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Titel1808

Wie sozial und demokratisch ist die SPD?  (Christian Reimann)

Die deutsche Sozialdemokratie hat in ihrer über 140jährigen Geschichte viele Entwicklungen durchgemacht und mehr oder weniger gut überstanden. Neben den Gewerkschaften hat sich die Partei lange Zeit als das politische Element der Arbeitnehmerbewegung verstanden. Es galt, die Situation der Lohnabhängigen zu verbessern. Und das gelang in der Alt-Bundesrepublik – in bescheidenem, aber solidem Maße. Das Einfordern von Reformen, die dem gesellschaftlichen Fortschritt dienten, hatte sich gelohnt.

»Agenda 2010« und Hartz-Gesetzgebung haben die Partei beschädigt.

Gegenwärtig gilt das Hamburger Grundsatzprogramm von Oktober 2007. Zur Zeit der Einführung der »Agenda 2010« galt das wesentlich von Oskar Lafontaine geprägte Grundsatzprogramm, das auf dem Programm-Parteitag im Dezember 1989 in Berlin beschlossen worden war. Daran hätte sich die Partei orientieren können.

Da heißt es zum Beispiel: »Das Recht auf Arbeit ist ein Menschenrecht. Es ist die Pflicht eines demokratischen und sozialen Rechtsstaats, für Vollbeschäftigung zu sorgen. (…) Ungeschützte Arbeitsverhältnisse darf es nicht geben. Leiharbeit ist zu verbieten. (…)«

Doch Protagonisten der Agenda-Politik definierten den Begriff der Vollbeschäftigung um. So erklärte Bundesarbeitsminister Olaf Scholz: »Schlimmer, als arbeitslos zu sein, ist es, arbeitslos zu bleiben. Für mich bedeutet Vollbeschäftigung, wenn jeder nach spätestens einem Jahr einen neuen Job findet.«

Noch während der Programmsatz galt, daß Leiharbeit zu verbieten sei, wurde zum Jahresbeginn 2004 die Arbeitnehmerüberlassung gesetzlich erleichtert, beispielsweise durch Änderung oder Aufhebung von Vorschriften, die die Leiharbeit befristeten. Das Hamburger Grundsatzprogramm spricht nicht mehr ausdrücklich vom Verbot der Leiharbeit.

Eine andere Forderung der Sozialdemokraten war seit langem das gesetzliche Verbot der Aussperrung. Wörtlich hieß es im Berliner Grundsatzprogramm: »Das Gleichgewicht zwischen den Tarifparteien verlangt das gesetzliche Verbot der Aussperrung.« Aber kaum war die SPD 1998 gemeinsam mit den Grünen an die Regierung gelangt. war das Thema vom Tisch. Im Hamburger Grundsatzprogramm ist die Forderung nach einem gesetzlichen Aussperrungsverbot nicht mehr zu finden.

Auch die alte sozialdemokratische Erkenntnis »Nur der Reiche kann sich den armen Staat leisten« paßt nicht zur »Agenda 2010«. Im Gegensatz zu dieser Erkenntnis senkte die Regierung von Gerhard Schröder den Spitzensteuersatz und verringerte die Steuerpflichten der Unternehmen.

Krasse Widersprüche zwischen dem damaligen Grundsatzprogramm der SPD und der »Agenda 2010« klaffen in der Gesundheitspolitik. Ein einziger Programmsatz genügt, um das zu verdeutlichen: »In der gesetzlichen Krankenversicherung lehnen wir eine Kostenbeteiligung der Versicherten über die Beiträge hinaus ab.« Auch das aktuell gültige Hamburger Grundsatzprogramm von 2007 enthält noch Aussagen gegen eine Zweiklassenmedizin, darunter den markanten Satz: »Deshalb wollen wir die solidarische Bürgerversicherung, in die alle Menschen einbezogen werden.«

Aber ähnlich wie den Rentnern, denen die Riester-Melodie der Privatisierung und Eigenverantwortlichkeit gegeigt wird, ergeht es den Kranken, die außer zehn Euro Praxisgebühr nun auch noch wachsende Zuzahlungen auf Behandlungen und Medikamente leisten müssen. Arbeitnehmerschaft und sozial Schwache werden im Vergleich mit den Reichen medizinisch immer schlechter gestellt.

Wie im Inland so auch im Ausland: Im Berliner Grundsatzprogramm hatte sich die SPD der Friedenspolitik verpflichtet und bekundet, sie wolle die Dynamik der Aufrüstung brechen, die der Abrüstung in Gang setzen. »Unser Ziel ist es, den Export von Waffen und Rüstungsgütern zu vermindern.« Diesem Ziel handelte die SPD unter anderem durch den Jugoslawien-Einsatz und milliardenschwere Rüstungsverkäufe grob zuwider.

Seit die SPD mitregiert, wurde die Politik der Kohl-Regierung nicht lediglich fortgeführt, sondern verschärft, der Reform-Begriff wurde pervertiert. Kein Wunder, daß die Partei, seitdem die »Agenda 2010« beschlossen und umgesetzt wurde, viele Mitglieder und sämtliche Wahlen verloren hat. Kurt Beck als Bundesvorsitzender der SPD propagiert nun die »Weiterentwicklung« der Politik der »Agenda 2010«. Meint er damit eine Korrektur zur Verbesserung der Situation der Arbeitnehmerschaft oder eine noch weiter auf Kapitalinteressen eingehende »Agenda 2020«, wie Bundespräsident Horst Köhler sie wünscht?