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Loblied auf einen Sammler  (Maria Michel)

Er ist ein besessener Sammler, der ehemalige Chemieingenieur Gerd Gruber. Schon als er fünfzehn Jahre alt war, erwarb er seine ersten Blätter, Graphiken von Lea Grundig, die ihn ermutigte, immer weiter zu sammeln. Nun ist er Rentner und bewahrt ein beeindruckendes, umfangreiches Konvolut von Arbeiten aus aller Welt. Einen Teil seiner Schätze präsentiert er jetzt in Wittenberg unter dem Thema »Kunst nach 1945«. Die Ausstellung befindet sich an drei Standorten, die zu Fuß leicht erreichbar sind: Im Alten Rathaus erwarten den Besucher Werke zum Thema »Internationale Positionen«. Im historischen Cranach-Hof entdeckt man Arbeiten und Dokumente zum »Neuen Bauhaus«. Den Schluss bildet die Werkschau »Pazifismus trifft Religion« im Wittenberger Schloss, die er gemeinsam mit der Stiftung »Christliche Kunst in Wittenberg« vorbereitete. Große, helle Räume und eine gut durchdachte Hängung machen den Besuch zu einem umwerfenden Erlebnis.

 

In seinem Grußwort im Katalog betonte der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff, dass die private Sammlung Gruber in das »Gesamtverzeichnis national wertvollen Kulturgutes« aufgenommen wurde. Dieser Sammler ist eine Institution geworden. Bisher 120 Ausstellungen im In- und Ausland verdienen Respekt und Dank.

 

 

Internationale Positionen

In diesem Ausstellungsteil sind Arbeiten von Künstlern aus 25 Ländern zu sehen. Nach 1945 befand sich die Kunst weltweit im Aufbruch. Neue Ausdrucksformen wurden notwendig, um die Schrecken des Krieges anschaulich zu machen. Zahlreiche Künstler verdeutlichten in den verschiedensten Techniken ihren Abscheu gegen den Krieg und seine Schrecken. Im Sinne einer globalen Kunst, die sich dem Kampf um den Frieden verschrieb, wurden Vernetzung und Austausch zwischen den Künstlern notwendig. Staunend bewundert man Werke aus Europa, den USA, aus Südamerika, Asien oder Afrika. Da sind graphische Arbeiten von Georgio de Chirico, Max Ernst, Johnny Friedländer, Alberto Giacometti, Renato Guttuso, Henry Moore und vielen anderen zu sehen. Die persönlichen Kontakte Gerd Grubers zu solchen Künstlern oder deren Nachkommen haben es möglich gemacht, dass wir heute noch ihr humanistisches Anliegen nacherleben und ihre Aktualität erkennen können.

 

Mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges kam der Transfer zwischen europäischen Künstlern, zwischen verschiedenen Kunsttheorien und Kunstströmungen zum Erliegen. Viele Kunstschaffende waren von Berufsverboten betroffen, wurden verhaftet, lebten im Exil oder waren in den besetzten Ländern durch deutsche Besatzung isoliert. Jackson Pollock erklärte in einem Interview: »Meiner Meinung nach erfordern neue Bedürfnisse neue Techniken … Mir scheint, dass der moderne Maler dieses Zeitalter, die Flugzeuge, die Atombombe, das Radio, nicht in den alten Formen der Renaissance oder irgendeiner anderen vergangenen Kultur ausdrücken kann. Jedes Zeitalter verlangt seine eigene Technik.«

 

In Deutschland fanden sich die Künstler nach dem Krieg in einem geteilten Land, manche wurden zwischen den Blöcken in der Zeit des Kalten Krieges zerrieben. Im Osten Deutschlands brachte die Formalismusdiskussion Entlassungen aus dem Hochschuldienst und Anfeindungen mit sich. Im Westen dominierte die abstrakte Kunst. Ein Schiedsspruch zwischen Realismus und Abstraktion erschien wie eine Entscheidung zwischen den Ideologien. Viele Künstler waren während der Kriegs- und Nachkriegszeit in Vergessenheit geraten. Ein Selbstbildnis von Lea Grundig mit ihrem Mann Hans ist wohl vielen bekannt. Lea Grundig beriet Gerd Gruber in seinem Bemühen, solche vergessenen Künstler wiederzufinden, zum Beispiel Alfred Ahner, Rudolf Bergander, Max Lachner, Clement Moreau, Erich Wegener und viele mehr. Joan Miros stark farbige abstrakte Arbeit »Un cami compartit« wie auch Wolfgang Petrowskys »Ewige Traumblume«, eine farbige Collage, zeigen, dass auch in der Gegenwart die Kunst neue Ausdrucksformen braucht. Radierungen von Renato Guttuso, zum Beispiel »Der Partisan«, von Heidrun Hegewald zu J. R. Bechers »Das Gerücht«, Arbeiten von Pablo Picasso, Max Ernst, David Alfaro Siqueiros und vielen anderen machen diesen Ausstellungsteil zu einem Kompendium der Moderne des 20. Jahrhunderts. Das ist auch in den anderen beiden Abteilungen nicht anders.

 

 

Neues Bauhaus

Nur vierzehn Jahre waren dem von Walter Gropius gegründeten Bauhaus beschieden. 1933 wurde es mit der Machtergreifung der Faschisten geschlossen. Die Ideen aber wurden durch die »Bauhausbücher« weltweit verbreitet, auch durch die Lehrer und Studenten des Bauhauses, die emigrieren konnten. Wassilij Kandinsky, einer der bekanntesten Bauhaus-Lehrer, Verfechter der geometrischen Strukturen, zeigte in seinen Büchern, wie Linie und Punkt zur Fläche stehen. Junge Künstler griffen die Ideen begeistert auf und entwickelten sie trotz aller Verbote weiter. Nach 1945 ließen Gerhard Marcks und Gerhard Muche im westlichen Teil Deutschlands die Bauhaus-Ideen wieder aufleben, während sich der Osten, gebremst durch die Formalismus-Diskussion, damit schwerer tat. Der industrielle Wohnungsbau förderte jedoch die Wiederbeschäftigung mit der Moderne, vor allem im Möbelbau – wie in Hellerau – und im Design. Viele Arbeiten von Bauhaus-Schülern sind zu sehen. T. Lutz Feiningers Siebdruck »o. T. « besticht durch die Ordnung waagerechter und senkrechter stark farbiger Linien. Auch Max Olderocks Aquarell »Der Alte und die Dohle« beeindruckt ebenso wie Zeichnungen von Tilo Maatsch oder Theo Balden. Dieses Erbe lebt weiter.

 

 

Pazifismus trifft Religion

Durch die Erlebnisse des Zweiten Weltkriegs und die Bedrohung mit nuklearen Waffen brachte die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts eine zutiefst pazifistische Kunst hervor. Der Kalte Krieg zwischen den NATO-Staaten und dem Ostblock, die Kriege in Korea und Vietnam verlangten eine Kunst mit bildgewaltigen Mahnungen. Einige Künstler nutzen dabei – ohne selbst religiös zu sein – die Botschaften der Bibel, zum Beispiel Fritz Cremer mit seiner Serie des Gekreuzigten. Gemeinsam mit der »Stiftung Christliche Kunst in Wittenberg« gelang Gerd Gruber ein überzeugender Ausstellungsteil. Die Präsentation der Werke aus beiden Sammlungen zeigt eine Übereinstimmung in sozialen und politischen Aussagen; sie ergänzen einander. Zu sehen sind Arbeiten von Pablo Picasso, Marc Chagall, Oskar Kokoschka, Max Pechstein, Otto Dix, Wolfgang Mattheuer und anderen. Berührend blickt Otto Pankoks kleines Mädchen »Ehra« den Besucher erschrocken und fragend an. Bekannt ist auch seine Graphik »Christus zerbricht das Gewehr«, heute genauso aktuell wie zur Zeit seiner Entstehung.

 

 

Menschlichkeit darf nicht im Hass ertrinken

Die dreiteilige Ausstellung ist nicht nur für die Stadt Wittenberg ein Höhepunkt. Es sind ihr viele Besucher zu wünschen. Der Beliebigkeit im Schaffen vieler Künstler der Gegenwart wird hier etwas entgegengestellt: eine Kunst, die einen Adressaten hat und wirken will. In seiner Eröffnungsrede hatte Gerd Gruber gesagt: »Noch heute erscheint es mir wie ein Wunder, wenn ich daran denke, dass weltberühmte Künstler wie Renato Guttuso, Marino Marini, Giacomo Manzú, die Bauhäusler Gerhard Marcks und Georg Muche, Frans Masereel, Jean Hélion, Emilio Vedova, Victor Vasarely und viele andere mir, damals einem jungen Menschen, die Hand reichten und mich in meiner Sammlertätigkeit unterstützten. … Es beängstigt mich, dass heute Nationalismus, Rassismus, Ausgrenzung und Vorverurteilung von Menschen wegen ihrer Herkunft oder Religion international immer lautstärker werden, dass Nazi-Sympathisanten wieder marschieren … Ich meine, Menschlichkeit darf nicht im Hass ertrinken.«

 

»Kunst nach 1945. Die Sammlung Gerd Gruber«, noch geöffnet bis zum 6. Januar 2020. Wittenberg, Altes Rathaus, Markt 26; Cranach-Hof, Markt 4; Schloss Wittenberg. Geöffnet Mo-So 10-17 Uhr