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Titel1909

Wohlauf, Kameraden ...  (Johann-Günther König)

Es ist schon ziemlich lange her, da sang die 4. Schwadron der Württembergischen Leib-Jäger-Garde zum ersten Mal Friedrich Schillers »Reiterlied«. Das geschah im Jahr 1810, und nur zwei Jahre später wählten die Sächsischen Musketiere Ludwig Uhlands »Ich hatt’ einen Kameraden« zu dem ihren. Unter den Texten bekannter deutscher Schriftsteller, die im 19. Jahrhundert zu Soldatenliedern vertont und dann bei Märschen gesungen wurden, finden sich auch Wilhelm Hauffs »Morgenrot, Morgenrot«, Clemens Brentanos »So leben die Soldaten« und Hermann Löns’ »Kling, Klang und Gloria«.
Wenn nicht alles täuscht, werden wir schon in naher Zukunft Zeugen der ersten bundesrepublikanischen Militärparade durchs Brandenburger Tor – ein Lied, marsch! marsch! – sein dürfen. Gelöbnisse werden bekanntlich seit längerem in Fußballstadien und jüngst sogar erneut vor dem Reichstag abgenommen, auch wirbt die Bundeswehr nachdrücklich auf sogenannten Jobmessen, in Arbeitsämtern und auf Kirchentagen gezielt um reiselustigen, weder Tod noch Teufel fürchtenden Nachwuchs. Selbst das »Eiserne Kreuz« oder »Ritterkreuz« ist wiederauferstanden, allerdings nennt die Regierung es noch etwas verschämt »Ehrenkreuz der Bundeswehr für Tapferkeit«. Es wird als Sonderstufe für Taten verliehen, die bezeichnenderweise »weit über das erwartete Maß an Tapferkeit im Rahmen der Pflichterfüllung hinausgehen«. So wird für »unsere Soldaten in Auslandseinsätzen« (Minister Jung), deren Alltag »bewaffneter Einsatz ist« (Kanzlerin Merkel), nach einer Schonzeit, die mehr als ein halbes Jahrhundert währte, wieder – wie zu früheren Weltkriegszeiten üblich – militaristisch gesorgt. Auch ein Ehrenmal für die in Afghanistan ums Leben gebrachten Bundeswehrsoldaten, präziser: »das Sinnbild für eine Armee in der Demokratie« (Minister Jung) wurde jüngst und kriegsgedrungen am Rand des Berliner Tiergartens am Bendlerblock feierlich eröffnet. »Den Toten unserer Bundeswehr« verkündet eine schimmernde Wand – ganz so, als wäre der Tod eines in den Kampf abkommandierten Soldaten genauso normal wie der eines an Altersschwäche verstorbenen Kriegsdienstverweigerers.

Fehlt für unsere in Afghanistan tätige Bundeswehr eigentlich nur noch ein Soldatenlied, das sich auch für künftige Militärparaden empfiehlt. Gut möglich, daß die Wahl auf das traditionell bewährte »Reiterlied« fällt – schließlich erleben wir gerade das Schiller-Jahr (250. Geburtstag). Einige Strophen möchte ich hier als Kostprobe kurz anklingen lassen:

Wohlauf, Kameraden, aufs Pferd, aufs Pferd!
Ins Feld, in die Freiheit gezogen!
Im Felde, da ist der Mann noch was wert,
Da wird das Herz noch gewogen.
Da tritt kein anderer für ihn ein,
Auf sich selber steht er da ganz allein. [...]

Des Lebens Ängste, er wirft sie weg,
Hat nicht mehr zu fürchten, zu sorgen,
Er reitet dem Schicksal entgegen keck,
Trifft‘s heute nicht, trifft es doch morgen.
Und trifft es morgen, so lasset uns heut
Noch schlürfen die Neige der köstlichen Zeit. [...]

Drum frisch, Kameraden, den Rappen gezäumt,
Die Brust im Gefechte gelüftet!
Die Jugend brauset, das Leben schäumt,
Frisch auf, eh der Geist noch verdüftet!
Und setzet ihr nicht das Leben ein,
Nie wird euch das Leben gewonnen sein.

Zugegeben, das Soldatenlied könnte unter den für Auslandseinsätze bereitstehenden Soldatinnen und Soldaten schon deshalb auf wenig Gegenliebe stoßen, weil es ziemlich viel Text enthält und altmodisch aufs Pferd und nicht auf einen gepanzerten Geländewagen setzt. Überhaupt sind die heutigen Zeiten und das Weltgeschehen mit denen im Jahre 1797, als Schiller das »Reiterlied« dichtete, nicht zu vergleichen. Und zwar schon deshalb, weil es zu Schillers Zeiten kein Grundgesetz gab, das kriegerische Auslandseinsätze untersagt.

Laut Artikel 115a GG hat der »Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates« die »Feststellung« zu treffen, »daß das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht (Verteidigungsfall)«. Das Grundgesetz sieht folglich nur den Verteidigungsfall für einen aktiven militärischen Einsatz der Bundeswehr vor. Und das wiederum läßt nur den Schluß zu, daß die grundgesetzlich zwingend erforderliche Mehrheit unserer Bundestags- und Bundesratspolitiker bei der »Feststellung des Verteidigungsfalls« davon ausgegangen sein muß, daß ein Angriff von afghanischen Truppen unmittelbar drohte; vielleicht wähnten einige Parlamentarier sogar, die Afghanen hätten das Bundesgebiet bereits »mit Waffengewalt angegriffen«. Nun ist in den Nachrichten von kriegerischen Vorkommnissen fast jede Woche die Rede; von einem geplanten oder laufenden Angriff afghanischer Militäreinheiten auf unser Bundesgebiet berichtete und berichtet jedoch niemand. Liege ich mit der Annahme falsch, daß unsere herrschende politische Klasse einem krankhaften Verfolgungswahn anheimgefallen ist?

Als Bundesbürger, der immerhin fast so alt wie das Grundgesetz und zudem noch anerkannter Kriegsdienstverweigerer ist, kann ich mit meiner einen Stimme bei der kommenden Bundestagswahl all den wieder kandidierenden Parlamentariern, die den Verteidigungsfall gegen Afghanistan ausgerufen haben und am Hindukusch nun blindlings bombardieren lassen, leider kein Ehrenkreuz verpassen.

»Für Frieden, Recht und Freiheit« steht ergänzend an der Wand im neuen Ehrenmal der Bundeswehr. Da das feldgraue Gebäude die Maße einer zu groß geratenen Wartehalle hat, wird es sich nach der Wahl als Umerziehungsstätte für all die abgewählten Politiker anbieten, die das Grundgesetz offenbar mit Schillers »Reiterlied« verwechseln. Kurt Tucholskys Mahnung »Soldaten sind Mörder« sollte dann in der Wartehalle umgehend und als tatsächlich »angemessenes Sinnbild für eine Armee in der Demokratie« in Form eines grell blinkenden Leuchtbandes nachinstalliert werden.