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Titel1708

Karriere-Bibel  (Ingrid Zwerenz)

ist kein blasphemischer Scherz, ein solches Buch gibt es wirklich (für 15. € im Internet). Die innige Verbindung von Glaube und Geschäft überrascht nicht, aus frühen Landnahme-Zeiten stammt die treffende Erkenntnis frisch kolonisierter Afrikaner über die Kolonisatoren: »Sie reden von Gott und meinen Kattun.« Heute heißt das: »Sie reden von Gott, Demokratie, Freiheit und meinen Öl.

In Frankfurt am Main, der Mammon-Metropole, wollte vor einigen Monaten ein junger Mann einen Arbeitsplatz in der Finanzbranche ergattern. Er absolvierte eine Reihe von Prüfungen, füllte viele Test-Bögen aus, und zum Schluß hielt er ein Referat. Seiner Meinung nach war alles gut gelaufen. Dennoch bekam er den Job nicht. Abgelehnt wurde er mit der aparten Begründung: »Sie haben während Ihrer Rede nicht ein einziges Mal gelächelt.« Das 11. Gebot der Karriere-Bibel lautet offensichtlich: Keep Smiling!

Es gilt jedoch nicht für jeden. Wer schon ein riesiges Vermögen zusammengerafft oder geerbt hat, kann darauf verzichten. Im Spiegel vom 14. August ist der Sonderfall am »stillen Oligarchen« Wladimir Jewtuschenkow exemplifiziert: »Ich bin jedenfalls nicht der böse Iwan«, sagt der Unscheinbare und deutet dabei, untypisch für ihn, ein kleines Lächeln an …«. Hat man’s als Tycoon zum Beispiel in der Telekommunikationsbranche zum veritablen Milliardär gebracht, darf man seine Mimik einrichten, wie’s einem paßt …

Doch wer vermag schon so viel Knete zu erbeuten. Für die Leute weiter unten ist Keep smiling Pflicht.

Es gibt kaum eine These, die nicht umgehend von willfährigen Wissenschaftlern untermauert und bestätigt wird. Das spezielle Ressort für unser Thema heißt Gelotologie. Bevor man über diesem griechischen Begriff eher ins Stottern als ins Lächeln gerät, steht ein deutsches Wort zur Verfügung: Lachforschung. Die liefert rasante Resultate. Ob man heiter, ironisch, müde, resignierend oder gar aus Verzweiflung lächelt, angeblich schüttet das Gehirn unverdrossen Glückshormone aus, die hemmen Entzündungen, stillen Schmerzen, lösen Angstzustände und erhöhen unsere Aufmerksamkeit ... Träfe das alles zu, reagierte die Pharma-Industrie sicher sauer, würde sie doch gar nicht mehr gebraucht. Hier stoßen sich die Kapitalinteressen hart im Raume.

Eine verblüffende Verbindung zwischen all den Stichworten entdeckte Kurt Tucholsky schon 1929. In seinen »Schnipseln« notierte er dieses amerikanische Inserat: »Warum lächelt die Mona Lisa – Weil sie – Hitkinsons Verdauungspillen – eingenommen hat – und so – von ihrer lästigen Verstopfung – für immer befreit ist – Wollen Sie – auch lächeln? Dann …«

Eine Verknüpfung von Kunst und Kommerz, die selbst das Universalgenie Leonardo da Vinci in Dienst nimmt. Dabei soll mal offen bleiben: Hat der Satiriker Tucholsky diese Anzeige gefunden oder erfunden? Vielleicht mit einem leicht sardonischen Lächeln? Der Begriff hat es in sich, bezeichnet er doch einen grimmigen, schmerzvollen Spott.

So weit erinnerte ich mich, doch dann befragte ich Wikipedia, und gleich die ersten Sätze ziehen einem glatt die Schuhe aus: »Bei der Urbevölkerung Sardiniens (lat. Sardon) soll die Sitte bestanden haben, alte Leute zu töten; dabei sollte gelacht werden. Das war der berüchtigte risus Sardonius, ein krampfartiges Lachen, an dem die Seele unbeteiligt ist.«

So ging‘s zu in der Urbevölkerung, es klingt aber recht modern. Vorläufig ist es ja hierzulande noch nicht üblich, Greise und Greisinnen zu töten, bringen die sich doch immer häufiger selber um. Bei solchen Informationen ist in einem Großteil der Gesellschaft heute schon »die Seele unbeteiligt«.