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Titel1808

Eigenlob und Wertpapiere  (Thomas Rothschild)

Wenn einer allzu sehr mit seinen angeblichen oder tatsächlichen Leistungen oder Qualitäten prahlte, spottete man unter uns Kindern: »Eigenlob stinkt!« Sollte an dieser Redeweise etwas dran sein, müßte es in Salzburg wie in einer Kloake riechen. Das Blättchen der Salzburger Festspiele, das den schönen österreichischen Titel Daily trägt und in dem es Elke Heidenreich schafft, in 39 Kurzzeilen 24 Mal das Pronomen »ich«, »mich« oder »mir« unterzubringen und mitzuteilen, daß sie erstens schön gesprochen und man ihr zweitens einen Marillengeist spendiert hat, trieft nur so von Selbstbeweihräucherung. Ein Superlativ jagt den anderen. Als Informationsquelle ist dieses Organ unbrauchbar. Denn wo die Autoren so maßlos von sich begeistert sind, ist Mißtrauen angebracht. Die Salzburger Festspiele haben eine Reihe grandioser künstlerischer Erfolge vorzuweisen. Etwas weniger Selbstanpreisung würde zum Wohlgeruch beitragen. Diese Töne, die zum Gesang einer Netrebko oder Schäfer scharf kontrastieren, hat freilich nicht Festivalintendant Jürgen Flimm erfunden. Er hat, nach den fünf Jahren des angenehm unaufgeregten Peter Ruzicka, lediglich in gesteigerter Form wiederaufgenommen, was Gérard Mortier ihm vorgemacht hat.

Mortier verkündete in jedem Programmheft der Salzburger Festspiele den dringlichen Wunsch, der »Enthusiasmus für die Kunst«, die »Liebe zur Musik« und die »daraus entspringende Großzügigkeit« von Alberto Vilar, der eine Spende von über sechs Millionen Dollar »gewährte«, möge »viele Nachahmer finden«. Beim Enthusiasmus und der Liebe kann ich mithalten. Bei der Spende hätte ich ein Problem. Wie ich mir ausrechnete, müßte ich jede Woche einen Artikel für ein großes, auflagen- und anzeigenstarkes Blatt schreiben und die Honorare brav in mein Sparschweinchen stecken, um die sechs Millionen Dollar in zweihundert Jahren »zuwenden« zu können.

Jetzt steht Alberto Vilar wegen Wertpapierbetrugs und Geldwäsche vor Gericht. Es droht ihm eine bis zu zehnjährige Gefängnisstrafe. Ich muß also noch einmal überlegen, ob ich Mortiers Aufforderung nachkommen soll oder nicht. Es ist, wie wir jetzt wissen, eine Aufforderung zur Kriminalität. Und es stellt sich die Frage, zu der sich Mortier, der inzwischen in New York Vorbereitungen zu einer weiteren Station seiner Bilderbuchkarriere trifft, nicht äußern will, ob Vilar nur ein besonderer Schurke und Mortier nur ein besonders naives Opfer ist oder ob Sponsoring nicht fast immer an der Grenze des Kriminellen stattfindet. Durch eigene körperliche oder geistige Arbeit gerät man gemeinhin nicht in die Lage, sechs Millionen Dollar verschenken zu können. Woher aber kommt das Geld, das Multimillionäre so »großzügig« spenden? In der »Dreigroschenoper« des angeblich unrettbar überholten Bertolt Brecht gibt es darauf eine Antwort. Zu klären bleibt dann aber noch, wer die öffentlichen Ausgaben bezahlt, wenn die Steuern der großzügigen Spender ausfallen.

Daß Sponsoring nicht nur nützen, sondern auch schaden kann, leugnen nur jene, die sich selbst und andere bewußt betrügen. Die Präsidentin der Salzburger Festspiele Helga Rabl-Stadler verkündet als Nebenmegaphon Flimms und aller vorausgegangener und nachfolgender Intendanten: »›Fürchten Sie nicht auch, daß die Sponsoren und Mäzene Einfluß auf Ihr Programm nehmen?‹, lautet eine der Lieblingsfragen des Feuilletons, gerade weil wir so erfolgreich beim Sponsoring sind. Und ich kann immer ebenso spontan wie ehrlich antworten: Nein, das fürchte ich nicht. Unsere Sponsoren sind viel zu intelligent, um nicht zu wissen, daß inhaltliche Einflußnahme ein Bumerang wäre. Im Gegenteil, ich hoffe, unsere Sponsoren nehmen weiter in dem Sinne Einfluß, daß sie uns ermöglichen, Projekte zu verwirklichen, für die uns sonst das Geld fehlte. Im Namen der Festspiele bedanke ich mich daher herzlich bei unseren Sponsoren, Mäzenen, Förderern und Freunden ebenso wie bei den öffentlichen Subventionsgebern für die großzügige Unterstützung.«

Nachdem Dieter Dorn an der Metropolitan Opera Wagners »Tristan und Isolde« inszeniert hatte, klagte die Erbengemeinschaft von Sybil Harrington auf die Rückzahlung von fünf Millionen Dollar, weil sich das Haus nicht an die Vorgabe gehalten hatte, Opern nur werktreu aufzuführen. Ein Fall von vielen, die zudem nicht immer bekannt werden. Dürfen wir aus Frau Rabl-Stadlers Statement schließen, daß die Erben von Sybil Harrington nicht intelligent genug sind? Wir bitten um ein offenes Wort, Frau Präsidentin.

Im Übrigen sind die in großen Unternehmen für das Sponsoring Verantwortlichen ehrlicher als die devoten Empfänger. Sie machen kein Geheimnis daraus, daß Sponsoren keine Mäzene seien und daß sie, im Gegensatz zu diesen, für ihr Geld oder ihre Sachspenden eine Gegenleistung erwarten. Und wie die aussehen soll – davon haben sie sehr konkrete Vorstellungen.

Auch sind Flimms rituelle Dementis gegenüber Skeptikern wenig glaubwürdig, wo keine Gelegenheit versäumt wird, irgendwelche Affen aus der Politik oder der Festspielleitung bei Empfängen von Kühlschrank- und Autoherstellern oder von Banken abzubilden. Dem hauseigenen Daily gelang es in diesem Jahr tatsächlich, in jeder Nummer, ehe noch eine Sängerin oder ein Dirigent erwähnt wurde, Sponsoren per Foto und Namensnennung vorzustellen, als Aufmacher sozusagen. Daily wird redigiert von Stefan Musil, der zugleich für die Zeitschrift Bühne von den Salzburger Festspielen berichtet. So sieht in Österreich unabhängige Kritik aus – und keiner findet etwas dabei.

Die Käuflichkeit österreichischer Journalisten Balkanisierung zu nennen, käme einer Beleidigung des Balkans gleich. So genieren sich auch die Salzburger Nachrichten nicht, vier Seiten mit redaktionell signierter Werbung für ein Hotel zu füllen, dem sie Zimmerpreise von 240 bis 380 Euro als »wohlfeil« attestieren. Salzburg hat es gut. Die örtliche Presse paßt zu ihren Festspielen wie Kastor zu Pollux. Auch Bernhard Flieher von den Salzburger Nachrichten, seines Zeichens Rockkritiker, schreibt für das Daily der Festspiele, deren Theaterabende er gleichzeitig in den Salzburger Nachrichten kritisiert. »Kritisiert« ist ein Euphemismus. Festspieldirektion und Salzburger Nachrichten treffen sich im Bestreben, die Kritik durch Verlautbarungs- und Gefälligkeitsjournalismus abzulösen. Dazu paßt, daß man als akkreditierter Journalist fast täglich zu Pressegesprächen über Veranstaltungen eingeladen wird, für die man keine Pressekarten erhält, über die man also nicht aus eigener Anschauung berichten kann.

Absolutes Glanzlicht der Salzburger Nachrichten ist Kathi Wörndl, die den Leser täglich aus einem Foto heraus anlächelt und ihre Zeit damit verbringt, Leute, die sie für prominent hält, auf Parties zu begleiten, um dann Angela Merkels Ehemann als deren Freund vorzustellen und Sätze wie diese zu schreiben: »Manfred Zapatka hatte seine Karte trotz (!) der regen Nachfrage erst kurzfristig bekommen. ›Ich habe erst heute Nachmittag erfahren, daß ich zu dieser Oper gehen kann, und mich sehr darüber gefreut‹, sagte er hoch erfreut.« Und wir freuen uns hoch erfreut über Frau Wörndls Qualitätsjournalismus zur Festspielzeit.

Salzburg bot auch in diesem Jahr ein Fest, trotz mancher Enttäuschung, trotz mancher schwächeren Aufführung. Das Recht auf Scheitern muß ausdrücklich gegen die habituellen Nörgler verteidigt werden, wo es um Kunst geht und nicht um Routine und Serienproduktion. Vollkommen wäre das Fest, wenn es sich tatsächlich ohne Abstriche auf die Kunst konzentrierte und auf das branchenübliche Scheppern verzichtete. Spätestens nach dem letzten Vorhang kehren wir ohnedies zurück in die Welt der verlogenen Superlative und der devoten Verneigungen vor dem großen Geld.