuchten.« Was ist heute schon ausgewogen? Sinclairs Buch hat nichts an Aktualität verloren: Geld schreibt.

Karl-H. Walloch


Medialer Flankenschutz
Es ist schon erstaunlich, mit welch simplen Mitteln die bundesdeutschen Medien nun seit gut sechs Jahren dafür sorgen, daß die Hintergründe der griechischen Schuldenkrise vernebelt werden. Ein paar Stereotype aus der Mottenkiste der nationalen Vorurteile sowie Standardfloskeln und andere Vorgaben, oft aus dem Hause Schäuble, scheinen auszureichen, um die Bevölkerung im dunkeln tappen und die wirklichen Motive der deutschen Regierung und der hinter ihr stehenden Machtgruppen auch nicht einmal ahnungsweise aufscheinen zu lassen.


Zu Beginn der Schuldenkrise reichten Stereotype des angeblich faulen, doch gleichzeitig hinterlistigen Griechen aus – sie wurden 2009 und 2010 auf breiter Front in Stellung gebracht und können jederzeit abgerufen werden. Die wahre Situation, das heißt die Hintergründe des griechischen Kreditbooms vor dem Ausbruch der Weltfinanzkrise – und dazu gehört auch die Rolle deutscher Konzerne – kann man auf diese Weise ausblenden. Es folgten die Jahre der Memoranden, des europäischen Spardiktats, die als Strafe dafür hingestellt wurden, daß die Griechen »über ihre Verhältnisse gelebt« hätten. Die deutschen Medien brachten es fertig, die Probleme auch dann noch zu verschweigen, als die humanitäre Krise unvorstellbare Ausmaße angenommen hatte und Fachkreise längst das völlig Destruktive des deutsch-europäischen Kurses anprangerten. Dennoch folgte die Presse den Berliner Dogmatikern und kolportierte bei jeder Gelegenheit Schäubles zynisches Diktum: »Griechenland ist auf einem guten Weg.« Als dort die neugewählte linke Regierung die Notbremse zog, ja ziehen mußte, gab es, den Vorgaben aus Berlin folgend, statt Sympathie und Unterstützung jede Menge Häme, ja Diffamierung sowie die übliche Desinformation. Unter »Reformen« versteht die deutsche Regierung brutale Kürzungen, etwa im Bereich des Gesundheitswesens oder der Renten.


Nachdem die immer noch offene Frage der Reparationen mit konkreten Statistiken und Schätzungen auftauchte, versuchte man in Berlin wieder die alte Methode der Abwiegelung (»alles längst verjährt«). Allerdings kam es auch zu einer bemerkenswerten, wenn auch kurzfristigen, Unterbrechung des eingespielten, einseitigen Mediendiskurses, als die ARD-Tagesschau gleich mehrfach zeigte, wie reichsdeutsche Bomber 1941 Griechenland angriffen und die dreijährige Besatzungsherrschaft zu Tod und Verelendung Hunderttausender Griechen führte. Wollte man wenigstens für einige Minuten das jahrzehntelange Verschweigen dieser bei anderen Europäern wohlbekannten historischen Tatsachen korrigieren? Doch sobald es um Konsequenzen, das heißt Geld, geht, besinnen sich die bundesdeutschen Medien wieder auf ihre Aufgabe: dem bundesdeutschen Wirtschaftsnationalismus Flankenschutz zu geben.

Jürgen Pelzer


Die Bankenkrise von 1931
In Ossietzky 8/12 stellte ich ein Projekt der Bremer Historikerin Eva Schöck-Quinteros vor, das den Namen »Aus den Akten auf die Bühne« trägt. Der Name spricht für sich: Die Historikerin läßt Studierende die Akten zu bestimmten Themen durcharbeiten. Anschließend entsteht einerseits ein Band mit wissenschaftlichen Aufsätzen, andererseits mit Hilfe der Bremer Shakespeare Company eine Textauswahl, die die Basis einer szenischen Lesung bildet.


Im oben erwähnten Artikel ging es um die Entnazifizierung von Frauen in Bremen. Die Aufführung fand an demselben Ort statt wie seinerzeit die Verhandlungen der Spruchkammer: im »Haus des Reichs«, der Bremer Finanzbehörde. Errichtet wurde dieses mächtige Gebäude von den Brüdern Lahusen, den Besitzern der Firma »Nordwolle«. Bevor sie es jedoch beziehen konnten, war ihr Unternehmen pleite.


Die Geschichte des Untergangs von »Nordwolle« sowie dessen Folgen werden jetzt in der aktuellen szenischen Lesung »Prunk und Pleite« dargestellt. Der Titel verrät bereits einen der Gründe für die Pleite der Brüder Lahusen, ihre unglaubliche Verschwendungssucht, dokumentiert am Beispiel des Neubaus eines Herrenhauses mit mehr als 100 Zimmern auf Gut Hohehorst. Die Kehrseite war die konfrontative Praxis gegenüber den von ihnen beschäftigten Arbeiterinnen und Arbeitern: So streikten diese vom 4. April bis 13. August 1927 für einen garantierten Mindestlohn, konnten sich aber gegen die Firmenleitung nicht durchsetzen. Die Direktoren der »Nordwolle«, Hartong und Horst, vertraten auch in der 1926 gegründeten Gesellschaft für deutsche Wirtschafts- und Sozialpolitik eine deutlich rechts von den bestehenden Wirtschaftsverbänden positionierte Sozialpolitik. (Bezüge zur späteren faschistischen »Deutschen Arbeitsfront« sind deutlich zu erkennen.)
Die Pleite der »Nordwolle« riß die Danat-Bank (Darmstädter und Nationalbank) mit in den Abgrund und löste die deutsche Bankenkrise von 1931 aus. Die Weltwirtschaftskrise war nun auch in Deutschland manifest geworden.


Die Aufführung widmet dem Prozeß gegen die Brüder Lahusen, der vom 29. August bis 29. Dezember 1933 stattfand, breiten Raum und stellt die »große Geschichte« den Verfehlungen der »Charaktermasken« des Kapitals gegenüber. Kurz wird auch auf G. Carl Lahusen nach seiner Haftentlassung eingegangen und auf seine Versuche, in Berlin in der Textilbranche wieder Fuß zu fassen.


»Aus den Akten auf die Bühne« genießt im Bremen ein derartiges Renommee, daß die Premiere, die am 19. Mai im Theater am Leibnizplatz stattfand, ausverkauft war. Das Publikum wurde auch dieses Mal nicht enttäuscht; zwar betonte der Regisseur und Schauspieler Peter Lüchinger zu Beginn der Aufführung, bei der dargebotenen szenischen Lesung handle es sich nicht um Theater, doch anschließend wurde tatsächlich mitreißendes Theater – auf Grundlage von Akten! – geboten.

Lothar Zieske

Weitere Aufführungen: am 22. Juni und 1. Juli im Theater am Leibnizplatz, Bremen, am 2. Juli in Delmenhorst. Zur Projektreihe und zu den Lesungen gibt es Begleitbände, siehe www.sprechende-akten.de.


Abwärtsspirale
In Zeiten wachsender Aggression gegenüber Ausländern, deutschen Bürgern mit Migrationshintergrund oder anderen Glaubens, wuchernder Intoleranz und der Empörung des »gesunden Volksempfindens« der Marke: »Man wird doch wohl noch sagen dürfen« oder für noch schlichtere Gemüter: »Mut zur Wahrheit«, in einer Stimmung, für die Brecht die Formel fand: »Denn die Güte war im Lande wieder einmal schwächlich/ Und die Bosheit nahm an Kräften wieder einmal zu«, in dieser Situation, in der Übergriffe und Schmierereien, Pöbeleien und Schändungen fremder Kultstätten vorkommen, kann ein Text hilfreich sein, der sachlich den Umgang mit »Fremden« zur Diskussion stellt: Kay Löfflers dokumentarische Erzählung: »Krystyna – eine Ausländerakte«.


Reale Beispiele vor Augen hat er eine authentische Akte verfremdet und erzählt, wie eine junge Frau scheitert. Mit ihrer Mutter und Schwester flieht sie vor dem Vater und dessen Alkohol-Problemen aus Polen in die Bundesrepublik. Die Not, die sie aufbrechen läßt, entwickelt eine eigene Dynamik. In Deutschland findet Krystyna noch nicht einmal eine Bahn, aus der sie geworfen werden könnte, kommt nie wirklich an, statt einer neuen Heimat erlebt sie nur Kälte, lernt falsche Freunde kennen, verliebt sich in einen jungen Mann, der kein »normales Leben« führt, ihr keinen Halt geben kann.


Ihr Leben finanzieren sie durch Diebstähle und Einbrüche, müssen auch für ihre Kinder aufkommen, was für die beiden ohne Berufsabschluß nicht leicht ist. Ganz sachlich schildert Kay Löffler, wie Krystyna sich immer tiefer in kriminelle Handlungen verstrickt, trotz erkennbar guter Absichten – und just in dem Milieu landet, das nicht nur Stammtische ihr und ihresgleichen pauschal nachsagen, ohne nach Umständen oder Ursachen zu fragen. Auch die staatlichen Stellen und ihre Vertreter, benehmen sich eigentlich nicht unfair, tun lediglich korrekt »ihre Pflicht«. Angenehm fällt auf, daß Kay Löffler seine Heldin nicht als »Opfer« stilisiert, nichts beschönigt. Am Ende der Abwärtsspirale durch die »Mühlen der Bürokratie« steht die Abschiebung.


Kay Löffler läßt Krystyna für die Misere ein Bild finden: »Die großen Städte zerstören alles. Wenn Schnee fällt, bleibt er nur ein, zwei Tage weiß. Dann wird er grau … schmutzig. Und so geht es auch den Menschen dort ...« Die bekannten Ratschläge der Populisten greifen nicht. Hier liegt ein Buch vor, dem man in Pegida-vergifteten Zeiten viele Leser wünscht. Daß es keine einfachen »Lösungen« anbietet, macht die Stärke des Bandes aus – ähnlich wie Kay Löffler schon in früheren Romanen »Dorf der Wolkenmacher« (über die Probleme der Braunkohle-Tagebaue) und »Aus einem deutschen Getto« soziale Fragen differenziert aufwirft. Nachdenklich macht der Band, weil er anregt, verbreitete Klischees zu hinterfragen. Als Schullektüre könnte er helfen, Vorurteile und Feindbilder zu überwinden.

Andreas Rumler

Kay Löffler: »Krystyna – eine Ausländerakte«, Amazon Distribution, 46 Seiten, 3,75 €