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Titel2011

Bemerkungen

Vor immer neuen Irrtümern
Unter der Überschrift »Steinbrück fordert neue Währungsunion« läßt Spiegel online diesen Kanzlerkandidatenanwärter der SPD zu Wort kommen: Daß kein Land für die Schulden eines anderen eintreten müsse, sei ein Irrtum gewesen, »der an den Realitäten der Krise zerschellte«. Steinbrück sprach sich für eine Neukonstruktion der Währungsunion aus.« Im Hinblick auf Griechenland und andere sogenannte Pleitestaaten sagte er: »Natürlich muß Deutschland zahlen.«

Ein anderer, der sich ebenso geirrt hat, ist Tony Blair. Ebenfalls in Spiegel online gibt er »Fehler im Kampf gegen den weltweiten Terrorismus« zu. Er habe »damals die Dimensionen der Aufgabe unterschätzt, als der Westen mit den USA und Großbritannien an der Spitze die Kriege im Iran und in Afghanistan ... begann«.

Wenn sich ein gemeiner Autofahrer an einer Straßenkreuzung über die Vorfahrt irrt und einen Schaden verursacht, kriegt er es mit Polizei und Staatsanwalt zu tun. Wenn ein Staatsmann durch einen viel schlimmeren Irrtum den Tod Tausender Menschen verursacht oder ganze Völker in Unruhe versetzt, wird das von seinesgleichen wie ein Qualitätsnachweis behandelt. Denn Blair wurde zum Sondergesandten des Nahostquartetts erhoben, und Steinbrück darf sich Hoffnungen auf die Kanzlerschaft machen. Beide erhalten weitreichende Möglichkeiten für weitere Irrtümer. Blair arbeitet schon am nächsten. Nach seinen Worten muß der Westen gegenüber dem Iran »auch zu militärischen Aktionen bereit sein«.

Man muß ja nicht gleich an den Internationalen Strafgerichtshof denken. Aber wenn Staatenlenkern für miserable Leistungen wenigstens die Streichung der Pension drohen würde, sähe die Welt besser aus.

Günter Krone


Angekommen
In Mecklenburg-Vorpommern hat sich die SPD gegen eine Beteiligung der Linkspartei an der Regierung des Landes entschieden; die CDU war ihr lieber. In Berlin stehen die Sozialdemokraten nicht mehr vor dieser Entscheidung; die Linkspartei ist dort als regierungsbeteiligte Partei immer schwächer geworden, als möglicher Koalitionspartner entfällt sie damit. Insofern ist die Partei Die Linke nun wirklich im Politiksystem der Bundesrepublik angekommen. Dessen Regeln fürs Regieren oder Mitregieren von Parteien heißen: SPD, Grüne, CDU/CSU und (noch) FDP bilden ein in sich flexibles Kartell. Konkurrenz untereinander gehört zur Geschäftsgrundlage, sonst würde auch das Marketing nicht funktionieren. Prinzipiell kann jedes Einzelunternehmen im Kartell mit jedem anderen die zeitweilige Führung übernehmen. Die Zugehörigkeit zum Kartell setzt voraus, daß ein Einzelunternehmen nicht versucht, ein »marktfeindliches« Politikprodukt zu verbreiten. Eine Partei, die mit diesem Gedanken spielt, aber doch im Kartell mittun will, kann begrenzte Probezulassungen bekommen; sie kann sich dann als loyal bewähren und zugleich ihre spezifische Kundschaft verlieren; so etwas bereinigt die Branche.
Arno Klönne

Wer oder was zusammengehört
Nach einem Ärztepfusch begibt sich der Schriftsteller Ludwig Mahler in eine Kurklinik. Er genießt den Aufenthalt, gerät aber zunehmend in eine Lebenskrise. Die leidenschaftliche Beziehung zu einer attraktiven jüngeren Frau erfüllt ihn mit Liebesglück, aber er hält auch an seiner Frau Brigitte fest. Was überwiegt? Was zählt mehr? Das neue Unbekannte oder das alte Gewohnte? Hier würde die Trivialliteratur enden. Doch jetzt kommt Wolfgang Bittner, einer der besten Romanciers, die wir in Deutschland haben.

Die beiden Frischverliebten unternehmen eine Reise nach New York, da Françoise Dubois, die Geliebte (Anwältin für internationales Recht, Mitte Vierzig) dort einen beruflichen Termin hat. Sie ist attraktiv, gebildet, weltgewandt, stellt aber kaum Fragen nach dem politischen Hintergrund unseres Lebens. Ludwig Mahler hingegen wollte eigentlich nie nach New York, die Stadt macht ihm eher Angst. Die USA sind ihm als westliche Supermacht suspekt.

Meisterlich schildert Bittner diesen Konflikt. Hier die unbelastete Dubois, dort der lebenserfahrene, von Zweifeln beherrschte Mahler. Am Beispiel des als Indianerschriftsteller bekannt gewordenen James Fenimore Cooper (»Lederstrumpf«) und dessen Amerikakritik schildert er einen der Streitpunkte zwischen den Liebenden. »Cooper beschreibt, wie die sogenannten Pioniere die Natur verwüsteten, wie sie mit Kanonen auf die Taubenschwärme feuerten, Seen trockenlegten, um sämtliche Fische auf einmal zu fangen, und wie sie auf alles schossen, was sich in der Prärie und im Wald bewegte. Die puritanischen Yankees nannte er Heuschrecken des Westens, und später schrieb er, daß sie ihre Schiffe in alle Welt schicken, um für ihre Ziele Krieg zu führen.« Mit solch einer Haltung kann sich Dubois nicht anfreunden. Inhaltlich geht es dabei um die »Wahlverwandtschaft zwischen Kapitalismus und Puritanismus, diese ökonomische Prädestinationslehre«, die Mahler auch heute noch als die maßgebliche Haltung in den USA sieht. Er versucht dies auch am Leben und Schreiben von Herman Melvilles (»Moby Dick«) zu erklären. Françoise Dubois hält das für »plumpen, primitiven Antiamerikanismus«. Sie ist der Auffassung: »Wir können doch froh sein, wenn die Amerikaner für uns die Ordnungsmacht spielen.«

Solche Passagen, in denen gesellschaftliche Themen in die Handlung hineinspielen (von der Korruption in der Kommunalpolitik bis zu Moral und Christentum) machen den Roman so spannend und lesenswert.
Immer dringender stellt sich die Frage, ob zwei Menschen unterschiedlichen, ja gegensätzlichen Welt- und Politikverständnisses auf die Dauer ihre Liebe erhalten und leben können.

In einer Sprache, die es dem Leser nie unnötig schwer macht, sondern immer verständlich bleibt, vermittelt sich in diesem Buch die Humanität eines Autors, der nicht nur »die da oben« sieht, sondern aus eigenem Erleben und eigener Überzeugung vor allem auch »die da unten« ernst nimmt.
Ulrich Klinger
Wolfgang Bittner: »Schattenriß oder Die Kur in Bad Schönenborn«, VAT Verlag, 240 Seiten, 18,90 €


Der Tod kommt aus der Luft
In Afghanistan und Pakistan, von US-Präsident Barack Obama schon zu Beginn seiner Amtszeit zu einem zusammenhängenden Krisen- und Kriegsgebiet (»AfPak«) erklärt, setzt der Westen zunehmend ferngesteuerte unbemannte Flugkörper ein, sogenannte Drohnen. Während sie in Afghanistan meist zur Überwachung dienen und Daten für Angriffe mit bemannten Flugzeugen oder mit Bodentruppen liefern, sind im Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan überwiegend bewaffnete Kampfdrohnen vom Typ »Predator« (»Räuber«) oder »Reaper« (»Sensenmann«) unterwegs. Aufklärung und Exekution sind direkt miteinander verknüpft.

Trotz der entlarvenden Namen versuchen westliche Kriegsherren den Eindruck zu erwecken, hier werde ein sauberer, chirurgische Kriegsführung. Mit Drohnen läßt sich die Zahl der Opfer auf der eigenen Seite gering halten, aber diejenigen, die ins Visier der High-Tech-Waffensysteme geraten, zahlen einen hohen Preis. Im August dieses Jahres trug das »Bureau of Investigative Journalism« aus öffentlich zugänglichen Quellen die Zahl der Opfer in Pakistan zusammen. Seine vorsichtigen Schätzungen sind erschreckend. Etwa 2.800 Menschen sind in den letzten Jahren in Pakistan (aus Afghanistan liegen keinerlei belastbare Angaben vor) durch Drohnenangriffe gestorben, Tausende Menschen wurden verletzt. Die Zahlen haben sich seit Obamas Amtsantritt vervielfacht. Mindestens bei jedem dritten Drohnenangriff sind Kinder ums Leben gekommen. Niemand kann sagen, wie viele der erwachsenen Opfer Zivilisten waren.

Wer gerät ins Visier der Drohnen? Afghanische, pakistanische und internationale Geheimdienste und Spezialeinheiten tragen Daten über ihre militärischen Gegner und deren Organisation zusammen, daraus entstehen Todeslisten. Auch der Bundesnachrichtendienst und deutsche Spezialkräfte haben in der Vergangenheit zu diesen Datensammlungen beigetragen und tun es wahrscheinlich heute noch. Häufig genügt ein Verdacht, damit jemand »zum Abschuß freigegeben« wird. Niemand wird darüber informiert, daß er auf den Listen aufgeführt ist; es gibt keine Einspruchsmöglichkeit. In den Regionen, die häufiger von Drohnenangriffen heimgesucht werden, weiß man, daß das dumpfe Dröhnen in der Luft den Tod bringen kann. Zahlreiche Kinder und Erwachsene leiden mittlerweile unter Schlaflosigkeit und anderen Symptomen von Dauerstreß.
Claudia Haydt


Der »Generalsprozeß«. Nachtrag
Wolfgang Beutin hat in Ossietzky 14/11 anläßlich des 90. Geburtstags von Lorenz Knorr über den bald 50 Jahre zurückliegenden »Generalsprozeß« berichtet, in dem mein Heidelberger Anwaltskollege Walther Ammann und ich den Angeklagten Knorr verteidigten. In diesem von weltweiter Öffentlichkeit begleiteten Strafprozeß war die Frage zu beantworten, ob man Nazi-Militärs als Massenmörder bezeichnen darf. Vier Generäle der Bundeswehr und ein Admiral, die im Zweiten Weltkrieg Kriegsverbrechen verübt hatten und für tausende Tote verantwortlich waren, hatten sich durch die Bezeichnung als »Hitler-Generäle« und »Massenmörder« beleidigt gefühlt und zusammen mit ihrem damaligen Verteidigungsminister, dem einstigen NS-Führungsoffizier Franz Josef Strauß, gegen Lorenz Knorr Strafanzeige erstattet.

Die Anklage wurde von einem Staatsanwalt erhoben, der ebenfalls selbst an faschistischen Verbrechen beteiligt war. Wir konnten zwei der von ihm als Ankläger beim Sondergericht Prag gegen tschechische Staatsangehörige erwirkten Todesurteile dokumentieren. Das Verbrechen der damaligen Angeklagten: Sie hatten ihrer Gegnerschaft gegen Hitlers Krieg Ausdruck gegeben. Der Staatsanwalt hatte sich also schon unter Hitler als Ankläger von Friedenskämpfern bewährt und war deshalb im Justizpersonal des Adenauer-Staates, in dem bewährte Nazis eine maßgebende Rolle spielten, gut aufgehoben. Dasselbe galt für den Vorsitzenden des Schöffengerichts, das in erster Instanz über die Anklage zu entscheiden hatte. Er war unter Hitler als Ankläger beim Sondergericht Wuppertal tätig gewesen. Und er wußte, welches Urteil die tonangebende Presse von seinem Gericht erwartete. Da hatte man lesen können, daß die von Lorenz Knorr in monatelanger Archivarbeit zusammengetragenen Dokumente, aus denen sich die Verbrechen der von ihm als Massenmörder beschuldigten Hitler-Generäle ergaben, Fälschungen im Dienste des Weltkommunismus seien.

Dieser antikommunistische Nazigeist herrschte denn auch in den Verhandlungen der Gerichte, die Lorenz Knorr wegen Beleidigung der schon im Hitler-Staat bewährten Militärs in erster und zweiter Instanz verurteilten, ohne die von ihm vorgelegten Beweismittel überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Alle Beweisanträge der Verteidigung wurden mit der Begründung abgelehnt, daß der Ausdruck Massenmörder eine formale Beleidigung sei, die bestraft werden müsse, ohne daß es auf die zugrundeliegenden Tatsachen ankomme. Ein klarer Verstoß gegen Rechtsgrundsätze, die seit jeher in ständiger Rechtsprechung unbestritten waren. Was schließlich auch das Oberlandesgericht Düsseldorf anerkennen mußte, das der von uns eingelegten Revision stattgab und mit Urteil vom 3. Dezember 1964 die vorangegangene Entscheidung aufhob. Die Sache wurde zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Wuppertal zurückverwiesen und das Gericht belehrt, daß es die von Lorenz Knorr und seinen Verteidigern beantragten Beweise erheben müsse.

Dem guten Beitrag von Wolfgang Beutin ist noch hinzuzufügen, wie der Prozeß ausging. Zu der Beweiserhebung ist es nie gekommen. Die Kameraderie der Wuppertaler Richter war stärker als die Bereitschaft, das Recht einzuhalten. Man ließ die Akten jahrelang liegen, bis man sie im Hinblick auf die seit der sogenannten »Tat« vergangene Zeit von elf Jahren ohne erneute Hauptverhandlung und ohne Beweisaufnahme einstellte. Nicht nur ein Affront gegen die Richter des Oberlandesgerichts, die eine Beweisaufnahme über die Verbrechen der Generäle für zwingend erklärt hatten, sondern eine Mißachtung der demokratischen Öffentlichkeit, die einen Anspruch auf Aufklärung über die Verbrechen von Militärs hatte, die nunmehr den Geist der Bundeswehr und junger Wehrpflichtiger prägen durften.

Lorenz Knorr gab man noch einen zynischen Nachschlag mit, indem man ihn auf den hohen Kosten seiner Verteidigung, einschließlich der Kosten seiner umfangreichen Recherchen, sitzen ließ. Begründung: Seine Schuld sei in hohem Maße wahrscheinlich. Und das, ohne die von ihm vorgelegten Beweismittel je zur Kenntnis genommen zu haben. Von der Schuld der Generäle, die an den Kriegsverbrechen des Hitler-Krieges an maßgeblicher Stelle mitgewirkt hatten, war nicht die Rede, ihre Ehre blieb unbesehen schutzwürdig.

Was die aus dem Nazi-Staat unbesehen übernommenen Richter über die Verbrechen ihrer militärischen Gesinnungsgenossen nicht wissen wollten und die Öffentlichkeit des Adenauer-Staates nicht erfahren sollte, kann man jetzt in Lorenz Knorrs Buch »Generäle vor Gericht« nachlesen. Es ist nur ein kleiner Ausschnitt aus der lebenslangen unermüdlichen Forschungsarbeit unseres kämpferischen Freundes Lorenz Knorr. Wenn ich Doktortitel zu vergeben hätte, wäre er der erste, der einen bekäme.
Heinrich Hannover