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Titel1518

Bemerkungen

Urlaubslektüre

Ab in den Urlaub nach Süditalien.

Zwei Tage mit dem Bus unterwegs.

Da bedarf es ordentlicher Reiselektüre.

Kurzweil und Spannung.

Ein Krimi ist wohl am geeignetsten,

doch nach dreißig Kilometern

kenne ich den Mörder.

An der nächsten Raststätte

wandert der Schmöker

in den Abfallbehälter.

 

Der Busfahrer lässt sich aber nicht

zur Umkehr überreden.

 

Manfred Orlick

 

 

Losurdos Vermächtnis

Am 28. Juni, im Alter von 76 Jahren, starb Domenico Losurdo – einer der bedeutendsten marxistischen Theoretiker der Gegenwart, Präsident der Internationalen Gesellschaft Hegel-Marx für dialektisches Denken. Nie verbreitete er Philosophie in abstrakten Formeln. Er stellte Probleme der Gegenwart in den Vordergrund und analysierte sie auf der Basis der besten Traditionen des marxistischen Denkens. In vielen seiner Bücher nach 1989 setzte er sich kritisch mit dem in Europa untergegangenen Staatssozialismus auseinander, ohne ihm seine historische Berechtigung samt gewichtiger Errungenschaften wie die dauerhafte Errichtung des Sozialstaats und die Gleichberechtigung von Frauen und Männern abzusprechen. Gescheitert sei der europäische Staatssozialismus nicht nur an tatkräftiger Einflussnahme von außen und der historischen Unterentwicklung der betreffenden Länder, sondern auch am Versuch, Utopien zu verwirklichen, die zum Teil auf unrealistischen Interpretationen des Marx`schen Erbes zurückgingen: So die Vorstellung, dass Marktbeziehungen, Religion, Ehe und Familie bis hin zu nationalen Grenzen bald keine Bedeutung mehr haben würden und stattdessen ein weitgehender gleichmacherischer Kollektivismus zu etablieren sei. Nicht nur Einmischung von außen, sondern gerade auch die Versuche, solche Utopien durchzusetzen, mündeten in Gewalt und setzten der noch von Lenin für möglich gehaltenen größten linken Utopie vom »Absterben des Staates« ein Ende. An einigen dieser Utopien blieb der europäische Staatssozialismus bis zum Schluss hängen. Losurdo setzte sich damit vor allem in seinem Buch »Stalin – Kritik einer schwarzen Legende« auseinander, weil der Kampf um diese Utopien gerade in der Zeit Stalins am heftigsten war und die meiste Gewalt hervorrief. Das Buch hebt allerdings auch heraus, dass trotzdem ein sozialer Staat geschaffen wurde, der robust genug war, sich gegen den faschistischen Eroberungsversuch zur Wehr zu setzen.

 

Nicht zuletzt die provokante These, dass die unter Chruschtschow auf dem XX. Parteitag vollzogene radikale Abkehr von allem, was unter Stalin geschehen war, ein Fehler gewesen sei, weil sie das Vertrauen vieler Sowjetbürger in die eigene Geschichtsmächtigkeit untergrub, brachte Losurdo auch unter Linken den Vorwurf ein, »Stalinist« geblieben zu sein. Es ging ihm aber vor allem darum, den differenzierteren Umgang Chinas unter Deng Xiao Ping mit der ebenfalls gewaltträchtigen und fehlerhaften Politik Mao Tse-tungs hervorzuheben, mit dem auch ein geschickterer Übergang von der Utopie des Kollektivismus zum Realismus einer staatlich kontrollierten Marktwirtschaft eingeleitet wurde.

 

Dieses theoretische Gerüst grundiert auch das letzte, in der deutschen Übersetzung von Christa Herterich vorliegende Buch Losurdos »Wenn die Linke fehlt ...« (PapyRossa 2018), das sich der notorischen Schwäche der Linken in den westlichen Ländern nach 1989 widmet. Sie bestehe hauptsächlich aus zwei Zweigen: einer »populistisch-anarchoiden Linken«, die weiterhin unrealistischen Utopien anhänge und einer »imperialen Linken«. Beide kämpfen bestenfalls gegen den Neoliberalismus in der eigenen Hemisphäre, hätten sich aber ansonsten der durch medialen »Empörungsterrorismus« entfachten Ideologie der angeblich unteilbaren Menschenrechte verschrieben. Damit sei sie integraler Bestandteil des imperialistischen Systems, geworden, das einen neokolonialen Krieg nach dem anderen führt.

 

Als erklärter Gegner essentialistischen Denkens, erkannte Losurdo als Essenz eigentlich nur die Menschenrechte an, die er jedoch nicht als essentialistisch zu denkendes Gesamtpaket verstand, sondern als historisch zu erkämpfende Rechte. Gegen das nach 1989 im Westen gängige selbstgefällige Ideologem der Unteilbarkeit der Menschenrechte führte er an, dass der Westen selbst diese Unteilbarkeit weder historisch noch gegenwärtig hergestellt habe – angefangen bei der Aufrechterhaltung der Sklaverei in Epochen, die bereits als »demokratisch« gepriesen werden, über die Verweigerung der Bürgerrechte für Minderheiten, über die Zeit des klassischen Kolonialismus bis hin zum Neokolonialismus und zu den ihn bis heute fortschreibenden menschenverachtenden Kriegen.

 

Wie schon Hegel stellte Losurdo allen Rechten das Recht auf Leben voran und das Recht auf Freiheit von Not und Angst – was übrigens auch der amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt zur Devise und zur Basis der Entwicklung sozialstaatlicher Elemente gemacht hatte. Mit dem Abwurf von Atombomben und der Abkehr von den Roosevelt‘schen sozialen Deals wandte sich schon sein Nachfolger Truman wieder davon ab und stärkte den von Friedrich A. von Hayek vertretenen ökonomischen Liberalismus. Für den Abbau des Sozialstaats trat auch der wegen seines Slogans von der »offenen Gesellschaft« heute bis in die Linke hinein respektierte Karl Popper ein, der auf die in den sechziger Jahren abgeschlossenen antikolonialen Revolutionen mit der Feststellung reagierte, dass man die betreffenden Völker zu früh in die Unabhängigkeit entlassen habe. Hatten die bewaffneten antikolonialen Revolutionen oft noch die romantisch inspirierten Sympathien der westlichen Linken gehabt, gelangte sie durch die Übernahme des Diktums von der Unteilbarkeit der Menschenrechte mittlerweile zu Poppers Auffassung, dass die weniger »offenen« und deshalb per se undemokratischeren jungen Staaten einem »zu früh in die Freiheit entlassenen Kindergarten« glichen. Diese Verblendung erfasste sogar Linke wie Michael Hardt und Rossana Rossanda, die dem Krieg gegen Jugos-lawien zustimmten. Viele Linke hielten die Absetzung Baschar al- Assads durch eine vom Westen und einigen Golfstaaten forcierte Intervention in Syrien für dringend notwendig.

 

Handlungsfähig gegenüber dem globalisierten Kapitalismus werde eine Linke – so Losurdos Diagnose – erst wieder, wenn sie die Kämpfe um die eigene Emanzipation mit denen der neokolonial bedrängten Völker zu verbinden versteht. Dazu gehört auch ein historisches Verständnis von Demokratie, die sich als Bedürfnis erst entwickelt, wenn das Recht auf Leben und die Freiheit von Not und Angst garantiert sind.

 

Sabine Kebir

 

 

 

Korrektur

Auch wenn der Satz von Montesquieu stammt: »Unbedingter Gehorsam setzt bei den Gehorchenden Unwissenheit voraus«, er bedarf der Ergänzung, dass nämlich die, die den Gehorsam fordern, noch dämlicher sind.         

 

Günter Krone

 

 

 

Logas Geschichte: Stalin und Sex

Aus Rumänien kommen derzeit fesselnde, aufregende Bücher, die Leipziger Buchmesse 2018 rückte das Land ganz zu Recht ins Licht der Aufmerksamkeit. Diese verdient auch der Roman »Stalin, mit dem Spaten voran« von Radu Ţuculescu. Geboren 1949 in Târgu Mureş, ist er einer der bekanntesten rumänischen Schriftsteller.

 

Ţuculescu verbindet zwei Zeitebenen: eine Kindheit im stalinistischen Rumänien und das Leben des zum Mann gewordenen Adrian Loga heute.

 

In der Stadt am Mieresch (Mureş), in der er aufwächst, geht es so bunt zu, wie es in Rumänien eben zugehen muss unter Rumänen, Ungarn, Sachsen (die deutschsprachigen Siebenbürger Sachsen), Roma, Juden. Mitunter meint man, eine Lausejungen-Geschichte zu lesen, wenn die Streiche Adrians und seines Freundes Razvan geschildert werden. Aber die Schatten sind immer da. Die sonst liebevolle Mutter gibt Adrian eine Ohrfeige, weil er auf der Straße sein selbst erfundenes Lied »Stalin, mit dem Spaten voran« singt: »Stalin … schreitet fröhlich die Gräber entlang … lalala la la!«

 

Bis in die Familie Loga dringt der alles beherrschende Kommunismus jedoch nicht, Krankenhaus-Chefarzt Loga achtet darauf, dass vor dem Essen gebetet wird, dass man in der Osternacht zur Auferstehungsmesse geht. Vorher grölen Adrian und Razvan, die sich mit in Wein eingeweichten Brotstücken gestärkt haben: »Stalin ist von den Toten auferstanden.«

 

Adrian wendet sich der klassischen Musik zu, will Violinist werden. Er lernt den Hass auf Intellektuelle kennen, der Krankenhauspförtner macht es sich zur Parteiaufgabe, den Sohn des Chefarztes zu kontrollieren und zu schikanieren. Adrian wehrt sich mit Tritten in den Unterleib, und damit ist seine Violinistenkarriere dahin. Der Rache des Pförtners entgeht er nicht, ein Schlägertrupp misshandelt ihn und bricht ihm zwei Finger.

 

Ţuculescu schreibt nie belehrend oder klagend, sondern so, wie man es noch Mitte der siebziger Jahre im Rumänien Ceauşescus zu hören bekam: Es ist eben so, wenn man in diesem Land lebt.

 

Die Diagnose der Gegenwart ist nicht weniger bedrückend. Scheitern, Ziellosigkeit, Kommerz, Stumpfsinn, Prostitution bestimmen das Leben. Aus dem Nachbarblock Adrians dröhnt es stundenlang: »Live is life, nanananana«. Es klingelt, vor der Tür steht Kuki, die Kunstalben und sich selbst verkauft. Da meint man, einen Internetporno zu lesen. Die Prüderie in Ceauşescu-Rumänien scheint zur Libertinage geworden zu sein. Die wirkt tief in die Sprache der Figuren hinein, die vulgär und roh ist. Ob beabsichtigter Trash oder nicht: Adrian begehrt eigentlich nicht Kuki, sondern seine Tochter Adelina, die folgerichtig die tote Kuki in Adrians Badewanne findet: »Sie hatte sich die Adern mit der Klinge aufgeschnitten … von dem Rasierer, mit dem sich Adelina … die Hornhaut … schabte.«

 

Übersetzt hat den faszinierenden Roman Peter Groth. Ein paar sprachliche Schnitzer kann man übergehen, im Ganzen schafft er es, den Leser nach Rumänien zu versetzen.           

 

Albrecht Franke

 

 

Radu Ţuculescu: »Stalin, mit dem Spaten voran«, übers. v. Peter Groth, Mitteldeutscher Verlag, 256 Seiten, 24 €

 

 

 

Celler Loch

Im Heft 14, Seite 494, Ende des 1. Absatzes ist uns ein Fehler unterlaufen: Der Anschlag vor 40 Jahren war nicht am 26. Juli, sondern schon am 25. Juli. 

 

Red.

 

 

 

Es kriselt in Madrid

Die spanische Minderheitsregierung von Ministerpräsident Pedro Sánchez (PSOE) hat bei der Abstimmung über die Reduzierung des Haushaltsdefizits am 27. Juli eine Niederlage erlitten. Drei Parteien, die bisher Sánchez unterstützt hatten, verweigerten ihm aus verschiedenen Gründen die Gefolgschaft: Podemos, der PDeCAT und die Republikanische Linke Kataloniens (ERC). Nur die 88 PSOE-Abgeordneten der insgesamt 350 Parlamentarier stimmten für den Etat. Die 173 Abgeordneten von Partido Popular und Ciudadanos stimmten im Block dagegen, 86 enthielten sich. 

 

khw

 

 

 

Unsere Zustände

Die meisten, welche bei uns umfallen, sind kerngesund.

 

*

 

Es ist ein Fehler der Menschen, dass sie sich vor Erscheinungen ängstigen, bei denen es sich nicht lohnt Angst zu haben, und dass sie da, wo sie berechtigt Angst haben müssten, gleichgültig bleiben.

 

*

 

Wenn der satte Bauch zum Gehirn wird, übernimmt das Gehirn die Blähungen.                     

 

Wolfgang Eckert

 

 

 

Zuschrift an die Lokalpresse

Wie verschiedene hauptstädtische Zeitungen berichten, ergreifen die für den Berliner Verkehr zuständigen Behörden unterschiedliche Lösungsvarianten, um die häufigen Zugverspätungen möglichst klein zu halten. So sucht die Deutsche Bahn AG Lokführer für den sofortigen Einsatz, um die »traurige Gewohnheit der Zugausfälle« (Berliner Kurier vom 11.7.18) in den Griff zu bekommen. Und Firmen, die mit dem Kontrolldienst im Nahverkehr beauftragt sind, setzen couragierte Mitarbeiter ein, die offensichtlich über Erfahrungen als Türsteher in Nachtklubs verfügen, ungültige Fahrkartenausweise zerreißen und auch schon mal kräftig zulangen (Berliner Kurier, 11.7.18). Eine ganz tolle Lösung hat sich die S-Bahn ausgedacht: Um einer weiteren Entschleunigung der Ringbahn vorzubeugen, sollen im Verspätungsfall einfach ein paar Bahnhöfe ohne Halt passiert werden, aber nicht bei jeder Zugfahrt. Ich finde, dass solche Verkündungen vielleicht die Verspätungen senken, aber die Unsicherheit der Reisenden erhöhen. Deshalb schlage ich vor, die Bahnen auch weiterhin überall stoppen zu lassen, dafür aber ab und zu einen Zug einzuschieben, der überall durchfährt und so die Gesamtfahrzeit wieder auf den normalen Stand bringt. Das wäre, wie unsere Kanzlerin dazu vielleicht bemerken würde, ein ernstes, aber bewältigbares Problem. – Balthasar Kluge (41), Fahrgast, 13059 Berlin-Wartenberg

 

Wolfgang Helfritsch