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Von Zeit zu Zeit: Arbeiten uferlos?  (Stephan Krull)

»Wir brauchen ein modernes Arbeitszeitgesetz. Aber das bedeutet die Verkürzung der täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit und eine gerechte Verteilung aller gesellschaftlich notwendigen und nützlichen Arbeit zwischen den Geschlechtern, den Generationen und zwischen den Regionen dieser Welt«, sagt Margareta Steinrücke von der bundesweiten Attac-Arbeitsgruppe ArbeitFairTeilen.

 

Warum ist das jetzt ein Thema?

 

Am 14. August hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die Förderrichtlinie »Zukunftsfähige Unternehmen und Verwaltungen im digitalen Wandel« veröffentlicht, die Unternehmen »Lern- und Experimentierräume« einräumen soll (http://t1p.de/Richtlinie-Bundesanzeiger). Gefördert und gelernt werden soll experimentell die Überschreitung der Grenzen des Arbeitszeitgesetzes, des Acht-Stunden-Tages. Das infame daran: Möglich werden soll das nur durch Tarifvertrag mit der Gewerkschaft oder Betriebsvereinbarung mit dem Betriebsrat. Die SPD-Spitzenpolitikerin gibt vor, damit die größere Tarifbindung von Betrieben im Auge zu haben und so die Gewerkschaft zu unterstützen. Und dann gibt es Gewerkschaften, die dieses giftige Geschenk dankbar annehmen – ebenso wie Verschlechterungen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes oder das sogenannte Tarifeinheitsgesetz. Infam ist es auch, die zeitlichen Autonomiebestrebungen von beruflich aktiven Menschen für dieses Vorhaben zu missbrauchen; den Bedarf von Müttern oder Vätern zum Beispiel, die Kinder nicht schon um sieben Uhr im Kindergarten abgeben zu müssen.

 

Nur mit Zustimmung von Gewerkschaft oder Betriebsrat darf die Arbeitszeit systematisch über die gesetzliche Grenze des seit fast 100 Jahren gültigen Acht-Stunden-Tages hinaus verlängert werden. Inflationär schwirren die Begriffe »Digitalisierung«, »Globalisierung«, »Demografie«, »Facharbeitermangel« und »Flexibilisierung« als Geschosse in dieser Auseinandersetzung durch die Luft, ohne dass irgendeine Substanz hinter diesen Worthülsen steckte.

 

Das globalisierungskritische Netzwerk Attac kritisiert die Bestrebungen von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles, auch die der neuen Landesregierung von CDU und FDP in Nordrhein-Westfalen, die gesetzliche Begrenzung der Höchstarbeitszeit und damit den Acht-Stunden-Tag in Deutschland aufzuweichen. Diese übergroße Koalition der Gesetzesbrecher, der Feinde verlässlicher Arbeitszeiten und der entschiedenen Gegner von Arbeitszeitverkürzung bedroht Arbeiter- und Gewerkschaftsrechte, die Kultur im Land und die Demokratie an sich. Zur gesellschaftlichen Teilhabe und zur demokratischen Mitwirkung benötigen die Menschen Zeit, um zum Sportverein oder in das Theater gehen zu können, müssen wir verlässlich planen können. Das könnte doch eine Entscheidungshilfe für die Bundestagswahl am 24. September sein – oder?

 

Bereits mit dem Anfang des Jahres veröffentlichten »Weißbuch Arbeiten 4.0« hat SPD-Spitzenfrau Andrea Nahles die probeweise Abschaffung des Acht-Stunden-Tages zugelassen. Die Richtlinie zur »Förderung von Lern- und Experimentierräumen« setzt den Vorschlag nun um. Angestrebt wird laut Weißbuch ein Wahlarbeitszeitgesetz, das die »Abweichung von bestimmten Regelungen des Arbeitszeitgesetzes« zulässt (http://t1p.de/Weissbuch-BMAS).

 

Im Koalitionsvertrag von CDU und FDP in Nordrhein-Westfalen heißt es: »Wir wollen […] über eine Bundesratsinitiative das Arbeitszeitgesetz flexibilisieren. Die innerhalb der Vorgaben der europäischen Richtlinie zur Arbeitszeitgestaltung vorhandenen Spielräume wollen wir nutzen und die Tarifpartner […] eigene Regelungen treffen lassen.« Die EU-Arbeitszeitrichtlinie gibt durchschnittlich 48 Wochenstunden mit vielen Ausnahme- und Sonderregelungen vor, beinhaltet aber keine tägliche Höchstarbeitszeit.

 

Die Soziologin und Attac-Aktivistin Margareta Steinrücke setzt fort: »Die mit der Digitalisierung erreichbaren Produktivitätsfortschritte müssen gerecht verteilt werden. Ohne eine radikale Arbeitszeitverkürzung ist diese vierte technische Revolution sozial und gesellschaftlich nicht beherrschbar.«

 

Wenn von »gerechter Verteilung« gesprochen wird, geht es also nicht nur um die Arbeitszeit, sondern auch um die Arbeitsteilung, besser: um die Aufhebung der erst durch Lohnarbeit ins Extreme getriebenen Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen, zwischen sogenannter Kopf- und Handarbeit. Karl Marx hat dieses als schöne Utopie beschrieben, »wo Jeder nicht einen ausschließlichen Kreis der Tätigkeit hat, sondern sich in jedem beliebigen Zweige ausbilden kann, die Gesellschaft die allgemeine Produktion regelt und mir eben dadurch möglich macht, heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden«. (Die deutsche Ideologie. MEW 3, S. 33) John Maynard Keynes prognostizierte vor fast 90 Jahren, dass wir im Jahr 2030 mit einer 15-Stunden-Arbeitswoche auskommen würden.

 

Die Attac-AG ArbeitFairTeilen fordert, die gesetzliche Arbeitszeit von bisher 48 Stunden pro Woche der tariflichen Arbeitszeit von etwa 40 Stunden pro Woche anzupassen. Mit vielen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der »Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik2, mit linken Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern und mit Umweltaktivist_innen ist Attac der Überzeugung, dass die 30-Stunden-Woche als Ziel auf die Tagesordnung gehört.

 

Nahles erhält Unterstützung von den Arbeitgebern, selbstverständlich. Und der Vorstoß zur Aushebelung des Arbeitszeitgesetzes ist auch als Entlastungsangriff seitens der Arbeitgeber zu verstehen: In der bevorstehenden Tarifrunde wollen die IG Metall und ver.di die Arbeitszeit auf die Tagesordnung setzen. In großen Beschäftigtenbefragungen hat sich herausgestellt, das ausufernde Arbeitszeiten eines der größten Probleme der berufstätigen Menschen sind – von den Erwerbslosen wird in diesem Zusammenhang viel zu selten und viel zu wenig gesprochen. Hohe Anforderungen also an die Gewerkschaften seitens der Mitglieder; im Osten unseres Landes steht weit mehr als symbolisch die Angleichung der Arbeitszeit an die im Westen. Auch 30 Jahre nach dem Anschluss der DDR müssen die Menschen in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und teils sogar innerhalb Berlins im Schnitt 14 Tage pro Jahr länger arbeiten als im Westen und haben dafür im Schnitt 25 Prozent weniger Entgelt.

 

All das soll mit dem Vorstoß der SPD-Ministerin, der CDU, der FDP und der Arbeitgeber nicht nur verewigt werden, angestrebt wird eine Angleichung West an Ost – also Arbeitszeitverlängerung und Lohnsenkung. Die Arbeitgeberfinanzierte »Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft« sekundiert die Generationen spaltend schon mal mit einer riesigen Öffentlichkeitskampagne: »Keine Rentengeschenke auf Kosten der Jüngeren« oder »Jobs statt Frühverrentung«.

 

Gut, dass Gewerkschaften Unterstützung bekommen wie die von Attac – ausreichend für eine Mobilisierung in der Bevölkerung, die für einen Arbeitskampf nötig ist, ist das jedoch noch nicht (www.attac-netzwerk.de/ag-arbeitfairteilen).