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Titel142013

Papiertiger  (Christophe Zerpka)

Mein Freund Arwed ist gelernter Schriftsetzer. Die Betonung liegt auf gelernt. Denn ausgeübt hat er diesen Beruf nie. Als er Mitte der 1970er Jahre ausgelernt hatte, war dieses einst hochgeschätzte Metier schon am Aussterben, die Ausbildung wurde 1980 als Lehrberuf eingestellt. Arwed hat sich den Verhältnissen schnell angepaßt und ist heute erfolgreich im Immobiliengeschäft tätig.

Fortan wurden Zeitungen mit Hilfe der EDV gesetzt, das sparte Zeit, Geld, und der Redaktionsschluß konnte nach hinten verschoben werden. In den 1990er Jahren folgte eine weitere Revolution. Das Internet hatte sich inzwischen soweit entwickelt, daß es auch für Zeitungsverlage interessant wurde. Das Papier wurde ungeduldig und wollte den Zeitgeist nicht verpassen. Große Zeitungen legten sich, weder Kosten noch Mühe scheuend, Online-Ausgaben zu. Im Oktober 1994 eröffnete der Spiegel als erste Zeitung einen www-Ableger. Es dauerte mehr als ein Jahrzehnt, bis es den Zeitungsmachern zu dämmern begann, daß man sich durch den Online-Auftritt den Ast absägt, auf dem man sitzt. Denn die Zeitung auf dem Bildschirm war nicht nur aktueller als das Produkt aus der Rotation, sie war auch kostenlos. Die Print-Auflagen begannen zu sinken, die Werbeeinnahmen brachen ein, das Geld wurde knapp. Das »Holzprodukt«, wie man die Papierzeitung nun spöttisch bezeichnete, schien ein Auslaufmodell für alte Leute und unverbesserliche Ästheten mit Hang zum Haptischen.

Gleichzeitig begann eine schleichende Konzentration der Zeitungsverlage, große Medienkonzerne kauften sich in Familienbetriebe ein oder übernahmen sie ganz. Darunter leidet nicht nur die Medienvielfalt. Auch die Journalisten müssen erleben, wie Status und Renommee dieses »Traumberufs« immer mehr abnehmen. Die meisten Journalisten erleben eine berufliche Degradierung ähnlich anderen ehedem privilegierter Gruppen wie Ärzte, Lehrer und Hochschullehrer. Viele Aufgaben, die früher fest angestellte Journalisten erledigten, werden nun an »freie« Kollegen ausgelagert. Gleichzeitig unterliegen die Journalisten mit festem Gehalt einer immer stärkeren Arbeitsverdichtung. Im Jahr 2000 gab es bei den Tageszeitungen noch 15.000 Journalisten, 2011 waren es noch 13.000, Tendenz fallend. Eine Betrachtung der Stellenangebote auf Internetportalen wie Newsroom macht deutlich, wohin die Reise geht. In der Ausgabe vom 12. Juni werden 20 journalistische Stellen gesucht, aber 30 PR-Stellen und 27 im Bereich Marketing und Management. Im journalistischen Bereich nimmt man gern Volontäre, Praktikanten oder Trainees, die sind billig oder sogar umsonst. Zwar gibt es auch für freie Journalisten tarifliche Vereinbarungen, aber kaum ein Verleger hält sich daran.

Daß das Angebot die Nachfrage bei weitem übersteigt, hat auch inhaltlich Folgen. Ausführliche Recherchen sind nicht nur zu teuer und zeitaufwendig. Ein kritischer Journalist kann sich in marktkonformen Redaktionen nur schwer behaupten. Die Tendenz geht in Richtung angepaßtem, dem Mainstream verpflichteten Journalismus, einer Art freiwilliger Selbstkontrolle. Der Journalist neuen Typs hat sozusagen verinnerlicht, daß man von einem CSU-Parteitag anders berichtet als von jenem der Linkspartei.

Qualitätsverlust droht auch durch die immer stärkere Einflußnahme von Lobbyisten, Unternehmen und PR-Agenturen auf den Zeitungsinhalt. Das kann bis zur kompletten Übernahme von PR-Texten ohne Hinweis auf die Quelle gehen. Noch schlimmer sind plump gesteuerte Kampagnen zugunsten bestimmter Gesetzesvorlagen oder gegen Politiker. Das solche Anbiederung der »vierten Gewalt« an die übrigen Gewalten vielleicht ein Grund für sinkende Auflagen sein könnte, kommt nur wenigen in den Sinn. Statt dessen schimpft man auf die immer zahlreicher werdenden Blogger-Seiten, welche mit kritischen Inhalten und viel Idealismus den Qualitätsjournalismus zu retten versuchen. Das Leistungsschutzrecht soll nun richten, was ein konzeptionsloser, auf Rendite getrimmter Journalismus nicht mehr vermag. Eilig werden für die Online-Ausgaben Bezahlmodelle entwickelt und wieder verworfen, weil die Konkurrenz nicht mitzieht. Früher konnte man in der Morgenzeitung den schüchternen Satz lesen: Unserer heutigen Ausgabe liegt ein Prospekt der Firma XY bei. Wir bitten um Beachtung. Heute bettelt die Redaktion von Spiegel online: Wir bitten Sie herzlich, den Adblocker für unsere Seite abzuschalten, da wir auf Werbeeinnahmen dringend angewiesen sind. Ich glaube, es war sogar von Qualität die Rede. Dabei ist gerade der Spiegel das Paradebeispiel für den Niedergang des deutschen Qualitätsjournalismus. Als Hubert Burda das Konkurrenzblatt Focus plante, soll ihm Rudolf Augstein gesagt haben: Du wirst viel Geld verlieren, aber bei mir wirst Du immer was zu essen bekommen. Es ist anders gekommen. Heute stehen die beiden Magazine im harten Wettbewerb – im Unterbieten des Niveaus. Selbst die Bild-Zeitung, die in Niveauunterbietung eine lange Tradition hat, verliert an Auflage. Jemand hat ausgerechnet, daß bei gleichbleibender Tendenz die Bild-Auflage in 15 bis 18 Jahren bei Null landen wird. Also noch etwas Geduld ...

Es ist nicht der ökonomische Zwang, der die Printmedien so alt aussehen läßt. Es ist die Konformität, die Langeweile, die einem beim Aufschlagen der Seiten entgegenschlägt. Vor allem die Regionalzeitungen (die oft gar nicht mehr in der Region entstehen) wirken heute wie Werbebeilagen mit redaktionellem Anhang. In fünf Minuten hat man alles gelesen. Aber auch die Zeit, einst Vorzeige-Wochenblatt der deutschen Intelligenz, gibt sich heute so ausgewogen, daß man keinerlei Meinung mehr erkennen kann. Eine politische Landlust-Ausgabe sozusagen. Man möchte auf keinen Fall auch nur einen Leser verärgern.

Also doch gleich ins Internet? Zahnlose Tiger gibt es auch dort, und die kritischen Portale müssen auch essen, Augsteins Küche ist kalt. Es gibt immer noch publizistische Leuchttürme, die sich auf Papier rentieren. Die älteste satirische Wochenzeitung Europas Le canard enchaîné wird in zwei Jahren 100 und steht ohne Werbung und Online-Ausgabe glänzend da. Es kommt eben auf den Inhalt an.