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Titel192013

Alles gut im Panorama  (Peter Arlt)

Nomen est omen: Das Panorama-Museum in Bad Frankenhausen gibt einen Rundumblick über Kunst des Realismus mit symbolischer Metaphorik; in der »Sixtina des Nordens« hält Kunst mit dem Glanz des Gestalthaften Einkehr. Für den Stand und die Leistung des Museums als auch für den jetzt ausstellenden Künstler steht gleichwohl dessen Name: Arrivabene. Alles gut!

Dabei stand es gar nicht gut, als zu Beginn der deutschen Einheit das Panorama als DDR-Erblast hinterfragt wurde und der Landtag überlegte, das Museum zu schließen. Denn nach dem Einigungsvertrag sollten bezirksgeleitete Museen zu Landesmuseen werden; das wollte Thüringen nicht. Seit 2008 lenkt ein Trägerverein das Geschehen, wobei der Freistaat weiterhin die Kosten trägt, wie für die 2010 mit Skulpturen neugestaltete Außenanlage. Das damalige Ministerium für Wissenschaft und Kunst berief Gerd Lindner zum Direktor und bestätigte die von ihm erarbeitete Konzeption des Panorama-Museums: keine historische Gedenkstätte, sondern ein Kunstmuseum mit Werner Tübke im Zentrum, begleitet von einer ständigen Ausstellungstätigkeit, welche mit Präsentationen realistisch-manieristischer Kunst aus europäischen Ländern Tübkes Werk in einen kunstgeschichtlichen Kontext rückt. Damit kam das Museum in das Blaubuch-Ost. Es werden Symbolismus, Phantastischer Realismus, Surrealismus oder Magische Figurationen aus der Kunst Italiens, Spaniens, Tschechiens, der Niederlande, Slowakei, Österreichs, Deutschlands (2014: Robert Schmiedel und Heinz Scharr) in den Blick genommen.

Anläßlich der 450. Wiederkehr des Bauernkrieges beschloß die DDR-Führung 1975, am Schlachtberg ein Denkmal für die aufständischen Bauern und ihren visionären Führer Thomas Müntzer zu errichten – und für sich selbst. Damit identifizierte sie sich stimmigerweise sogar mit einer gescheiterten Revolution, dem Bauernkrieg, woraus sich der größte Auftrag ergab zu Werner Tübkes Hauptwerk, 1976–87. Nach der Eröffnung am 14. September 1989 meldete man einen »wahnsinnigen« Besucheransturm. Beim Bilderstreit, die Kunst der DDR als unwert zu erachten, stieg der Besucherstrom erneut, vor allem aus dem Westen. Heute schallt das Lob auf den Künstler, als hätte sich sein Genius trotz seines auftraggebenden Landes entfaltet und als müßte man nicht wenigstens sagen: Die DDR sei bedankt, sie hat es ihm abverlangt. »Leider« keine Grundgesetzkunst, dafür Weltkunst!

Tübke erfaßte mit mehr als 3000 Figuren auf dem 123 Meter langen und 14 Meter hohen Rundgemälde die Komplexität der frühbürgerlichen Revolution in Deutschland und umgreift das thematische Kompendium von Jahrhunderten, das den zeitübergreifenden Sinngehalt entdeckt und es neu und erfindungsreich zu einem theatrum mundi zusammensetzt. Durch die Perforation der Zeitachsen verbindet sich das Scheitern des Sozialismus mit dem des Bauernkrieges. Im Panoramabild stürzt in einer Gloriole Ikarus vom Himmel. Tübke hielt in den Variablen des Zeitgeistes an den Konstanten der Kunst fest, an der menschlichen Figur und ikonographischen Erfindungskraft.

Zu seinem Bild hat Werner Tübke Führungen nicht gewollt, denn er wünschte sich das eigene Bemühen der Suchenden und Sehenden, weil er von der Ambivalenz der Bilddeutungen wußte. In zwei Bildmotiven rüstet er die wissende Eule wie den lügnerischen Teufel mit Brille und Kerze aus. Von dieser Deutungsproblematik geht das Niveau der hier hochgehaltenen Kultur der Kunstvermittlung aus und bietet den Besuchern sehr angenommene Führungen.

Dem Vermächtnis der Kunst Tübkes folgt das Konzept der Wechselausstellungen im Panorama-Museum. Dem jetzt erstmals groß in Deutschland ausgestellten Agostino Arrivabene, 1967 bei Mailand geboren, baut Tübkes Werk eine Brücke von der alten Malerei in die Gegenwart. Arrivabene ist von der Kunst Boschs, Bruegels, des Manierismus, der Präraffaeliten und Ernst Fuchs‘ inspiriert und brilliert mit einer Feinmalerei in Tempera und Öl sowie obsessiven, virtuosen, mythengesättigten Bildfindungen. Seine Intention gewann er aus Aischylos‘ Agamemnon, in dem Zeus »uns zum ernsten Nachsinnen leitet, leidend uns Leides Lehre lernen läßt«. Der Künstler verlor als Kind die Mutter, später den Vater und stand vor tödlicher Bedrohung. Arrivabene malt Leidensbilder ohne tröstliches Alles-gut. Er lotet die Tiefenschichten der Individualität aus und dringt aus der Gedankenwelt der Psychoanalyse in sich und in seine persönlichen Krankheiten und Ängste ein. Unerschrocken öffnet er den Blick in apokalyptische Abgründe mit den realen Gespenstern der Lebensgeschichte. In deren Absurdität fand er für »Das Lauern der Albträume«, 1998, das beängstigende Motiv, wie einer, dessen Körper über einem Abhang hängt und abzustürzen droht, an den Beinen von einem Teufel festgehalten wird, der ihm zugleich sadistisch die Fußsohlen leckt. Die Bildphantasie übersteigt die Wirklichkeit auf eine solche Art, daß erkannt werden kann, wie die Dinge wirklich sein könnten. In den »Metamorphosen« Arrivabenes verwandelt sich Menschliches zu Organoidem; aus den Wundmalen des Heiligen Sebastian sprießen Adern violetter Pflanzen, treiben Korallen auf; dem Baumstumpf entfliegen Schmetterlinge, den Toten ihre Seelen; von der Schildkröte getragene Totenköpfe, ein das Leben belastender Schicksalsgedanke – ungewöhnliche Vanitas-Darstellungen.

Daß es Arrivabene »nicht um eine Rekonstruktion oder gar bloße Illustration der alten Geschichten geht«, wie Gerd Lindner betont, »sondern um eine veritable Neubefragung zur eigenen Sinnvergewisserung«, belegt seine künstlerische Entwicklung. Vergleicht man die beiden Fassungen des »Ganymeds«, so erscheint in der ersten von 1998 der schöne Jugendliche traditionell in den Fängen des Adlers, von Blitzen umzuckt, innovativ für die Energie zum olympischen Aufstieg. Völlig neuartig bringt »Rapture (Ganymed)« von 2012 ikonische Zeichen für eine Art Seelenwanderung. Des Adlers göttliche Energie wird umgeformt, jenseits des vulgären Sinnes von Materie, zu sensibel tastenden Schwingungen einer fluoriszierend aufgeladenen Gestalt. In flimmernden Lichtpunkten wird Ganymed aufgehoben, eine Form spiritueller Reinigung. Sind es »schaurig schöne Depri-Bilder«, wie eine Besucherin befand, wenn auf ihnen ein Kopf in den Quallenschwarm hineinschwimmt, Figuren kopflos und fliegenumsäumt sind, Auswüchse Leiber zerstören, bakterielle Wolken das Augustusforum verseuchen oder an der vielköpfigen Persephone Totenköpfe der weltweit jede Sekunde Sterbenden geschoßartig vorüberfliegen. Arrivabene ist ein Maler im Umkreis des römischen Gottes der Türschwelle Limentius, der die Schwellen und Wände zu anderen Realitäten untersucht in großartigen phantastischen Bildern von Leiden und der Angst, die im Schlafe pocht. Mit visionärer Phantasie wendete er das innerlich real Existierende um.

Symbole in Bildern sind als »lebendige existentielle Tatsachen und nicht bloße Zeichen für etwas Bekanntes« zu verstehen, so C. G. Jung. Wenn auch die individuellen Träume, Visionen und Wahnideen des Künstlers zum Betrachter Barrieren bauen, so sind die daraus gespeisten bildmäßigen Zusammenhänge nicht nur einmalig und subjektiv, sondern zum anderen kollektiv und objektiv und somit dem Betrachter als Archetypen zugänglich. Es geht eigentlich immer um ein teilweises Verständnis von Kunst und ein Bemühen, möglichst die Essenz eines Werkes zu verstehen. Wer Agostino Arrivabenes eindrucksvolle Bilder des funkelnden Tores zum Kosmos und des dunklen Ganges, der zu Persephone führt (Goethe), nur rational begreifen will, ähnelt dem »Sternschnuppensammler«. Von den geheimen Wünschen, die mit den fallenden Sternschnuppen in der Seele aufsteigen, wird er aus dem See Sternschnuppen als faustgroße Steine fischen.

Bis 20. Oktober, Panorama-Museum, Am Schlachtberg 9, Bad Frankenhausen geöffnet Di bis So, 10 bis 18 Uhr; Katalog 30 €