erstellt mit easyCMS
Titel2117

Er ist nicht Trump  (Monika Köhler)

Im Hamburger Schauspielhaus trat er schon einmal auf, Donald Trump – verkörpert durch Josef Ostendorf in der Marthaler-Inszenierung »Die Wehleider« (Ossietzky 25/2016; Wiederaufnahme 30. November). Eine kleine Rolle, aber: nicht zu überbieten. Er war es selbst. Jetzt, ein Jahr später, widmet sich das Stück »Am Königsweg« von Elfriede Jelinek wieder: ihm. Doch er tritt nie auf als Trump. Nur als König, als Herrscher in allen Variationen. Benny Claessens spielt ihn als Kind, rosa Riesenbaby, als dümmlichen Machtmenschen in seinem goldenen Burgtower. Regie führte Falk Richter. Ein großes Gewicht in dieser Inszenierung kommt dem Bühnenbild von Katrin Hoffmann und den Kostümen von Andy Besuch zu. Oft überwuchern sie alles, bunt und schreiend – auch den Text der Autorin. Sie tritt selbst auf als blinde Seherin (Ilse Ritter), die ihre eigene Rolle hinterfragt. Nichtsehend sind alle in diesem Stück, geblendet, tragen Augenbinden. Blut tropft übers Gesicht. Sonnenbrillen verdecken, mildern Schärfe. Sie haben ihn gewählt – nicht wissend, was sie tun? Blind ins Verderben rennen. Oder die blinde Wut der jungen weißen Männer. Die dreieinhalbstündige Inszenierung lässt nichts aus, aber oft nur angetippt, abgehakt. Viel Klamauk, Figuren aus der Muppet Show, ihr Auftreten wirkt unmotiviert. Soll es auflockern? Meine Sitznachbarin gestand, sie habe manchmal die Augen geschlossen, da wirke das Stück viel intensiver. Kronen setzen sich alle einmal aufs Haupt. Oder spitze Ku-Klux-Klan-Mützen: die Rotte junger weißer Männer. Ein Exemplar springt auf, brüllt, er sei die »Arbeiterklasse«, er sehe, wie die Eliten das Land beherrschen. Er wappnet sich mit Motorradausrüstung, versteckt sich hinter der spitzen Mütze. Der Kind-König-Herrscher sucht diese Arbeiterklasse, sagt er, und auch die Demokratie, wie ein verlorenes Spielzeug.

 

Dass er auch Ödipus ist, blind – man vergisst es. Im Königsmantel verkleidet: Viele ziehen ihn sich über, proben diese Rolle. Aber nur er hat den »Königsausweis« – und die Wahrheit und die Golfplätze. Und er spielt mit der bunten Weltkugel wie Hitler im Chaplin-Film. Dazu erklingt – richtig – »La Follia«. Doch: »Mit dem Klima schwankt die Wahrheit.« Im Hintergrund an der Wand flimmern Video-Bilder, die Gewaltszenen zeigen – reale und künstlerische, die sich im Kopf festgesetzt haben.

 

Da schleicht eine Gestalt die Bühne entlang, der Kopf aus Pappmaché, mit einem großen blutigen Loch darin. Ein Auge hängt heraus. Er schleift einen Schäferhund hinter sich her, spricht: »Krieg ist ein Verbrechen, nein, ein Versprechen.« Er und sein Hund kommen von der Deutschen Bank, gesteht er im gemütlichen Schwäbisch. »Wir helfen den Menschen, Schulden zu machen.«

 

Zwei Mädchen sitzen rechts und links an einem Tisch. Die kleine Blonde (Anne Müller) vibriert vor Empörung oder Verzweiflung, zitternd. Was man alles – als Kind – nicht tun soll. Der König darf alles, er täuscht sich nie. »Ich täusche mich ständig.« Seine dottergelbe Föhnfrisur. Wir erkennen es auch in der Verkleidung. Es? Das Prinzip Herrscher. »Wir wollen doch, dass das gute Alte jetzt das Neue ist.« Der Schluss ihrer Rede: »Heil«. Ein Satz von der rechten Seite: »Die Frage ist: Werden wir ihm noch verzeihen können, wenn er uns in die Luft gesprengt hat?« Beide Mädchen schreien unartikuliert.

 

Was vorher geschah: im Hintergrund auf der Wand Überschwemmungen, eine Flut, die alles mitreißt, Häuser, Autos, Bäume, Menschen. Aber auch Feuer über der Stadt, Ruinen. Menschengemacht? Vorn, ganz nah am Publikum, klagt Ayşe – vielleicht Deutsch-Türkin – im Glitzer-Trainingsanzug (Idil Baydar) über ihre Mitmenschen, klagt sie an. »Ich bin Diktatur, du bist Demokratie.« Und: »Wir sind kriminell, sagen sie, wir schänden eure Frauen.« Wo haben Deutsche das auch gemacht? In Namibia. Die Kultur christianisiert. Im Anschluss beginnt eine Szene mit Kreuzen, immer mehr kommen herein. Ein Weihrauchgefäß wird geschwenkt. Gesang, Predigten. Einer hängt sich selbst ans Kreuz, christliche Marter. Dann hämmern alle mit den christlichen Symbolen auf Tische – ein heiliger Kruzifix-Lärm. Komisch. Ein Satz schwingt durch den Raum: »Ja, das Alte – jetzt ist es wieder da im Gewand des Neuen.« Und die Herren mit den Sternen auf den Schultern. »Generäle sind wichtig, die müssen nicht haften und haften nie persönlich«, piepst eine Kinderstimme. Väter, die das Schlachten gelernt haben. Und Abraham, der seinen Sohn opfern wollte. Ein Opfer – Kriegsopfer. Der König stampft über die Erde mit weitausholenden Schritten. Das Land einigen. Sein Land, das seine Riesenbeine unter sich zermalmen wie in Alfred Kubins Blatt »Der Krieg« von 1914.

 

Was bleibt vom Königsweg? Ein zwiespältiges Gefühl – was denn auch sonst.

 

*

Auf Kampnagel unternahm der marokkanisch-belgische Choreograf Sidi Larbi Cherkaoui mit seiner Gruppe Eastman den Versuch, die Einflüsse politischer Propaganda auf den Einzelnen im Tanz auszudrücken. In »Fractus V«, von Schriften des amerikanischen Philosophen Noam Chomsky angeregt, bewiesen vier Tänzer und Cherkaoui selbst, dass es möglich ist. Unterstützt durch Musiker aus Korea, Indien, Japan und dem Kongo, die nicht nur begleiten, die auf mitreißende Weise ein Beispiel geben, wie die Musikstile miteinander korrespondieren und sich zu etwas ganz Neuem vereinen können. (Warum gibt es keine CD?)

 

Gewalt, nicht nur Erschießungsszenen – die Trommel verteilt Schläge. Ein einzelner Tänzer wird getreten, umgeworfen, auch die Musik stöhnt, schreit auf. Einer isst etwas Gedrucktes, den Spiegel, verleibt ihn sich ein, er klebt am Mund – Blut? Fünf Tänzer bilden ein Tier, Rieseninsekt, Kopffüßler? Etwas wird aufgebaut, große Dominosteine – oder sind es Barrieren gegen Anschläge? Im Hintergrund Polizeisirenen. Zwei Männer fotografieren einen Toten – mit Blitzlicht, ziehen ihm sogar die Jacke aus.

 

Im Hintergrund, eine Schrift. Wir seien süchtig nach Gedanken. Aber wie kann man aufhören zu denken? Können es Kinder? Die Musik, der Tanz, ausgelassen, laut und wild. Kayagŭm, das – traditionelle – koreanische Saiteninstrument, reißt mich mit wie harte Pop-Musik. Der Einfluss, die Beeinflussung durch Töne? Es entsteht wunderbarer Tanz.