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Titel218

Fehlstellen im Politikerhirn  (Winfried Wolk)

Mir tun unsere Politiker manchmal leid. Vor lauter Regieren, Reden und Reisen kommen sie einfach nicht dazu, sich mit den weltpolitischen Gegebenheiten zu beschäftigen. Da passiert es schon mal, dass wichtige Bücher, die Schlüsselinformationen über geostrategische Ziele liefern, wie Zbigniew Brzezińskis »The Grand Chessboard«, nicht zur Kenntnis genommen werden können. Auch rasen bei einem solch hektischen Politikerleben die Zeitereignisse in einer Geschwindigkeit vorüber, dass erhellende Informationen nicht ins Bewusstsein dringen, auch wenn sie einmal den Weg in unsere Mainstream-Medien finden.

 

So muss es wohl in den letzten Jahren unserem amtierenden Außenminister ergangen sein. Seine Rede, in der er am 5. Dezember 2017 auf dem »Berliner Forum Außenpolitik 2017 der Körber-Stiftung« vor 250 hochrangigen Politikern, Regierungsvertretern, Experten und Journalisten die Kernfragen deutscher Außenpolitik erörterte, lässt mich das vermuten. Darin spricht er zu Beginn von der »Werteorientierung, wie sie gern von uns Deutschen für unsere Außenpolitik in Anspruch genommen wird«, die jetzt allerdings nicht ausreichen würde, um sich in dieser von wirtschaftlichen, politischen und militärischen Egoismen geprägten Welt zu behaupten. Ich komme beim Wort »Werteorientierung«, an der sich die deutsche Außenpolitik so orientiert, ins Grübeln und frage mich, ob wir denn gar keinen Anteil an den wirtschaftlichen, politischen und militärischen Egoismen haben, die unsere Welt prägen und die diese Werteorientierung in Frage stellen.

 

Etwas weiter im Text lese ich die Begriffe Multilateralismus, Völkerrecht, universelle Gültigkeit von Menschenrechten und verstehe, dass das die Werteorientierung sein muss, von der zuvor gesprochen wurde. Die, so sagt Gabriel, werden von manchen durchaus unbekümmert, von anderen eher unverfroren in Frage gestellt, und er stellt fest: »Das in der UN-Charta und in zahlreichen Verträgen kodifizierte Völkerrecht befindet sich in der Krise«, was er allerdings dem Verhalten Russlands in der Ukraine- und Syrienkrise anlastet. Da frage ich mich, ob es möglich sein kann, dass unserem Außenminister entgangen sein sollte, was da eigentlich in der Ukraine passiert ist. War doch bereits am 21. Februar 2014 bei Spiegel online in dem Artikel »Schachspiel im Minenfeld« zu lesen, dass es das geopolitische Bestreben der USA ist, die Ukraine aus der jahrhundertealten Bindung zu Russland zu lösen, um Russland strategisch zu schwächen. Die damals im US-Außenministerium für Europa- und Eurasien-Angelegenheiten zuständige Abteilungsleiterin Victoria Nuland prahlte damit, dass die USA mit fünf Milliarden Dollar den Regime Change in der Ukraine finanziert hatte. Der frühere US-Präsident Obama bekannte am 1. Februar 2015 in einem Interview mit Fareed Zakaria bei CNN, dass der Regimewechsel in der Ukraine durch die direkte Einmischung der USA zustande gebracht worden war, außerdem hatte der Friedensnobelpreisträger offenherzig verkündet, dass man Länder, die nicht das machen, was die USA wollen, unter massiven Druck setzen müsse. Nun bin ich kein Politiker, und es könnte sein, dass in der werteorientierten Politik des Westens das Unter-Druck-Setzen missliebiger Länder, das Arrangieren von Regime Changes und die Finanzierung inszenierter Putsche nicht als massive Einmischung in die Angelegenheiten souveräner Staaten, vielleicht sogar als völkerrechtlich gedeckt angesehen werden, denn es geht ja um nichts Geringeres als die geopolitische Vorherrschaft.

 

Es gab sogar mal einen US-Präsidenten, der die UNO als Ganzes für irrelevant erklärte, weil die Völkergemeinschaft nicht willens war, einen mit Lügen begründeten Krieg gegen ein souveränes Land, den Irak, gutzuheißen. Davon spricht unser Außenminister aber nicht. Das Völkerrecht jedenfalls, so meint er, wird vor allem von Russland, China, und Iran bedroht oder sogar gebrochen. »Die geschwächte Ordnungsprojektion und Gestaltungskraft der USA kann in Nah-Mittelost nur noch eingeschränkt staatlichen Zerfallstendenzen entgegenwirken«, analysiert unser Außenminister in seiner Rede in Berlin die Situation und übersieht dabei vollkommen, dass die langjährige US-Politik im Irak, in Libyen, in Afghanistan und in Syrien genau diese staatlichen Zerfallstendenzen zu verantworten hat. Diese Politik ist doch die Ursache!

 

Mir wird ganz angst und bange, wenn unser Außenminister die hochrangigen Politiker, Regierungsvertreter, Experten und Journalisten dieser Konferenz fragt: »Wie gehen wir damit um, dass die USA in unmittelbarer Nachbarschaft Europas Akteuren Raum lassen, die andere Wert- und Ordnungsvorstellungen verfolgen, als wir sie entwickelt haben?« Die Wert- und Ordnungsvorstellungen, die wir entwickelt haben, sind die der USA. Überall sind wir mit dabei, unterstützen das Zerstören bestehender Staatsverbände nach Kräften. Die Akteure in unmittelbarer Nachbarschaft Europas, die Sigmar Gabriel aber nicht konkretisiert, sind im Wesentlichen Russland und der Iran. Beide stehen schon lange auf der Liste der Länder, die mit allen Mitteln dem US-amerikanischen Einflussgebiet zu unterstellen sind. Jetzt, wo die USA ganz aktuell die Ukraine weiter mit Waffen aufrüsten und den Raketengürtel enger um Russland ziehen, klingt diese appellierende Frage ziemlich merkwürdig.

 

Was bezweckt der deutsche Außenminister damit? Sollen wir jetzt die alten Aufmarschpläne aus den Schubladen holen, weiter aufrüsten und Atomwaffen anschaffen, damit Europa und vielleicht dieser Globus ein für alle Mal zu Asche wird? Ich bin kein Politiker, aber die Umsetzung des Amtseides, Schaden vom deutschen Volke zu wenden, stelle ich mir ganz anders vor.