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Titel1416

Bemerkungen

»Rüste-Wüste«

… heißt eine Publikation des Bremer Friedensforums mit militarismuskritischen Bild-Montagen des Sozialwissenschaftlers Rudolph Bauer (Bremen), der auch als bildender Künstler tätig ist. Der Titel nimmt Bezug auf den expressionistischen Maler und Dichter Otto Nebel, der den Ersten Weltkrieg an den deutschen Fronten im Osten und Westen überlebt hatte und 1926 die Schrift »Rüste-Wüste« veröffentlichte. Die Bild-Bild-Bezüge in Bauers Montagen basieren auf Materialien, die den Alltag visuell bestimmen: vor allem auf Fotos, Grafiken, Werbung und anderen Druckerzeugnissen, wie sie in Zeitungen, Zeitschriften, Bildbänden, Prospekten, Katalogen, Plakaten oder im Internet veröffentlicht werden. Bauer will mit seinen Antikriegscollagen auf kritische, satirische oder karikaturistische Weise Stellung beziehen, intervenieren, provozieren, Gewohnheiten in Zweifel ziehen und Veränderungen anmahnen.

 

Rudolph Bauers Bild-Montagen, die sich nicht immer leicht erschließen lassen, werden begleitet von erläuternden Texten, die der Pastor i. R. Hartmut Drewes beigesteuert hat, der seit Jahrzehnten aktiv in der Friedensbewegung ist. Auf seiner Sinn- und Hintersinn-Suche verortet er die Montagen in der frühen Tradition künstlerischer Arbeiten gegen Militarismus und Krieg, etwa von Käthe Kollwitz oder Otto Dix – um dann die Eigenheiten und Auffälligkeiten der Werke Bauers herauszuarbeiten. Auffällig sei, so Drewes, dass Rudolph Bauer darauf verzichte, »die Grausamkeit des Krieges in den Mittelpunkt zu rücken«. Letztlich gehe es ihm darum, »Relativierung, Verschleierung und Verdrängung des Militarismus und der Militarisierung offenzulegen«, wie sie ins »schöne Leben«, ins Kommerzielle, ja in alle Lebensbereiche mehr oder weniger unauffällig und unbemerkt eindringen, wohl deshalb werden recht häufig Modeaccessoires mit Militärsymbolen, Modells mit Soldaten und Kriegsgerät kombiniert – Verknüpfungen, die Bauer unter »Mode und Mord« verbucht. Tatsächlich ist Rudolph Bauer bestrebt, mit seinen Bild-Montagen die Ästhetisierung, Verharmlosung und Veralltäglichung des Militärischen zu entlarven. Es ist der Versuch, auf künstlerische Weise – dialektisch-überraschend, verfremdend, subtil oder plakativ – den Prozess der Militarisierung und die Schrecken des Krieges in das »visuell zugemüllte« Bewusstsein zu heben, um auf diese Weise womöglich Denk- und Veränderungsprozesse in Gang zu setzen.

 

Rolf Gössner

 

Rudolph Bauer/Hartmut Drewes: »Rüste-Wüste«. Militarismuskritische Bild-Montagen, Rote Reihe_4 des Bremer Friedensforums, 52 Seiten im DIN-A-4-Format, Spende erwünscht auf das Konto Ekkehard Lentz (Kennwort: Bremer Friedensforum), IBAN: DE 47 2501 0030 0123 2683 06, BIC: PBNKDEFF. Bestellung per E-Mail unter: info@bremerfriedensforum.de. Eine Ausstellung von Bauers Montagen wird ab Mitte Oktober im Anti-Kriegs-Museum Berlin gezeigt, Brüsseler Straße 21, 13353 Berlin (anti-kriegs-museum.de).

 

 

Unsere Zustände

Die beste Möglichkeit eines Diebes, unerkannt zu bleiben, ist, wenn er auf andere zeigt und »Haltet den Dieb!« ruft.

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Die Barmherzigkeit der Reichen ist nichts weiter als schlechtes Gewissen.

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Fußball ist zu einer Religion geworden. Die Sieger werden heiliggesprochen, die Verlierer ans Kreuz genagelt, die Gegner mit Pfiffen gesteinigt, die Trainer auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Und wehe, du gehörst nicht der gleichen Kirche an!

 

Wolfgang Eckert

 

 

Würths Namibia

Reinhold Würth, nach Akzeptieren eines Strafbefehls wegen Steuerhinterziehung vorbestraft, steuerte zur Ausstellung von Kunst aus Namibia im eigenen Museum am Firmenstammsitz im württembergischen Künzelsau gleich zwölf großformatige Fotos bei: wilde Tiere, Wüste und ein mit Pfeil und Bogen Jagender – Ergebnisse seiner zahlreichen Reisen in die frühere deutsche Kolonie. Vor allem fasziniert den »Schraubenkönig« dort laut seinem einleitenden Beitrag im Katalog die »Vielfalt der Pflanzen- und Tierwelt«. Doch auch der seit 1990 regierenden »vernünftigen SWAPO und deren großem Vorsitzenden Samuel Nujoma« kann der Multimilliardär viel abgewinnen.

 

Dass Namibia heute die weltweit ungleichste Einkommensverteilung hat und diese seit der Unabhängigkeit weiter gewachsen ist, interessiert Würth ebenso wenig wie, dass einer der Profiteure der korrupten Gesellschaft der jüngste Sohn Nujomas ist, der es nun auch in die Panama Papers schaffte. Auch sonst verschweigen die Ausstellungstexte einiges, etwa dass die Bundesregierung bis heute den kolonialen Völkermord an den Herero und Nama offiziell nicht anerkennt. Dafür weisen die Hintergrundinformationen zur Ausstellung auf den kulturellen Beitrag der mit 20.000 Personen weniger als ein Prozent der Bevölkerung ausmachenden deutschen Minderheit hin: Brötchen, Schwarzwälder Kirschtorte und deutsche Gesangvereine.

 

Doch trotz der wenig kompetenten Hintergrundtexte und der Eitelkeit des Mäzens, der praktischerweise die meisten der ausgestellten Werke – so sie nicht ohnehin von ihm oder seinen Verwandten stammen – gleich angekauft hat, ist die Ausstellung sehenswert. Wie der Direktor der mit dem Museum Würth kooperierenden National Art Gallery of Namibia in seinem informativen Katalogvorwort schreibt, ist es für Künstler in Namibia extrem schwer, von ihrer Arbeit zu leben. Firmen, besonders im boomenden Tourismussektor, kaufen lieber billige Reproduktionen. Auch der Staat fällt weitgehend als Käufer aus. So bleiben nur ein kleiner Teil der wohlhabenden Mittelschicht und Ausländer.

 

Doch vielleicht gerade weil sich die Künstler in kunstfernen Berufen oder im Bildungswesen durchschlagen, entstehen erstaunlich kritische Werke, wie etwa der Kartondruck »Waiting to Receive« von Papa Ndasuunje Shikongeni. Gezeigt werden fünf gebeugt sitzende Arbeiter mit roten Mützen, die wohl auf den nächsten Auftrag oder auf Lohn warten – zu den Gewinnern der Unabhängigkeit gehören sie nicht.

 

Überhaupt ist der Kartondruck wegen des billigen Materials weit verbreitet. Lok Kandjeno etwa nimmt in »Herr des Hauses« ironisch die neuen und alten Herren ins Visier. Ein aufgeplusterter Hahn mit rot-weißem Kamm blickt im Halbprofil selbstsicher um sich. Auch der Linolschnitt – wie etwa in Petrus Amuthenus »Landfragen« – wird zur Gesellschaftskritik eingesetzt: Eine weiße Hand trägt moderne Häuser, während sich schwarze Hände vergeblich nach oben recken.

 

Bemerkenswert sind die Fotos der in Windhoek geborenen Nicola Brandt, die das koloniale »Erbe« thematisiert, etwa in dem Bild einer von hinten fotografierten schwarzen Frau auf den Gleisen am Bahnhof von Swakopmund mit dem Titel »Erinnerung an diejenigen, die diese Strecke gebaut haben«. Beeindruckend sind auch Ilovu Homatenis Collagen, etwa »Kampf der Kinder in der Gemeinschaft«, wo sich grell schminkende schwarze Mädchen zu sehen sind, die vermutlich durch Prostitution am Wohlstand teilhaben wollen. Stark vertreten sind Skulpturen, etwa Shikongenis Holzskulptur »Welt ohne Seele«, ein in einem überlangen Körper eingesperrter Mann, oder Filemon Kapolos Steinskulptur »In guten Händen wird alles schön«, eine selbstsicher blickende junge schwarze
Frau.                                   

 

Peter Bräunlein

 

»Namibia. Kunst einer jungen Generation«, Museum Würth, Reinhold-Würth-Straße 15, 74653 Künzelsau-Gaisbach, bis 9.10.2016

 

 

Kriminalgeschichte in Namibia

Der im April als e-book veröffentlichte Roman »Mord am Waterberg« bietet eine faszinierende Mischung aus Krimi, Familienstory, kritischer Reflexion deutscher Kolonialgeschichte und alternativem Reiseführer Namibias. Stoff und Themen werden durch die Brille der Hauptprotagonistin Katrin Sattler entfaltet, einer Buchhändlerin aus Stuttgart, die sich in eine fremde Welt aufmacht, um den Leichnam ihrer ermordeten Schwester nach Hause zu holen. Ihre Reise wird nicht nur zu einer gefährlichen Jagd nach dem Mörder, sondern auch zu einem Wendepunkt ihres Lebens sowie zu einer Begegnung mit kulturellen Besonderheiten und sozialen Konflikten aus der Apartheid- und Kolonialzeit Namibias.

 

Die deutsche Entwicklungshelferin Anna Sattler hatte sich im Kulturzentrum Okakarara am Fuß des Waterbergs – Ort des Völkermords deutscher »Schutztruppen« an den Hereros im Jahr 1904 – mit Herzblut für eine Verbesserung der Beziehungen zwischen Hereros und Deutschen eingesetzt. Eines Tages wird Anna ermordet aufgefunden. Der angebliche Mörder, ein 17-jähriger Jugendlicher, bestreitet die Tat. Katrin glaubt an seine Unschuld und sucht selber nach dem Mörder. Ins Visier gerät dabei der schwarze Manager des Zentrums, dessen korrupten Machenschaften Anna auf die Schliche gekommen war und der vom Vertreter des Deutschen Entwicklungsdienstes in Windhuk gedeckt wird. Verdächtig sind auch die Ehefrau ihres schwarzen Liebhabers und »Onkel Jonas«, der Geld zu Wucherzinsen an die verarmte Bevölkerung verleiht. Geschickt werden die Leserinnen auf falschen Fährten gelockt und die Spannung bis zum Ende dramatisch gesteigert. Die Auflösung ist konsequent im Romangeschehen angelegt und kommt dennoch überraschend, verquickt mit der Kolonialgeschichte des Landes – eine menschliche Tragödie, wie es heißt.

 

Durch den veränderten Blick auf ihre Schwester und ihre Erfahrungen in Namibia wird Katrin zutiefst aufgerüttelt. Allerdings wirkt das Happyend mit einer neuen Liebe ein wenig aufgesetzt.

 

Der in anschaulich-flottem Stil geschriebene Krimi – ein Debütroman der beiden Autorinnen, von denen Almut Hielscher auf lange persönliche Erfahrungen im Südlichen Afrika zurückblickt, hätte zu keinem günstigeren Zeitpunkt veröffentlicht werden können, denn die deutsch-namibischen Verhandlungen über den Genozid an den Hereros und Namas laufen derzeit auf Hochtouren.

 

Ingeborg Wick

Almut Hielscher/Uta König: »Mord am Waterberg«, Hey Publishing, ca. 232 Seiten, 3,99 €

 

 

Luther und der Antisemitismus

Hartwig Hohnsbein geht in seinem Artikel in Ossietzky 12/2016 fehl mit seiner Behauptung, in Luthers »antijudaistischen« Schriften seit 1530 »offenbart sich … das Wesen seiner Theologie, der Kern seiner Botschaft, hier schlägt das Herz des Reformators«. Kein denkender Leser bestreitet: Diese Schriften sind arg. Den Kern der Lehre Luthers bilden aber vielmehr: die Utopie vom Reich Gottes, die Theologie der Armen samt Gleichheitsforderung (»Es ist doch immerfort ein Mensch so wertvoll wie der andere«) und Lob des Friedens (»der das größte Gut auf Erden ist und worin auch alle anderen weltlichen Güter inbegriffen sind«).

 

Beim Blick auf Luther kann man sich auch auf die revolutionäre Tradition berufen statt auf die Welt oder Julius Streicher: Friedrich Engels rechnete Luther zu den »Heroen jener Zeit«, Franz Mehring nennt ihn den »größten unter den großen Männern«, Nikolaus Lenau ordnet die Reformation in die Reihe der großen Revolutionen ein, zwischen die Hussiten und die »Stürmer der Bastille«.

 

Und musste der Autor der ehemaligen Bischöfin Margot Käßmann im gleichen Atemzug noch einmal ihre »Alkoholfahrt« vorrechnen? Sollten wir nicht lieber bei ihr lernen, was sie in ihrer verständigen Konzeption für das Reformationsjahr 2017 betont: dass die Französische Revolution eine ihrer Wurzeln in Luthers »Freiheitsbegriff« hat?        

      

Wolfgang Beutin

 

Soeben erschien Wolfgang Beutins Buch »Der radikale Doktor Martin Luther« in 3. Auflage – vermehrt um 150 Seiten (jetzt 378 Seiten, 59,59 €) – im Verlag Peter Lang.

 

 

Literaturzirkus?

Ich habe lange keine literaturwissenschaftliche Arbeit gelesen, die so vergnüglich beginnt. Jörg Magenau stellt den »harten Kern« der Gruppe 47 vor, wie er 1966 zum Treffen in Princeton (USA) an- und auftrat, mit welchen Ambitionen, Eigenschaften und Eitelkeiten. Dabei gibt es eine Menge despektierlicher, aber vor allem doch treffender Bemerkungen, die die einzelnen präzise charakterisieren. Dass es sich dabei keineswegs nur um »Literaturzirkus« gehandelt hat, wird im weiteren Verlauf des Textes deutlich. Magenau führt die verschiedenen ästhetischen und politischen Positionen etwa von Günter Grass, Peter Weiss, Hans Werner Richter, Martin Walser und der anderen vor, wobei damalige Haltungen, die meilenweit vom jeweils anderen entfernt zu liegen schienen, heute schwer die angeblich riesigen Unterschiede erkennbar machen. Auch arbeitet der Autor klar heraus, dass mit dieser vorletzten Sitzung eine Epoche westdeutscher Literaturentwicklung an einem Ende angelangt war und sich Neues anbahnte. Obwohl sich Magenau im Rahmen der 1966er Veranstaltung bewegt, weitet sich seine kenntnisreiche und gründliche Darstellung zu einem tiefer und weiter greifenden Befund der damaligen bundesrepublikanischen Literatur aus. Respekt!                    

 

Christel Berger

 

Jörg Magenau: »Princeton 66. Die abenteuerliche Reise der Gruppe 47«, Klett-Cotta, 223 Seiten, 19,95 €

 

 

Pro dummo

Volksverhetzung

ist eine Strafgesetzverletzung.

Wohingegen straflos bleibt,

wer Volksverdummung betreibt.

 

Günter Krone