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BGE – Wundermittel oder Droge?  (Ruth Becker / Eveline Linke)

Was für ein Wundermittel: Für die Unternehmer beschleunigt es den technologischen Umbau, für ordoliberale Ökonomen erweitert es das Arbeitsangebot, für Kapitalismuskritische führt es in das Postwachstumszeitalter und zu mehr Zeitsouveränität, die nach den Vorstellungen mancher Feministinnen geradewegs in die Care-Revolution führt. Neoliberale erwarten den Rückbau des Staates und Jobcentergeplagte wollen einfach nur in Ruhe gelassen werden.

 

Das alles soll mit einem einzigen Instrument erreicht werden – und zwar alles auf einmal? Wie soll es gehen? Beginnen wir mit der Frage der Finanzierung. Schließlich geht es um eine Menge Geld, genauer um eine Billion Euro (also tausend Milliarden) pro Jahr, die herauskommen, wenn alle 82 Millionen derzeitige BundesbürgerInnen jeden Monat 1000 Euro Grundeinkommen bekommen, einfach so, ohne jede Bedingung. (BGE – Bedingungsloses Grundeinkommen)

 

Kein Problem, sagen da manche, schließlich betragen die Sozialausgaben 2017 fast so viel (962 Milliarden), das reicht doch. Ja, das reicht, wenn alle Leistungen der Krankenversicherungen (312 Milliarden), alle Renten und Pensionen (400 Milliarden) und all die anderen Sozialleistungen eingestellt werden, Kranke ihre Arzt- und Krankenhausrechnungen (oder ihre Krankenversicherungsbeiträge) aus ihren 1000 Euro Grundeinkommen bezahlen, alle RentnerInnen mit 1000 Euro glücklich werden und daraus im Fall des Falles ihr Pflegeheim finanzieren, Jugendliche ohne Schulabschluss zusammen mit ehrenamtlichen Helfern die passende Beschäftigung finden und so weiter.

 

Nein, sagen andere, dieses neoliberale Modell wollen wir selbstverständlich nicht. Aber viele der heutigen Transferzahlungen können doch wirklich eingespart werden, wenn es ein BGE gibt: Kindergeld, Grundsicherung im Alter, Harz IV, Erziehungsgeld, BAföG, Wohngeld, ALG I. Das spart doch eine Menge, auch die ganzen Kosten dieser unsinnigen Sozialverwaltung! Ja, damit können 173 Milliarden Euro eingespart werden und zumindest die ersten fünf Posten sind auch völlig problemlos (140 Milliarden). Doch was ist mit dem Rest?

 

Dazu gibt es seit mehr als 50 Jahren den Vorschlag der negativen Einkommensteuer. Wer nichts verdient, bekommt das Grundeinkommen vom Finanzamt, wer ein Einkommen hat, gibt von jedem Euro 50 Prozent an das Finanzamt ab, unabhängig von der Höhe des Einkommens. Dazu kommen noch 20 Prozent für die Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung. Dass dadurch der Anreiz, eine bezahlte, steuerpflichtige Beschäftigung aufzunehmen sinkt, wird von den einen bestritten und den anderen, den Kapitalismuskritischen, begrüßt, sehen letztere doch das BGE als Einstieg zum Ausstieg in ein freies, selbstbestimmtes, zeitsouveränes, der Sorge um sich und andere, der Muße, dem Ehrenamt und dem politischen Engagement gewidmetes Leben, was jedoch auf Dauer die Finanzierung des BGE aus der Einkommensteuer der noch Erwerbstätigen immer unwahrscheinlicher macht, zumal zumindest die Kranken- und Pflegeversicherung für die Ausgestiegenen mitfinanziert werden muss. Deshalb sehen eine Reihe von Modellen die Finanzierung durch die Erhöhung beziehungsweise Einführung unterschiedlicher Steuern (Erbschafts-, Vermögens-, Finanztransaktions-, Ressourcen-, Maschinen-, Luxus- und Mehrwertsteuer) vor, ohne dies auch nur ansatzweise zu konkretisieren oder gar zu quantifizieren oder die zu erwartenden Steuervermeidungsreaktionen zu thematisieren. Die Erhöhung der von der rot-grünen Bundesregierung drastisch gesenkten Körperschaftsteuer (mit der die Gewinne von Kapitalgesellschaften, also der großen Unternehmen, besteuert werden) ist übrigens in keinem Modell vorgesehen.

 

Aber was bringt denn nun das BGE, so es denn finanzierbar sein sollte? Führt es zur individuellen Freiheit, wie die Protagonistinnen nicht müde werden zu betonen? Da sind erhebliche Zweifel angebracht. Für eine Alleinstehende zum Beispiel bringt ein BGE von 1000 Euro im Monat 140 Euro weniger als das Einkommen, das ein Gerichtsvollzieher auf keinen Fall antasten darf, bei hohen Mieten liegt die Pfändungsfreigrenze auch darüber. Ist das wirklich eine Basis für ein selbständiges, unabhängiges Leben ohne Erwerbsarbeit auch in einer Großstadt? Oder zwingt es Alleinstehende, für ein Leben jenseits der Armutsgrenze doch einen Job anzunehmen, so er zu finden ist, und dabei das BGE für die mitzufinanzieren, für die das BGE tatsächlich eine gewaltige Verbesserung bringen kann, die Paare und Familien? Nicht umsonst hat die Sozialwissenschaftlerin Gabriele Winker bei ihren Überlegungen zu den Auswirkungen des BGE auf unterschiedliche »Reproduktionstypen« Alleinlebende außen vor gelassen, sonst hätte sie kaum zu der Behauptung kommen können, das BGE sei für keinen Haushaltstyp von Nachteil. Tatsächlich hat eine Alleinstehende bereits bei einem Bruttoeinkommen von 3000 Euro bei einer Einkommensteuerflatrate von 50 Prozent (plus Sozialabgaben) trotz 1000 Euro BGE weniger als heute. Es sind also nicht die Reichen, die das BGE finanzieren, sondern die mittleren EinkommensbezieherInnen. Und der Traum feministischer Befürworterinnen, das BGE mache Frauen wegen des individuellen Anspruchs endlich ökonomisch unabhängig, gilt, wie gezeigt, nur sehr begrenzt.

 

Hier ist leider nicht der Raum, auf all die ungeklärten Fragen des BGE einzugehen. Doch so viel ist sicher: Die von den ProtagonistInnen vielfach vertretene Position, »das wird sich alles finden«, ist mehr als problematisch. Können doch die Wirkungen eines BGE je nach Ausgestaltung diametral unterschiedlich sein, individuell und gesellschaftlich. Wer soll zum Beispiel das BGE erhalten? Da reichen die Konzepte von »alle in Deutschland Lebenden« über alle mit erstem Wohnsitz in Deutschland« bis »alle Staatsbürger«. Während die erstgenannte Version kaum ohne eine rigide Zuwanderungsbeschränkung auskommen wird, soll die Finanzierung des BGE dauerhaft gesichert werden, verstärkt jede Einschränkung des Bezugsrechts die Spaltung der Gesellschaft in die, die frei über ihre Erwerbstätigkeit entscheiden können und die, die jeden Job annehmen müssen, um zu überleben. Das wiederum trübt die Hoffnung auf eine bessere Verhandlungsposition von ArbeitnehmerInnen beim Kampf um höhere Löhne, besonders im Niedriglohnsektor, von dem viele BGEler träumen. Viel eher ist eine Ausweitung des Kombilohns zu erwarten, bei dem BGE-Bezugsberechtigte ihre Grundsicherung durch einen mies bezahlten Job etwas aufzubessern versuchen. Die Unternehmer freut‘s. Sieht so das Reich der Freiheit aus?

 

 

Ruth Becker ist Volkswirtin und war bis zu ihrer Pensionierung Professorin für »Frauenforschung und Wohnungswesen« an der TU Dortmund, Eveline Linke ist Architektin und freie Autorin. Zuletzt erschien im Ulrike Helmer Verlag ihre gemeinsame Publikation »Mehr als schöner Wohnen. Frauenwohnprojekte zwischen Euphorie und Ernüchterung«, 258 Seiten, 19,95 €.