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Römische Kampagne  (Susanna Böhme-Kuby)

Papst Benedikt XVI. hätte gern die »lectio magistralis« zur Eröffnung des 705. Akademischen Jahres der römischen Universität »La Sapienza« gehalten. Er war dazu vom Rektor für den 17. Januar eingeladen worden – entgegen einer Tradition, die die programmatische »lectio magistralis« einem Mitglied des Lehrkörpers dieser größten staatlichen Hochschule Italiens (und Europas) vorbehält. Kritik an der Einladung zu einem solchen Auftritt des Papstes wurde zunächst nur von dem emeritierten Physik-Professor Marcello Cini in einem offenen Brief an den Rektor formuliert, dem sich dann 67 Kollegen und ein Teil der Studenten anschlossen; sie kündigten eine Protestkundgebung auf dem Universitätsgelände an. Solche Umstände schienen dem Vatikan unannehmbar; am 15. Januar, zwei Tage vor der Zeremonie, sagte er den Papstbesuch ab.

Die Medien, großenteils in der Hand des Oppositionsführers Berlusconi, schürten Aufregung darüber. Auf der politischen Bühne, auf der es derzeit eigentlich genug anderere, größere Probleme zu lösen gibt, reagierten die meisten Volksvertreter fast aller Couleur mit Kniefall. Man zitierte Voltaire und das Rederecht der Andersdenkenden, das dem Papst verwehrt worden sei. Nicht nur die Freiheit des Wortes sah man bedroht, auch demokratische Grund- und gar die Menschenrechte. Gegenargumente wurden nicht vermittelt, sondern pauschal als anachronistischer Antiklerikalismus verdammt. Radio Maria bemühte gar den Satan. Berlusconi – ante portas – sah das Ende der Demokratie (und nicht nur der Regierung Prodi) gekommen.

So stand der Papst bald als Sieger da. Seine vom Vatikanblatt Osservatore Romano und der italienischen Tagespresse zeitgleich veröffentlichte Rede (zu einem anderen als dem angekündigten Thema) wurde in der Universität vor seinem photographischen Konterfei verlesen und mit langem Applaus quittiert. Viele geladene Gäste waren allerdings ausgeblieben, und die Studenten wurden durch ein massives Aufgebot der Polizei ferngehalten, die das ganze Hochschulgelände abgesperrt hatte; in die Blickwinkel der Fernsehkameras gerieten jedoch nur Mitglieder kirchlicher Studentenorganisationen mit demonstrativ verbundenem Mund. Auch der römische Bürgermeister Walter Veltroni, Chef der neuen Demokratischen Partei, sowie Universitätsminister Mussi stellten sich demonstrativ auf die Seite des Papstes. Nach einer nächtlichen Mahnwache, die Giuliano Ferrara, Chef des Berlusconi-Blattes Il Foglio, propagiert hatte, rief Kardinal Bertone alle Gläubigen Italiens zur Solidarität mit dem verfolgten Papst auf. Zweihunderttausend Menschen folgten am 20. Januar diesem Ruf auf den Petersplatz, die Politiker der Rechtsparteien vorneweg, in Eintracht neben dem Bürgermeister.

Warum soll der Papst nicht in einer Universität reden dürfen?! entrüsten sich viele. Nicht in solch repräsentativer Rolle bei einer offiziellen Zeremonie einer Institution der Republik Italien, sagen die wenigen Laizisten und warnen vor Überschreitung jener Grenzen, die es in Italien zwischen Staat und Kirche jedoch nicht wirklich gibt. Zumindest nicht mehr seit der Auflösung der traditionellen Parteienlandschaft der Nachkriegsphase. Damals hatte die Kirche der finanz- und mitgliederstarken Christdemokratischen Partei das Politikmachen überlassen. Heute macht sie wieder selber Politik. Eugenio Scalfari, Begründer der Tageszeitung La Repubblica, schreibt, Italien sei eigentlich immer noch eine »päpstliche Provinz«, in der zwischen den beiden Minderheiten authentischer Katholiken und authentischer Laizisten eine breite Masse von »frommen Atheisten« lebe. Diese, so der Historiker Gian Enrico Rusconi, würden geleitet von der »Religion der Italiener«, einer Mischung aus »traditionellem Ritualismus und Symbolismus, die sich in der Öffentlichkeit mit Ehrerbietung gegenüber kirchlicher Autorität als moralischer Instanz verbindet«. Die Mehrheit der einstigen Linken setzt dem seit geraumer Zeit nichts mehr entgegen.

Im Jahre 2000 hatte Pietro Scoppola, Historiker, christdemokratischer Senator, Vertrauter des Papstes Pius VI., kritisiert, daß die Botschaft des II. Vatikanischen Konzils (die demokratische Rolle mündiger Gläubiger gegenüber der Hierarchie des Vatikans zu stärken) zunehmend vernachlässigt werde, und er hatte vor einer Gleichschaltung zwischen »christlichen Werten« und dem Gesetz gewarnt. Eben diese Gleichschaltung ist in Italien im Gange, wie man an der alltäglichen Medienpräsenz der Kirche und dem von der Hierarchie ausgeübten Druck auf die gesamte italienische Gesetzgebung der vergangenen Jahre sehen kann. Italien konnte zum Beispiel seine Familiengesetzgebung nicht den europäischen Normen anpassen, so daß geltende Gesetze teilweise dem gerade in Lissabon auch von Italien unterzeichneten europäischen Vertrag widersprechen.

Am 21. Januar gab Kardinal Bagnasco in seiner Eröffnungsrede vor der italienischen Bischofskonferenz ein regelrechtes politisches Programm bekannt, von der Forderung nach Novellierung des Abtreibungsgesetzes bis hin zur sozialen Frage, die sich unter der amtierenden Regierung Prodi verschärft habe. Er spitzte seine Attacke noch mit der erstaunlichen Behauptung zu, nur auf Druck der Regierung sei der Papst von seinem Vorhaben an der »Sapienza« zurückgetreten. Die Regierung bestritt umgehend, irgendwelchen Druck ausgeübt zu haben. Aber das Dementi ging unter. Am selben Tag leitete der gerade unter Korruptionsverdacht zurückgetretene Justizminister Mastella eine Regierungskrise ein, indem er vor Fernsehkameras ankündigte, daß seine UDEUR-Partei (eine der kleinen Nachfolgerinnen der einstigen Christdemokratischen Partei) die Prodi-Koalition verläßt. Diese wäre damit am Ende.

»Warum müssen eigentlich Italien und seine Katholiken immer wie der ›Vorgarten der Kirche‹ behandelt werden?« fragte Pietro Scoppola. Die Antwort liegt in der Geschichte Italiens. Und der Vatikan liegt nun einmal in Rom.