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Titel172013

Wie kann ich Kriege verhindern?  (Peter Frenzel)

Peter, sagt die Märchenfee, wünsch dir was. Du darfst und kannst und sollst die Welt verändern, so daß fürderhin keine Kriege mehr möglich sind. Wünsch dir, was du brauchst, um dieses Ziel zu erreichen.

Was wünsche ich mir also?

Ich werde die Menschen verändern. Befreien wir sie doch einfach von der Aggressivität, von Wut und Haß, von Machtwillen und Gewinnstreben, von Ehrgeiz und Geltungsdrang, von Streitlust und Siegeswillen, von der fixen Idee, daß andere Menschen die falsche Hautfarbe, die falsche Nationalität, die falsche Religion haben.

Aber ich sehe schon: Das ufert aus. Spontan fallen mir noch Dutzende Eigenschaften ein, die abgeschafft werden müßten; und wenn ich mit Freunden darüber rede, fallen denen andere ein, an die ich noch gar nicht gedacht habe. Nein, diesen Wunsch werde ich unterlassen. Es kämen normierte Menschen heraus. Klone. Abgeschafft wäre am Ende die Individualität. Eine solche Welt will ich nicht.

Erster Versuch fehlgeschlagen, probieren wir also etwas anderes: Machen wir einfach die Schußwaffen wirkungslos. Verändern wir also nicht die Menschen, sondern an einem bestimmten Punkt die Naturgesetze, indem wir festlegen, daß jedes Geschoß, das in Richtung eines Menschen abgefeuert wird, sofort an den Ort zurückkehrt, von dem es abgefeuert wurde. Eine Atomrakete aus Nordkorea kehrt sofort nach Nordkorea zurück und explodiert dort. In einer solchen Welt würde niemand mehr auf Menschen schießen – außer einem Selbstmörder. Brejvik hätte nur einen Menschen erschossen: sich selbst. Die Millionen Waffen im Privatbesitz der amerikanischen Waffennarren könnten allenfalls noch als Wandschmuck dienen (wenn man denn Waffen an der Wand als Schmuck verstehen mag). Fragt mich nicht nach einer wissenschaftlichen Erklärung. Ich bin kein Physiker. Ich habe von einer Fee eine Gabe und eine Aufgabe erhalten.

Denkt nur, was die Erfüllung meines Wunsches für Folgen hätte. Die Rüstungsindustrie würde überflüssig. Sie müßte sich auf die Herstellung sinnvoller Produkte umstellen. Welch ein Potential für die Versorgung der Welt! Die sogenannten Verteidigungshaushalte in allen Ländern der Welt wären aufzulösen – bis auf Teilbeträge für die Bezahlung der ehemaligen Soldaten. Die könnten beispielsweise zu Entwicklungshelfern umgeschult werden. Welch ein Geldsegen für andere Zwecke! Welch ein Gewinn für die Menschheit!

Aber genügt es, allein den Schußwaffen ihre bisherige Wirkung zu nehmen, um Kriege unmöglich zu machen? Ohne Schußwaffen könnte der Krieg archaischer werden. Schließen wir deswegen Pfeil und Bogen, Armbrust und Steinschleudern mit ein und was sich die Menschheit in Jahrhunderten und Jahrtausenden sonst noch ausgedacht hat, zudem Wurfgeschosse wie Speere, Molotow-Cocktails, Tränengas und so fort. Und auch das Messer in der Hand, das Schwert, der Dolch, der Schlagstock können tödliche Waffen sein. Da muß wohl noch ein weiterer Wunsch her.

Bedenken wir auch die alltägliche Gewalt ohne Waffen: Prügeleien auf Schulhöfen. Rowdies, die auf Bahnsteigen ältere Menschen zusammenschlagen. Männer, die Frauen verprügeln. Eltern, die ihre Kinder schlagen – wie wollen wir das alles verhindern? Mir fällt dazu nur ein, daß um jeden Angegriffenen blitzschnell ein Schutzschild aufgebaut wird. Das ist aber schon wieder ein neuer Wunsch.

Auch Brandanschläge müßten einbezogen werden, Autobomben, Selbstmordattentate, Flugzeuge, die als Bomben benutzt werden. Nicht zu vergessen Gifte und radioaktive Materialien, Seveso und Tschernobyl – die Liste wird immer länger und geht weit über den ursprünglichen Wunsch hinaus, der anfangs so überzeugend klang, nämlich Aggressionen zum Aggressor zurückzuleiten

Laß gut sein, Peter, das ufert schon wieder aus. Es war ja auch alles nur ein schöner Märchenfeenwunsch. Wir sollten uns wohl besser selbst an die Arbeit machen. Oder sind wir etwa unfähig, uns diese Wünsche selber zu erfüllen?