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Revolution museal  (Monika Köhler)

Die rote Fahne, Zeichen der Revolution, sie wehte auf dem Hamburger Rathaus nur vom 12. November 1918 bis Ende März 1919. Immerhin, der Arbeiter- und Soldatenrat schaffte es, Senat und Bürgerschaft abzusetzen – gegen die Stimmen der SPD. Schon am 6. November war eine »Tannhäuser«-Aufführung vorzeitig abgebrochen worden auf Anweisung der Stadtkommandantur. Drei Soldaten mit roter Armbinde und aufgepflanztem Bajonett erschienen auf der Bühne, mitten im Takt, erklärten, es könne zu Schießereien kommen auf der Dammtorstraße.

 

Senator Carl Petersen lud später die Revolutionäre zum Frühstück in die altehrwürdigen Senatsräume – Sektfrühstück? So konnte es geschehen, dass schon am 18. November Senat und Bürgerschaft wieder eingesetzt wurden: Die Kreditfähigkeit der Hansestadt war bedroht. Der Arbeiter- und Soldatenrat behielt ein Vetorecht und durfte Abgeordnete in Senat und Finanzbehörde entsenden – die Revolution verlief in Hamburg im Vergleich zu anderen Städten reichlich ruhig.

 

Die Ausstellung im Museum für Hamburgische Geschichte: »Revolution! Revolution? Hamburg 1918/19« (bis 25. Februar 2019) stellt die Frage, ob es wirklich eine Revolution war, an Besucher, die auf Kärtchen ihre Meinung notieren können. »Revolution ist für mich ...« Oder ein Quiz, heute oder damals? Beispiel: »Die sozialdemokratische Außenpolitik ist dem Frieden verpflichtet« – 1917 oder 2017? Gute Frage! In der Ausstellung viele Plakate, Zeitungsausschnitte, Aufrufe, aber auch Objekte wie Arm- und Beinprothesen der Kriegsbeschädigten und Waffen. Auch eine rote Fahne, die als Relikt der Revolution gehütet wurde.

 

Die Geschichte dieser Fahne – in der Ausstellung nur ausschnittweise. Durch Nachfragen erfuhr ich, dass die Fahne aus dem Jahr 1919 stammt. Im Dezember 1920 wurde sie bestickt mit den Buchstaben »V.K.P.D.«, als die KPD sich mit der USPD vereinigte. Es heißt, die Fahne habe während des Arbeiteraufstands 1923 in einem Viertel im Nordosten Hamburgs geweht. 1933-45 musste sie versteckt werden. 1945 wurde sie zum Signum der wiedergegründeten KPD-Ortsgruppe Hamburg-Horn. Nach dem Verbot der KPD in der BRD musste die Fahne im August 1956 in einer Wassertonne verborgen werden. Im Herbst wurde sie in die DDR eingeschleust. 1959 dann wird sie als Auszeichnung vergeben: der Kampfgruppe des VEB Fleischkombinats Karl-Marx-Stadt. Im April 1976 verlässt sie das Fleischkombinat. Dort wird sie mit militärischem Zeremoniell an Vertreter (Angehörige der NVA in Uniform) des Armeemuseums der DDR übergeben. Heute in der Sammlung des Militärhistorischen Museums in Dresden.

 

»Die deutsche Kriegsmarine unter der roten Flagge« verkündete die Titelzeile der linksliberalen Tageszeitung General-Anzeiger für Hamburg-Altona am 5. November 1918. Was in Kiel geschah, Hamburg wollte nicht zurückstehen. Aufruhr bei Blohm & Voss. Ein Sympathiestreik, den die USPD angekündigt hatte, konnte nur kurz verhindert werden von Vertretern der MSPD und Gewerkschaften, die erst einmal abwarten wollten. In der Nacht zum 6. November entwaffneten Matrosen die im Hafen liegenden Torpedoboote. Die Besatzungen schlossen sich ihnen an. Der alte Elbtunnel, der Hauptbahnhof und das Gewerkschaftshaus wurden besetzt. Schon morgens um 8 Uhr hatte sich ein provisorischer Arbeiter- und Soldatenrat gegründet. Auf den Kriegsschiffen im Hafen wehte die rote Fahne.

 

Der kommandierende General Adalbert von Falk floh aus Hamburg schon am 6. November. Fast alle dort stationierten Truppen schlossen sich der Revolution an. Und was wurde erreicht? Dass auch der Kaiser floh – kein Verdienst der Hamburger. Das, was Theodor Wolff, Chefredakteur des liberalen Berliner Tageblatts, am 10. November noch die »größte aller Revolutionen« nannte – 1936 sah er alles viel nüchterner. Sebastian Haffner schrieb 1969 von der »verratenen Revolution«.

 

 Wie kommunizierten Revolutionäre und andere? Neben dem Telefon und mündlichen Mitteilungen waren Flugblätter, Handzettel und Plakate die Informationsquellen. Viele Abbildungen im Katalog (Wachholz-Verlag, 352 Seiten, 29,80 Euro in der Ausstellung). Immer wieder Aufrufe zum Wählen, besonders an Frauen gerichtet, die das erste Mal diese Möglichkeit hatten, auch die, gewählt zu werden. Ihre Wahlbeteiligung an der Bürgerschaftswahl in Hamburg am 16. März 1919 betrug 90,6 Prozent, etwas mehr als bei den Männern. Alles sollte anders werden. Auch in der Bildung. Das Schulgeld fiel weg, aber auch der Religionsunterricht. Die Freiheit der Meinungsäußerung in Wort, Schrift und Bild, Pressefreiheit und die Aufhebung der Zensur – erkämpft von den Revolutionären. Nicht zu vergessen: die Mitbestimmung der Arbeitnehmer und die Frauenrechte.

 

Im Arbeiterrat gab es eine einzige Frau: Erna Halbe, eine Kindergärtnerin. 1892 in Hamburg geboren als Erna Demuth, aus einer SPD-Familie kommend, trat auch sie 1910 dieser Partei bei. 1916 wurde sie ausgeschlossen, weil sie gegen neue Kriegskredite protestierte. Sie wandte sich wirklich Linken zu. Wegen des Verteilens von Antikriegsflugblättern wurde sie 1918 zu 30 Monaten Zuchthaus verurteilt. In diesem Jahr starb auch ihr Mann im Krieg. Als die Revolution begann, kam sie frei. 1919 trat sie der KPD bei und wurde 1921 Bürgerschaftsabgeordnete. 1929 schloss die KPD sie aus. 1933 musste sie untertauchen und emigrierte. 1950 kehrte sie zurück und trat wieder in die SPD ein. Sie starb 1983 in Frankfurt/Main.

 

Die Frauen hatten mit Versorgungsproblemen zu kämpfen, mit Hunger und Krankheiten – die spanische Grippe wütete. Männer kamen als Invaliden aus dem Krieg zurück, Krankenhäuser wurden zu Lazaretten, waren überfüllt. Auch im Jahr 1919, nach den Bürgerschaftswahlen im März kam Hamburg – wie es in einem Text der Ausstellung heißt, »nicht zur Ruhe«. Denn »Unruhen« erschütterten den Alltag. Ein Plakat mit einem trommelnden Soldaten. Rote Schrift: »Parole Frieden! Wir erreichen ihn durch Ordnung!« Dieses Wort dick unterstrichen. Ein Plakat der sogenannten Beruhigungsreklame, wohl schon von Ende 1918. Zur »Wiederherstellung der Ordnung«, so weiter im Text der Ausstellung »stand der Hamburger Regierung unter anderem das Freikorps Bahrenfeld zur Verfügung«. Die neutrale Erklärung, dass es einer der vielen »Freiwilligenverbände« war, die »in Absprache mit den leitenden Militärdienststellen gebildet wurden«. Ehemalige Frontsoldaten. Weiter: »Obwohl zumeist konservativ und monarchistisch gesinnt [warum wohl?], stellten sie sich der Regierung zur Niederschlagung von Aufständen zur Verfügung.« Um welche Ordnung wiederherzustellen? »So marschierte auch das Korps Lettow-Vorbeck am 1. Juli 1919 in Hamburg ein.« Die Stadt war seit Ende Juni in »Aufruhr« – nach einem Lebensmittelskandal, den »Sülzeunruhen«. Nur im Begleitband erfährt man einiges über diesen Helden Paul von Lettow-Vorbeck, den ehemaligen Kommandanten der »Schutztruppen« in Deutsch-Ostafrika, der mit 10.000 Mann, Geschützen, MGs, Minenwerfern, einer Fliegerabteilung und Panzern in die Stadt einmarschierte – Ordnung schaffte. Die verratene Revolution.