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Titel2017

Das folgenreiche katalanische Referendum  (Karl-H. Walloch)

Noch bevor die Katalanen am 11. September in Barcelona ihren Nationalfeiertag begingen, demonstrierte die spanische Zentralregierung von Ministerpräsident Mariano Rajoy (Partido Popular – PP) ihre Macht in Katalonien. In der Kleinstadt Valls durchsuchte die Guardia Civil am 9. September eine Druckerei fünf Stunden lang nach Druckunterlagen für das Referendum, bei dem am 1. Oktober über die Trennung Kataloniens von Spanien abgestimmt werden sollte. Die Polizei fand nichts, trotzdem beschlagnahmte sie Firmenunterlagen und Computer. Die Guardia Civil behinderte mit der Aktion den Druck der Zeitung El Vallenc, die mit einem Tag Verspätung erschien.

 

Am katalanischen Nationalfeiertag »Diada Nacional de Catalunya« standen in Barcelona Demonstranten auf zwei sich kreuzenden Boulevards, so dass ihr Aufmarsch einem großen Pluszeichen glich. Es sollte den Mehrwert der Eigenständigkeit symbolisierten und zugleich für das »Si«-Ja-Kreuz auf dem Stimmzettel werben. Vorbereitet wurde die Aktion ebenso wie das Referendum von der Bürgerinitiative Assemblea Nacional Catalana (»Katalanische Nationalversammlung«) und dem Verein Òmnium Cultural, der sich für katalanische Kultur einsetzt. Um 17.14 Uhr begann die »Diada« mit einer Schweigeminute, mit der an den 11. September 1714 erinnert wurde: Das belagerte Barcelona ergab sich den Truppen des Bourbonenkönigs Phillip V. In den folgenden Jahren wurden alle katalanischen Institutionen aufgelöst. Zum Gedenken an dieses Ereignis begehen die Katalanen den Tag als ihren Nationalfeiertag. Die katalanische Polizei Mossos d’Esquadra sprach in diesem Jahr von einer Million Teilnehmer. Die Zentralregierung in Madrid kam auf 350.000, Zeitungen wie El País und El Mundo übernahmen diese Angabe.

 

Nach den ersten Verbotsurteilen aus Madrid gegen das Referendum lehnten katalanische Bürgermeister der Partido Socialista de Catalunya (PSC) es ab, Räume für die Abstimmung zur Verfügung zu stellen. An Ausweichplätzen bestand jedoch kein Mangel. Madrids Bürgermeisterin Manuela Carmena nahm auf Druck der PP ihre Zusage zurück, einer Gruppe, die sich für die Unabhängigkeit Kataloniens einsetzt, kostenfrei einen Raum der Stadt zur Verfügung zu stellen. Die katalanische Polizei erhielt aus Madrid die Anweisung, die Vorbereitungen für das Unabhängigkeitsreferendum am 1. Oktober zu unterbinden. Von der Staatsanwaltschaft Kataloniens wurden die Chefs der Polizeieinheiten beauftragt, Wahlurnen, Wahlunterlagen, Flugblätter und Wahlwerbung zu beschlagnahmen. Hintergrund: Das spanische Verfassungsgericht hatte alle Vorbereitungen für das Referendum für unzulässig erklärt. Der spanische Verwaltungsrichter José Yusti Bastarreche lud 800 katalanische Bürgermeister zu Anhörungen nach Madrid vor, wobei die Teilnahme verpflichtend war. Staatsbeamte, die sich an den Vorbereitungen der Abstimmung beteiligten, konnten wegen Ungehorsam, Amtsmissbrauch und Veruntreuung öffentlicher Gelder belangt werden.

 

Die Katalanen hatten gehofft, den 1. Oktober mit einem Volksfest feiern zu können. Dazu kam es nicht. Die spanische Regierung versuchte mit allen Mitteln, das Referendum zu verhindern. Zwar mussten die Katalanen die »Mossos« nicht fürchten, am 1. Oktober aber übernahmen die Polizeikräfte aus Madrid – Guardia Civil und Policia Nacional – in Barcelona die Initiative. Am Abend wurde bekannt übers Internet bekannt, dass über 900 Demonstranten von den Übergriffen der spanischen Polizeikräfte verletzt worden waren. Die stellvertretende spanische Ministerpräsidentin Soraya Sáenz de Santamaría sagte, Guardia Civil und Policia Nacional hätten angemessen und professionell reagiert. Für sie sei das Referendum zu einer »Farce« geworden. Anders der Regionalpräsident Carles Puigdemont. Er sprach von einem mehr als ungerechtfertigten, irrationalen und unverantwortlichen polizeilichen Einsatz von Gewalt.

 

Bereits am 30. September war die Guardia Civil gegen das Zentrum für Telekommunikation (CTTI) der Regionalregierung vorgegangen. Die Polizisten setzten eine richterliche Anordnung durch, mehr als 30 IT-Programme und Applikationen zu stoppen, die zur Organisation des Referendums gehörten. Zuvor hatte eine Richterin bereits den Suchmaschinenbetreiber Google angewiesen, eine App zu entfernen, die Katalanen bei der Suche nach Wahllokalen half. Damit waren mehr als 140 Internetauftritte bis zum Sonntag gesperrt. Wikileaks-Gründer Julian Assange nannte das Vorgehen den ersten Internetkrieg auf der Welt. Die katalanischen Behörden teilten mit, dass dennoch 42,3 Prozent der Wahlberechtigten an der Abstimmung teilnahmen, davon sprachen sich 90 Prozent für eine Unabhängigkeit von Spanien aus.

 

Dann – ein erster Schritt zur Entspannung: Ein Vertreter der spanischen Zentralregierung bat um Entschuldigung für das harte Vorgehen der Polizei während des – verbotenen – Unabhängigkeitsreferendums. Ein Schritt, der wegführen könnte von dem Abgrund, an dem Spanien im katalanischen Konflikt steht. Von den inhaltlichen Positionen abgesehen: Man braucht Zeit, um eine Dynamik zu unterbrechen, die auf einen ultimativen Zusammenstoß hinauszulaufen droht.

 

König Felipe VI. hätte mit seiner Ansprache am 3. Oktober mäßigend einwirken können und müssen, tat es aber nicht. Der Monarch schüttete sogar noch Öl in das lodernde katalonische Feuer: Er warf den katalanischen Behörden ein »unverantwortliches Verhalten« vor. Den harten Einsatz von Guardia Civil und Policia Nacional kritisierte er nicht.

 

Am 8. Oktober gingen Hunderttausende in spanischen Städten für eine friedliche Lösung in Katalonien auf die Straße. Zur Demo unter dem Motto »Es reicht! Kehren wir zur Besonnenheit zurück« hatte die Societat Civil Catalana aufgerufen, die seit langem gegen die Abtrennung Kataloniens kämpft. Nach Angaben des Veranstalters demonstrieren mehr als eine Million Menschen gegen die Abspaltungspläne der Regionalregierung. Die Mossos relativierten die Zahl und sprachen von 350.000 Teilnehmern. Zahlreich die Demonstranten, die die Festnahme des Regionalpräsidenten Carles Puigdemont forderten. Auf der Kundgebung sagte der Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa: »Keine separatistische Verschwörung wird die spanische Demokratie zerstören können.« Der ehemalige EU-Parlamentspräsident, das Mitglied der Partido Socialista Obrero Español (PSOE) Josep Borrell, wies darauf hin, die Situation in Katalonien sei nicht mit der in Litauen, dem Kosovo oder Algerien vergleichbar. Auch die konservative Partido Popular und die liberale Ciudadanos-Partei unterstützten die Demonstrationen. Gegenüber der Tageszeitung El País erklärte Ministerpräsident Rajoy: »Spanien wird nicht geteilt werden, und die nationale Einheit wird erhalten bleiben.« Er sei bereit, den Artikel 155 der Verfassung anzuwenden, der es der Zentralregierung erlaubt, die Regierungsgewalt in Katalonien an sich zu ziehen. Der ehemalige spanische Ministerpräsident Felipe González (PSOE) sagte auf einer Veranstaltung der SPD in Berlin, er hätte die katalanische Führung wegen des illegalen Referendums längst abgesetzt. Weder Rajoy noch González kommentierte, dass Anhänger der faschistischen Falange während der Demonstration in Madrid das Lied »Cara al sol« (Gesicht zur Sonne) brüllen konnten und Guardia Civil und Policia Nacional den Gesang der spanischen Faschisten nicht unterbanden. Ähnliches wiederholte sich einen Tag später in Barcelonas Stadtmitte auf der Plaça de Catalunya.

 

Am 10. Oktober verschob der katalonische Regierungschef Puigdemont die Ausrufung eines unabhängigen Kataloniens mit der Begründung: Er suche den Dialog mit dem spanischen Zentralstaat. Wohl haben sich die Katalanen im Referendum eindeutig für eine Abspaltung ausgesprochen, jedoch werde diese vorerst nicht umgesetzt, um Zeit für Gespräche mit Madrid zu haben. Puigdemont und weitere Abgeordnete unterzeichneten im Parlament ein Dokument, das die Unabhängigkeit und gleichzeitig deren Aussetzung erklärt. Zu Beginn der Parlamentssitzung hatte Carles Puigdemont in seiner halbstündigen Rede erklärt: »Wir erleben einen außerordentlichen Moment von historischer Dimension.« Er forderte Madrid auf, die Katalanen stärker zu respektieren als bisher: »Wir sind keine Verbrecher, wir sind keine Putschisten.«

 

Mariano Rajoy appellierte einen Tag später, Puigdemont möge klarstellen, ob er eine eigenständige Republik ausgerufen habe oder nicht. Der Hintersinn: Sagt Puigdemont, er habe die Unabhängigkeit erklärt, wird Rajoy nach Artikel 155 der spanischen Verfassung Katalonien sofort unter Zwangsverwaltung stellen und Neuwahlen ansetzen. Bis Redaktionsschluss hat Puigdemont dem Ministerpräsidenten diesen Gefallen nicht getan. In einem Brief wich Carles Puidemont Rajoys Ultimatum aus. Er vermied es, mit Klarheit die Frage von Rajoy zu beantworten. Stattdessen bietet er eine Zwei-Monats-Frist an, um eine politische Lösung auszuhandeln. Die Lage bleibt angespannt.