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Titel218

Wahre Freundschaft  (Ralph Hartmann)

»Die Ukraine hat große Erfolge erzielt seit der Maidan-Revolution.« Diese Einschätzung kommt aus berufenem Munde. Getroffen hat sie der ehemalige Ministerpräsident des Freistaates Sachsen, Georg Milbradt. Sein dickes Lob bezieht sich vor allem auf die Fortschritte bei der Dezentralisierung der Verwaltung des Landes, einer vermeintlichen innenpolitischen Kernaufgabe der ukrainischen Regierung. Aber wieso eigentlich kommt der frühere Sachsenchef (2002–2008) dazu, sich so prägnant zur Entwicklung des osteuropäischen Staates zu äußern? Nach Aufgabe seines führenden Postens in Dresden hat er wieder eine steile Karriere gemacht und ist zum deutschen Sondergesandten für die ukrainische Reformagenda aufgestiegen. An der Beratungsfront der Kiewer Regierung kämpft Milbradt keineswegs allein. Er hat Kampfgenossen an seiner Seite, in Gestalt der erfahrenen Spezialisten der »Deutschen Beratergruppe bei der ukrainischen Regierung«, deren Aufgabe die kontinuierliche Unterstützung und Begleitung von wirtschaftlichen Reformprozessen in der Ukraine ist. Die bereits 1994 gegründete Gruppe untersucht aktuelle Probleme der Wirtschaftspolitik und gibt – selbstredend selbstlos – hochrangigen Entscheidungsträgern der ukrainischen Regierung konkrete Handlungsempfehlungen. Wie unabhängig und uneigennützig die Gruppe zu Werke geht, zeigt sich auch darin, dass sie unter anderem im ständigen Dialog mit dem Internationalen Währungsfonds und der Weltbank steht.

 

Aber die bundesdeutsche Beratergruppe steht nicht allein auf weiter ukrainischer Flur. An ihrer Seite ficht die Support Group for Ukraine der EU, eine Art Vorposten der EU-Kommission bei der ukrainischen Regierung. Geleitet wird er von dem gebürtigen Baden-Württemberger und studierten Politologen Peter M. Wagner. Sein Team von 40 EU-Beamten soll in Kiew und von Brüssel aus helfen, die Ukraine zu reformieren. Insgesamt elf Milliarden Euro hat die EU dafür für den Zeitraum zwischen 2014 und 2017 zur Verfügung gestellt.

 

Obwohl die Erfolge höchst bescheiden sind, fordert der baden-württembergische Beratungschef, die Ergebnisse nicht kleinzureden: »Dass es immer wieder Rückschläge gibt, ist unbestritten, aber es gibt dennoch zahlreiche Reformer, die etwas vorantreiben wollen und damit erfolgreich sind.« Dabei kann er auf den Londoner Thinktank Chatham House (auch bekannt als Royal Institute of International Affairs) verweisen, der nahezu jubelnd feststellte: »In den vergangenen vier Jahren hat die Ukraine so tiefe und weitreichende Reformen unternommen wie nie zuvor in den 22 Jahren ihrer postsowjetischen Zeit.« (www.zeit.de)

 

Das bundesdeutsche Auswärtige Amt teilt diese erfreuliche Einschätzung, schließlich hatte auch Präsident Petro Poroschenko sie bei seinen häufigen Aufenthalten in Berlin wiederholt von sich gegeben. In der Länderinformation des Auswärtigen Amtes zur Ukraine heißt es wohlwollend: »Seit der Maidan-Revolution ist in der Ukraine viel erreicht und verändert worden, das Land hat mutige Reformen angestoßen und wichtige Weichen gestellt.«

 

Tatsächlich, es geht voran in der Ukraine. Aber wo Licht ist, ist bekanntlich auch Schatten. Das leuchtende Bild, das das Land bietet, wäre noch heller und glänzender, wenn es die grassierende, anscheinend unbesiegbare Korruption auf allen Ebenen nicht gäbe. Laut EU-Rechnungshof gilt die Ukraine immer noch als das korrupteste Land Europas. Im Zuge der »Reformen« wurde auch eine Agentur zur Korruptionsprävention geschaffen. Doch das hier konzentrierte Know-how führte leider dazu, dass die Agentur selbst in korrupte Praktiken verstrickt ist. Die Schaffung eines unabhängigen Gerichtshofes zur Ahndung dieser Wirtschaftsverbrechen wird von Jahr zu Jahr verschleppt.

 

Auch die wirtschaftliche Entwicklung gibt nicht gerade Anlass zu Jubelfeiern. Wie beeindruckend sie seit dem Maidan-Putsch vorankommt, zeigt schon die Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes. Von 2013 bis 2017 stürzte es von 179,57 Milliarden auf 93,26 Milliarden US-Dollar ab (https://de.statista.com). Offenbar sind die ausländischen Wirtschaftsberater nicht allzu erfolgreich.

 

Augenscheinlich arbeiten die Militärberater aus NATO-Staaten, darunter aus den USA, der Bundesrepublik und Großbritannien, effizienter. Ihre Gesamtzahl wird verständlicherweise geheim gehalten, sie schwankt zwischen 100 und mehreren Hundert. Zuweilen gibt es allerdings offizielle Vereinbarungen. So wurde im September 2016 mit der Ukraine ein Abkommen über die Entsendung deutscher Offiziere, die bei der Heeresakademie in Lwiw »Beratungshilfe erweisen« sollen, unterzeichnet. Und im November 2017 trafen laut einer Verlautbarung der Regierung in Kiew 250 US-Militärberater in der Ukraine ein, um ukrainische Truppen auszubilden.

 

Mehr als 900 Ausländer aus der EU, den USA und dem Baltikum sollen für Kiew gegen die selbsterklärten Volkrepubliken Donezk und Lugansk im Einsatz sein. Dies teilte ein Sprecher des Donezker Armeekommandos Anfang Oktober 2017 RIA Novosti mit. Ein Glanzpunkt der NATO-Hilfe für Kiew war zweifellos die im März 2016 erfolgte Verpflichtung des bewährten Friedenskämpfers und Russlandfreundes, des ehemaligen NATO-Generalsekretärs (2009–2014) Anders Fogh Rasmussen, als Sonderberater des ukrainischen Präsidenten.

 

Inzwischen geht es voran. Während bisher nur verdeckte Waffenlieferungen aus NATO-Staaten, darunter vor allem veraltetes Kriegsgerät, erfolgten, hat die Trump-Administration im Dezember des Vorjahres dem Verkauf von tödlichen Waffen aus amerikanischer Produktion im Wert von 41,5 Millionen Dollar an die Ukraine zugestimmt. Damit ist der Damm endgültig gebrochen. So kann es nicht verwundern, dass der Bruder im Geist von Rasmussen, Senator John McCain, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses des US-Senats, den »überfälligen Schritt« begrüßte und Trump aufforderte, »zusätzliche Verkäufe defensiver Waffen zuzulassen, darunter auch panzerbrechende Munition«.

 

So ermuntert hat Kiew inzwischen im Osten des Landes massiv aufgerüstet und laut Vize-Generalstabschef Artur Artjomenko dort 250.000 Soldaten stationiert. Parallel dazu wurde ein »Gesetz zur Reintegration des Donbass« verabschiedet, in dem Russland als »Aggressor« bezeichnet und jegliche Zusammenarbeit eines Ukrainers mit dem Nachbarland als Hochverrat betrachtet wird. De facto sind mit diesem Gesetz die Minsker Vereinbarungen obsolet. Eine Kernbestimmung von »Minsk II« vom 12. Februar 2015 sah bekanntlich vor, dass das ukrainische Parlament innerhalb von 30 Tagen eine Autonomie für »bestimmte Regionen der Gebiete Lugansk und Donezk« beschließen soll. Die Kiewer Regierung zeigte jedoch keinerlei Bereitschaft, diese Vereinbarung auch nur ansatzweise zu erfüllen, worauf die USA und die EU zu scharfen Strafmaßnahmen griffen und umfangreiche Sanktionen verhängten beziehungsweise verlängerten. Allerdings nicht gegen die Ukraine, sondern gegen Russland. So bestätigt sich eine alte Weisheit: Wahre Freundschaft darf nicht wanken. Gute Freunde bestraft man nicht, deren Widersacher aber umso mehr.