erstellt mit easyCMS
Titel218

Am Rosenmontag vor 70 Jahren  (Matthias Biskupek)

Der Winter 1947/48 in München ist grau und kalt, aber nach dem Krieg kann man endlich wieder richtig Fasching feiern. Die Singspielhallen sind in Betrieb. Sogar ein gewisser Karl Valentin, den »seine Münchner« längst vergessen haben, bekommt Auftritte: bis Mitte Januar im »Simpl«. Ende des Monats hat er ein Engagement im »Bunten Würfel«. Bereits im Dezember stand er dort mit Liesl Karlstadt auf der Bühne. Doch die Zeiten rauschender Erfolge mit hohen Honoraren sind vorbei. Was es noch gibt: ein paar freundliche Rezensionen.

 

Valentin wohnt weit draußen, in Planegg; seine Stadtwohnung ist von Bomben zerstört. Er bittet bei der Verwaltung um eine Innenstadtwohnung, damit er nach Auftritten sich nicht weit durch die Nacht fahren lassen muss. Das wird abgelehnt. Die Wohnungsnot ist groß. Er habe schließlich ein Dach überm Kopf und eine Werkstatt anbei. In der hatte er Holzlöffel und Nudelhölzer gefertigt, zum Verkauf, um den Krieg und die Kälte und den Nachkrieg und den Hunger und die ganze saudepperte Zeit zu überstehen.

 

Eine monatliche Radiostunde, um die er bittet, bekommt er für ein knappes halbes Jahr. Dann wird sie abgesetzt. »Seine Münchner« wollen was Lustiges, wollen den Komiker Weiß-Ferdl, nicht diesen aus der Zeit gefallenen grauslichen dürren Kerl, der Zeugs über die Atombombe schreibt, die bald den ewigen Frieden bringen wird.

 

Um ihn zu schonen, teilen ihm die Rundfunkleute mit, die Amerikaner, Herren übers bayerische Radio, wollten seine Sachen nicht. Fürs Gemüt ist es besser, man wird von der Zensur abgelehnt, als vom früher so begeisterten deutschen Volk. Dabei weiß Valentin es eigentlich genauer: »Ich habe meine lieben Bayern und speziell meine lieben Münchner genau kennengelernt. Alle andern mit Ausnahme der Eskimos und der Indianer haben mehr Interesse an mir als meine Landsleute.«

 

Nun hat er also ein Engagement, und wieder verderben Bürokraten, seelenlose Hotelfritzen ihm alles. Er führte einst im »Buchbinder Wanninger« sehr anschaulich vor, wie der Einzelne im Räderwerk der Zuständigkeit kaputtgeht. Genau das aber passiert ihm immer wieder ganz real. Im Januar 1948 hat man die Hotelbestellung für ihn verschlampt. Seine einstige Bühnenpartnerin und Freundin Annemarie Fischer meint, er habe deshalb aus lauter Trotz die Nacht nach einem Auftritt in der ungeheizten Theatergarderobe zugebracht und sich dabei eine Erkältung zugezogen. Wer wird nicht an den Satz jenes Knaben erinnert? »Meine Mutter ist selber dran schuld, wenn ich mir die Finger erfriere, warum kauft sie mir keine Handschuhe!«

 

Karl Valentin hat zwar im Ersten Weltkrieg noch allerlei Hurrapatriotisches von sich gegeben, bei WK Zwo will er nicht mehr mitspielen. Gewiss, der Herr Hitler hat sich einst, genauso wie dieser Brecht, ausschütten können über Valentins schwarzen Humor, und der Leibfotograf Hitlers, Heinrich Hoffmann, war mit Valentin richtig gut bekannt, doch der Misanthrop Valentin konnte diesem ganzen Volkssturmdeutschland längst nichts mehr abgewinnen. Zwar schrieb er für das sogenannte Intellektuellenblatt der Nazis Das Reich noch einige gut bezahlte Texte. Er war aber auch ehrlich genug, zu bekennen, dass er nur deshalb nicht in die Nazipartei eingetreten ist, weil sie ihn gar nicht erst gefragt haben …

 

Karl Valentin bestand darauf, dass sein Name bairisch ausgesprochen werden müsste, weil man ja auch nicht Water statt Vater sagte. Wir setzen hinzu, dass er auch deswegen nicht Wallentin hieß, sondern Fallentin, weil seine Texte nie etwas mit Wallerie und Wallera zu tun hatten, sondern immer mit einem Fall. Einem Fall ins Schwarze, ins Tiefe und Bodenlose.

 

Im Februar 1948 bewahrheitete sich das für sein Leben. Er starb am Tag, da die närrische west- und süddeutsche Welt sich nicht zu lassen weiß vor Spaß, am Rosenmontag. Schuld war die Erkältung, war diese verschlampte Hotelbestellung, waren die Stadtverwaltung, die Amerikaner und das ganze Weiß-Ferdl-Gesocks. Der Hypochonder Valentin Ludwig Fey, Künstlername Karl Valentin, der Taxifahrern extra Geld gab, damit die nicht zu schnell rasten, der sich überall vor Ansteckung fürchtete, stirbt an einer läppischen Erkältung. Biograf Michael Schulte schrieb: »Valentin war zu Tode enttäuscht.«

 

Er hatte sich aber auch jene Krankheit zugezogen, die viele Satiriker und Humoristen gegen Lebensende trifft, heißen sie nun Jonathan Swift oder Walter Mehring, Kurt Tucholsky oder Wilhelm Busch. Die Krankheit hat den Namen Resignation.

 

Den Nachruf für Karl Valentin schrieb Sigi Sommer. Der wollte seinen Freund, den großen Künstler, nicht ohne Pointe gehen lassen und erfand für ihn seine letzten Worte: »Wenn i gwusst hätt, dass das Sterben so leicht ist …«

 

Valentin kämpfte zeit seines Lebens gegen Plagiatoren, die seine Einfälle nutzten, seine Pointen klauten oder stillschweigend weitergaben. Nach dem Tod bekommt er eine fremde Erfindung als eigenen Geistesblitz.

 

Eine traurige Geschichte über Lokalpatriotismus ist die seines Nachlasses. Die Witwe Gisela Fey wollte von der Stadt München siebentausend Mark dafür. Doch man zeigte keinerlei Interesse am Zeug vom spinnerten Teifi. So kam es, dass der Nachlass des Mannes, der für viele noch immer der Inbegriff des Münchners ist, heute fern von München lagert. Der Theaterwissenschaftler Carl Niessen bekam die siebentausend zusammen und rettete die Zettel und Fotos, die Programmhefte, Noten, Kinderzeichnungen, die Familienchronik und die zwölf(!)bändige Bibliothek für das Theatermuseum Köln. In dieser Stadt, für die der Rosenmontag natürlich ein wichtiger, wenn nicht der wichtigste Tag ist, gastierte Valentin übrigens niemals.