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Ausstellung als Politikum  (Peter Arlt)

»Dies bräuchte es öfter auf der ganzen Welt«, schrieb der Botschafter der Russischen Föderation Wladimir Grinin ins Goldene Buch der Stadt Gotha, denn: »Unsere gemeinsame Ausstellung ist ein großer Beitrag zur Festigung des gegenseitigen Verständnisses und der Freundschaft zwischen Russland und Deutschland.« Man fragt, da soeben erst vor Murmansk das deutsch-russische Atom-U-Boot-Abrüstungsprojekt endete: Wo bleiben die neuen Projekte? Ist die Kooperation des Herzoglichen Museums am Schloss Friedenstein Gotha mit dem Puschkin-Museum in Moskau ein Testfall?

 

Das Ausstellen von 14 Gemälden und 13 Grafiken des Puschkin-Museums Moskau in Gotha gerät deshalb zu einem politischen Ereignis und wird ringsum gelobt. Schirmherr Bundesaußenminister Sigmar Gabriel würdigt im Grußwort des Kataloges, dass die Stadt Gotha ein Exempel setzt: »Die Stadt hat bewiesen, was zivilgesellschaftliches und kommunales Engagement erreichen können.« (Sogar gegen staatliche Doktrin?) Gabriel erinnert, »wie eng der kulturelle und gesellschaftliche Austausch in Europa von Moskau bis Paris seinerzeit war«, wünscht es auch für unsere Zeit und erwartet von den Partnern, »die langjährige vertrauensvolle Zusammenarbeit beider Städte und Museen« fortzuführen, die 2016 mit der Cranach-Ausstellung in Moskau großen Publikumserfolg zeitigte.

 

Im Fokus der Cranach-Ausstellung standen Werke aus Gotha, worunter 1946 kriegsbedingt nach Moskau verbrachte Gemälde fallen. An diesem Angelpunkt hängen Gothaer Interessen. Die in Gotha früher anders redeten, bekennen zwar partnerschaftliche Verbundenheit und Freundschaft, aber im Hinterstübchen fehlt es ihnen, schon wegen des 1998 verabschiedeten russischen Gesetzes, das die aus Deutschland verbrachten Kulturgüter zu russischem Staatseigentum erklärt, an einer für sie einvernehmlichen Lösung. Als man 2009 über den »Abtransport deutscher Sammlungen in die Sowjetunion 1945/46« in Gotha diskutiert hatte, wurde der Abtransport der »Beutekunst« mit der Frage »Ein Verlust für die deutsche Identität?« verbunden, die jetzt auch der Staatsminister für Europa, Michael Roth, aufwarf. Unbetrachtet blieb der Zusammenhang, ob der von Deutschland ausgehende Zweite Weltkrieg mit den durch deutsche Schuld zerstörten Städten und Kunstwerken nicht Verluste für die sowjetische/russische Identität bedeutet habe und Entschädigung verlangt. Manchmal wird in Gotha wegen der »verlorenen Cranachs« scherzhaft davon gesprochen, das Museum des russischen Kooperationspartners sei eine »Außenstelle Gothas«. Doch Oberbürgermeister Knut Kreuch (SPD) wies die Kritik an Russland zurück: »Wenn nach 30 Jahren in Deutschland keine gestohlene Kunst zurückgegeben werden muss [gemeint ist der aus Gotha entwendete prunkvolle Elfenbeinpokal, der kürzlich auktioniert worden ist], sollte man das unterlassen.« – Ein gutes Vertrauensverhältnis wächst nur, so stellte der russische Kunstwissenschaftler und Politiker Michail Schwydkoj fest, auf der Position: »Alles muss dort bleiben, wo es ist!«

 

Doch zurück zur aktuellen Ausstellung: Gotha – zwischen Moskau und Paris – zeigt Meisterwerke der französischen Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts.

 

Die Barockmaler konnten auf ideale Weise mit Licht die Bildmotive hervorheben, zurücktreten lassen und malerisch zu einer Bildeinheit zusammenschließen und dabei die Bewegung steigern. Dem großen Anreger zur sensualistischen Naturwiedergabe, Caravaggio, folgte Simon Vouet nach, von dem ein schönes Bild mit einem Paar erwachsener Liebesannäherung zu sehen ist.

 

»Josuas Sieg über die Amoriter« ist keineswegs ein naturalistisches Schlachtengemälde, Nicolas Poussin knüpft an rationalistische Typologie von Verhaltensmodi an, setzt Stoff und Gestaltung in die entsprechende Grund-Tonart um, in den phrygischen Modus für schreckliche Kriegsszenen.

 

Das harmonisch geordnete System des Universums liebt Claude Gellée, gen. Lorrain, und gliedert es im Bildraum streng und poetisch. In dem utopisch scheinenden Gefilde menschlichen Beisammenseins wird Marsyas gehäutet – zur Strafe, weil er Apollo zum musikalischen Wettstreit herausgefordert hatte.

 

Im Endzeitbewusstsein zog sich der Adel ins Private zurück, in die Intimität. Mit dem neuen Naturgefühl des rousseauschen »Zurück zur Natur« bewegten sich die geselligen Paare tänzelnd und scherzend in den Parks. In der Nachfolge Antoine Watteaus liebt bei Nicolas Lancret die »Gesellschaft am Waldrand« die wechselnde amouröse Idylle. Im Rokoko feiert beim leitbildsetzenden Künstler, François Boucher, die aufreizende Mischung aus Erotik und Keuschheit im Gemälde »Jupiter und Kallisto« einen geistreichen Triumph. Jupiter, sein Attribut der Adler, verführt Kallisto in der Gestalt der Diana, deren Lieblingsjagdgefährtin sie war. Heimtückisch und selbstsüchtig? Es ist die wohl einfühlsamste Darstellung lesbischer Liebe, die nicht die Gefühle der Frauen entwertet.

 

Die Ausstellung begleitet ein gut gedruckter Katalog (112 Seiten, 19,95 €), der eine politische Rarität darstellt und mit aufschlussreichen Texten bei Boucher an seine Bühnenbilder und sein »Teppichprinzip« oder beim Sujet von Lorrain auf das Vorbildliche von Raffael hinweist. Neu ist mir, dass Narziss ertrunken sein soll, als wollte er den Quellpokal austrinken, bevor er verwandelt wird.

 

Die Gastausstellung gab Gotha einen Anstoß, sich der französischen Malerei in der eigenen Sammlung zuzuwenden.

 

»Das Puschkin-Museum Moskau zu Gast: Meisterwerke der französischen Kunst«, bis 13. August, Herzogliches Museum Gotha, Schlossplatz 2