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Titel15+1611

Onkel Dieter  (Clara Thümmler)

Was – bitteschön! – ist eigentlich Rechtspopulismus?

Die sonderbare Vokabel ist vielleicht gerade noch geeignet und verdienstlich, einem ebenso breiten wie heterogenen Bündnis den Namen zu geben – aber was steckt in der Tüte wirklich drin? (Und: Gibt es linken Populismus?)

Der Mörder von Utøya habe der guten Sache geschadet, meinte ein Blogger am Tag nach der Untat.

Die gute Sache. Aha.

Warum soll ich, sagt Onkel Dieter, meinen Lebensstandard und unsere Errungenschaften, die wir uns erarbeitet haben, mit denen teilen, die nischt auf die Reihe kriegen! Fahr nach Namibia, sagt Onkel Dieter: Ich hab den Unterschied zwischen von Weißen und von Schwarzen betriebenen Farmen gesehen, hier Produktivität, dort ein einziger Misthaufen. Und dann kommen die Faulpelze hierher und wollen was ab haben! Sagt Onkel Dieter, und ist gar nicht einer von den Bösen, sondern braver Mittelständler, nachgelassener DDR-Leiter und wie damals noch immer um das Wohl seiner Mitarbeiter leidlich besorgt, normal, geistig gesund – Onkel Dieter würde, obwohl Mitglied im Schützenverein, doch nicht mal im Traum einen Schwarzen oder sonstigen Multikulti eigenhändig erschießen: Onkel Dieter, ein Wohlstands-Chauvinist.

Nein, die Rechtspopulisten, wer auch immer das ist, müssen niemanden aus der Mitte abholen: Die trennende Auswahl zwischen (ökonomisch) nützlichem und (ökonomisch) lebensunwertem Leben können wir in der Mitte alle von ganz allein treffen. Sie gehört zur Lebensweise, zum Alltag, zur psychischen Verfaßtheit im gewöhnlichen Kapitalismus: unnütze Fresser, wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen, jeder seines Glückes Schmied. Denn die Menschen in den gegenwärtigen modernen Industriegesellschaften sind das Produkt zweihundertjähriger Zurichtung zur »kapitalistischen Konkurrenz-Monade« (Robert Kurz). Konkurrenz als Gesellschafts- und Lebensmaxime – das bedeutet: Kampf aller gegen alle, jeder dem andern sein Deibel, Wölfe unter Wölfen. Und es bedeutet die Überhebung des Übermenschen oben über den Untermenschen unten (bei Strafe des eignen individuellen Untergangs): Onkel Dieter am einen Ende der Fahnenstange – die Rampe in Auschwitz am anderen. Wir sollten nicht moralisieren und nicht wunschdenken, sondern – klar analysierend – die Dinge beim Namen nennen. Und der Name lautet Faschismus, nicht Rechtspopulismus. Selektion von Menschen anstelle des schützenden Respekts vor der gesamten Gattung ist das Markenzeichen faschistischen Denkens und Handelns. Onkel Dieter wird’s nicht gern hören, aber sich dem stellen müssen. Der gewöhnliche Faschismus als eingeborener Bestandteil des gewöhnlichen Kapitalismus. Die Gefährdung selbst der sich integer wähnenden Persönlichkeit ist und bleibt latent.

Am Mörder von Utøya läßt sich überdies beobachten, wie durchlässig die Grenze zwischen faschistischer Selektion und paranoidem Allmacht-Wahnsinn, zwischen normalem kapitalistischem Irrwitz und kopfkranken Übermenschen ist. Fließende Übergänge allemal.