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»Die Sprache kobolzt«  (Wolfgang Helfritsch)

behauptete einst Kurt Tucholsky. Die Sprache schlägt also, folgt man dem polypseudonymen Autor, Purzelbäume und Kapriolen und fällt, was dabei nicht ausbleiben kann, ab und zu auf die Nase. Kein Wunder, wenn man bedenkt, daß das geredete oder geschriebene Wort Abbild der Ereignisse, Entwicklungen und Widersprüche unserer Zeit ist.

Glaubt man der Sprache, leben wir gegenwärtig in einer Epoche des globalbedingten Auf- und Abschwungs, des Nullwachstums, der Kollateralschäden, des Nacktscanners, der digitalen Boheme, der Rumpelkoalition, der Bildschirmbräune, der Konjunkturpakete, der Abwrackprämien und der Megapixel. Letztere sind, wie selbst der letzte Jetztmensch weiß, nicht etwa große Hautgeschwüre, sondern kleinste Auflösungen von Signalen auf dem Bildschirm.

Doch nicht jeder Fachterminus ist so deutlich nachvollziehbar wie Finanzminister Schäubles jüngste »wachstumsfreundliche Defizitreduzierung« oder Angela Merkels »marktkonforme Demokratie«.

Umso verdienstvoller, daß sich der ADAC, der Heimatverein der »Gelben Engel«, mit einem »Lexikon der aktuellen Begriffe«, Untertitel »1000 Schlüsselwörter zum Verständnis unserer Welt«, an den Gegenwartskonsumenten wendet. Ein mutiger Schritt, wenn man bedenkt, daß das Heute flugs das Gestern sein kann und bereits während des Drucks des Almanachs Bezeichnungen im Papierkorb des PC landen könnten.

Welche Vokabeln relativ dauerhafte »Alleinstellungsmerkmale«, also – um das verständlich zu umschreiben – »unique selling prepositions« aufweisen werden, ist in unserer schnellebigen Zeit schwer vorauszusagen.

Das Nachschlagewerk wird vor allem von älteren Mitbürgern, die schon die Greuel des DDR-Regimes und seine Sprachschöpfungen über sich ergehen lassen mußten, also beispielsweise von mir, als echte Überlebenshilfe empfunden. Hilft es uns doch, den Code der Jugendsprache zu enträtseln, die wir aus unzähligen Handys neben uns in der U-Bahn oder während der Enkelbetreuung auf der Spielwiese ertragen müssen.
Jetzt weiß ich, daß ich nicht etwa ein Katzenliebhaber bin, sondern ein »Dosenöffner«.

»Coffee to go« ist keine Kaffeebrühe zum Weglaufen, also eine Art Fluchtgetränk, sondern eine anregende Filtermischung, die man während des Spurts zur Tram in der vom Handy und der Bierflasche noch unbesetzten freien dritten Hand mit sich herumschleppt. Letzteres entfiele in einer »Wolkenschaukel«, früher Flieger, noch früher Flugzeug, noch früher Aeroplan, da einem das Getränk dortselbst von einer »Saftschubse«, einer Stewardeß also, persönlich aufgenötigt wird. Dieselbe hat sich möglicherweise von einer »Speckbarbie«, einer in der Oberweite vielleicht etwas zu fülligen »Hüpfburg«, von einem »Änderungsfleischer«, also einem Chirurgen, zu einem Magermodel »umwidmen« lassen. Dadurch muß sie sich auf einer »Gammelfleischparty«, also einer Disko für über 30jährige, nicht mehr genieren oder für andere »fremdschämen«.

Als ich mich »very amused« durch das Nachschlagewerk blätterte, befand ich mich gerade im Vorraum meines Unterkörperarchitekten, meines Urologen also; neben mir und mir gegenüber weitere »Wartezimmertouristen«, Kassenpatienten im Rentenalter also. Da wurde mir der Mund vor verkniffenem Lachen trocken, und mir stand der Sinn nach einem Bier oder, wie der Berliner sagt, einer Molle, oder, wie es der Angehörige der übernächsten Generation laut Lexikon formulieren würde, ich fühlte mich »unterhopft«.

Ich hoffe, ich habe Ihr Interesse für ein Nachschlagewerk erregt, das Ihrer persönlichen Karosse zu einem stabileren Chassis verhelfen und Ihnen ein zuverlässiger Navigator über die Unebenheiten und aktuellen Neuerungen der Sprache sein wird.

Wie aus noch nicht bestätigten Quellen verlautet, soll das Buch in Bälde zur normalen technischen Ausstattung der »Gelben Engel« gehören.

»Die Sprache kobolzt«, behauptete einst Kurt Tucholsky. Ich finde das zu simpel formuliert. »Die Sprache schwurbelt«, würde ich sagen. Das kann ich zwar noch nicht definieren, ich denke aber darüber nach.

ADAC (Hg.): »Lexikon der aktuellen Begriffe. 1000 Schlüsselwörter zum Verständnis unserer Welt«, ADAC Verlag und Verlag Das Beste, Bezug über www.adac-shop.de, 448 Seiten, 39,90 €