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Titel1319

Oskar Schlemmer in Gotha  (Peter Arlt)

Die Vision des neuen Menschen wurde von Oskar Schlemmer (1888-1943) im Relief »Homo mit der Rückenfigur auf der Hand« in Kreisen, Kreisbögen wie in ovalen und parabel- und hyperbelförmigen Kurven und in Birnenform mit Stahldraht und Nickelelementen geometrisch wie stereometrisch zum Ideal ausgelegt. Der verschieden dicke Draht hebt die Figur aus der Ebene körperlich in den Raum. Nicht nur der »Gelenkapparat von wundervoller Exaktheit der Funktionen« ist erkennbar, sondern selbst in den Körperformen ein männliches »Wesen aus Fleisch und Blut« (O. Sch.) mit Lippen, zierlichen Füßen und dem Genital aus Kleeblattformen. Auf der Hand trägt der Mensch aus verkupfertem und vernickeltem Zinkguss eine kleine Rückenfigur, die sein Erzeugnis ist. Mit der Entmaterialisierung und Abstraktion entspricht Schlemmers Formenlehre ganz jener Grundtendenz zur Elementarisierung wie bei Kandinsky, Klee oder Jawlensky. Das kostbare Material und die schönen schwungvollen Formen heben die Menschendarstellung in einen vornehmen Modus. Den Entwurf zum »Homo« von 1920/21 entwickelte Schlemmer zehn Jahre später zur Wandplastik. Ein bildmäßiger Vergleich zur Originalversion, die immer noch im privat genutzten Haus Dr. Rabe in Zwenkau bei Leipzig zu erleben ist, wäre für die Ausstellung gut gewesen, denn das Kunstmuseum Gotha zeigt eine 1968 fertiggestellte Edition von Anton Steinlechner und Siegfried Cremer. Mit dem über drei Meter großen Werk wird der Ausstellung als »Schlemmers Vision einer idealen Kunstfigur« (Untertitel) ein monumentaler Auftakt verliehen und als Ziel die künstlerische Schöpfung des Menschen gezeigt. Zu beachten ist, dass Matthias Eberle 1989 diese Symbolisierung als »Wandlung Adams zu Prometheus durch Geometrie« definiert hat (Literaturverzeichnis des Kataloges). Der Antikebezug Schlemmers wird zwar erwähnt, doch nicht die Rezeption antiker Mythen. Dazu wären bei »Zwei Mädchen mit rotem Faden«, 1935/36, aus der Zeit der Auswegsuche der Ariadnefaden oder die an Janus erinnernden entgegengesetzten Kopfformen bei Tischgesellschaften oder Gruppen im Raum unter den etwa 80 Bildern und Objekten zu entdecken. Dank der Kooperation mit der Staatsgalerie Stuttgart, die 2017 den Gothaer Tafelaltar zeigen konnte, kamen 32 Aquarelle nach Gotha sowie fachliche Unterstützung. Auch andere Leihgeber, wie das Von der Heydt-Museum in Wuppertal und das Folkwang Museum in Essen, steuerten exzellente Leihgaben bei.

 

Die retrospektive Werkschau stellte der Gothaer Kurator Timo Trümper zusammen und gliederte sie motivlich nach »Tischgesellschaften«, »Geländer- und Treppenszenen«, oft auf Karos von Fliesenböden gestellt wie bei einem Brettspiel, »Bühnenbilder und Maschinen« mit Aquarellbildern von Kandinsky, auf ihnen das Große Tor von Kiew und Figurinen. Im Teil »Menschenbild der Moderne« kann die Zeichnung »Weiblicher Profilkopf und Gesicht«, 1925, vorführen, wie Schlemmer seine Urform zwischen den Polen Abstraktion sowie Natur gegen das Porträt in Menschen-Typen ermisst. Die ägyptisch streng ausgerichteten vertikalen und horizontalen Achsen werden die jugendlichen Figuren differenziert durch Kopfneigungen, die Gefühle, Konzentration und Genderspezifisches (»Mädchenreigen«) ausdrücken. Hinzu kommen perspektivische Tisch- beziehungsweise Stuhllehnen-Darstellungen, die vom Farbauftrag betont einen Schwung aufweisen, den Schlemmer selbst als »barock« empfand. Dazu die Abschnitte »Wandgestaltung« und »Rückblicke und Reflektionen« mit Fenster-Bildern und Stillleben (»Apathie«) voll Melancholie als die Faschisten Schlemmers Kunst als entartet geißelten und Werke zerstörten.

 

Oskar Schlemmer war ein Maler, der neben Paul Klee und vor Wassily Kandinsky ans Bauhaus berufen wurde. Das Angebot von Walter Gropius traf Schlemmer, als er bei den Bühnenbild- und Kostümentwürfen für die Uraufführung der Oper von Paul Hindemith und Oskar Kokoschkas »Mörder, Hoffnung der Frauen« am Stuttgarter Landestheater war. Eine Filmsequenz zeigt Oskar Schlemmer als Dritten, neben dem Tänzerpaar Albert Burger mit Elsa Hötzel, im Triadischen Ballett, eine Dreiheit von Tanz, Bildender Kunst und Musik, zu dem Schlemmer zehn Figurinen schuf. Nach Eberhard Roters war »Schlemmers theatralische Sendung seine bedeutendste Leistung für das Bauhaus«; er wurde »Meister der Form«, erst für Steinbildhauerei, und dann übernahm er die Bühnenwerkstatt. Damit trug er zu Gropius‘ Vorstellung bei, am Bauhaus sich dem Ideal vom Gesamtkunstwerk zu stellen. Obwohl Gropius darunter einen Bau der Zukunft verstanden hat, geht die Idee auch auf die mittelalterliche Bauhütte und die romantische Vorstellung von ihr und dem Metaphysischen zurück. Schlemmer, der zwischen Kunst und Technik keinen grundsätzlichen Bruch sah, entsprach voll der Bauhaus-Idee, die er 1922 im endgültigen Bauhaus-Signet fasste. Schlemmer schuf auf einer anderen künstlerischen Ebene schöpferischer Vollkommenheit Marionettenfiguren und entwickelte im erhabenen Modus das graziöse Bild vom Menschen, der im Zentrum eines imaginären Raumes steht, welcher durch die Bewegung und Ausstrahlung des Menschen, der sich im Gleichgewicht harmonischer Bewegung befindet, geschaffen wird, wie es bei ihm in »Mensch und Kunstfigur« heißt.

 

Die auf Grundformen reduzierten Körper besitzen Strenge und werden in enge Raumzellen und weitere Raumperspektiven gestellt, dabei spielen Geländer- und Treppenszenen auf zwei Ebenen eine Rolle.

 

Der Medienkünstler Alexander Kluge (87) beschenkte die Ausstellung mit einer multimedialen Bauhaus-Hommage. Sie erfährt im eigenen Raum eine Weiterführung von Schülern Gothas, die der Bildhauer und Maler Karsten Kunert anleitet und deren Kunstobjekte dort zu sehen sind und mittwochs mit neuen präsentiert werden. Der Erfurter Künstler lehrt an der Weimarer Bauhaus-Universität die Grundmodule des klassischen Bauhauses; die begeisterten Studenten servieren ihm ihre neugewonnenen Einsichten, auf die er wie beim Ping-Pong-Spiel zu reagieren hat. Das zeigt Kunert in einem Bild in der Ausstellung »Anlass Bauhaus 100«, wo er mit 41 Kollegen vom Verband Bildender Künstler Thüringens die kreative Beziehung zum Bauhaus Ereignis werden lässt.

 

»Oskar Schlemmer. Das Bauhaus und der Weg in die Moderne«, bis 28. Juli, Herzogliches Museum Gotha, Schlossplatz 2, täglich von 10 bis 17 Uhr. »Anlass Bauhaus«, bis 11. August, KunstForum Gotha, Querstraße, dienstags bis sonntags von 10 bis 17 Uhr.