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Ausgesuchtes für kluge Köpfe  (Winfried Wolk)

Die Frankfurter Allgemeine offerierte in ihrer Ausgabe vom 6. September ihren betuchten Lesern »Ausgesuchtes für kluge Köpfe«. Es sind die »Friedensgebote 9« von Günther Uecker, mit denen sich »der international renommierte deutsche Objektkünstler mit dem Thema der Weltreligionen« auseinandersetzt und die friedliche Botschaft herausarbeitet. So lese ich, und staunend sehe ich die große Abbildung des Werkes. Ich erkenne fünf Zeilen unentzifferbarer Krakelungen, vervollständigt von Nägeln, zumeist paarweise in die wirren Lineaturen integriert, die »sowohl optisch als auch plastisch dezidiert vor dem weißen Hintergrund« hervortreten. Angeboten wird eine streng limitierte Auflage von 100 Exemplaren, das Blatt aktuell ab 6950 Euro inklusive Versandkosten (https://shop.faz.net/Selection/Kunst/Guenther-Uecker-Friedensgebote-Blatt-9.html). Ein Schnäppchen also.

 

Offensichtlich gehöre ich nicht zu den klugen Köpfen, für die Uecker dieses Werk geschaffen hat. Ich gestehe, ich vermag beim besten Willen weder Friedensgebote, die verkündete Auseinandersetzung mit dem Thema Weltreligionen noch eine herausgearbeitete friedliche Botschaft zu erkennen, und frage mich äußerst verunsichert, wie klug denn ein Kopf sein müsste, um diese Botschaften aus einem solchen Blatt herauszufiltern. Außerdem sollte sich der kluge Kopf wohl auch über den stolzen Preis keine weiteren Gedanken machen müssen. »O meine Zeit! So namenlos zerrissen«, schrieb Wilhelm Klemm in einem Gedicht von 1912. Da verstehe ich die Botschaft sofort, obwohl vor über einem Jahrhundert formuliert. »Völker zerfließen. Bücher werden Hexen. Die Seele schrumpft zu winzigen Komplexen. Tot ist die Kunst. Die Stunden kreisen schneller.« Ich bin verblüfft! Ist das nicht heutig? Ist das nicht genau das, was wir gerade um uns herum erleben? Scheinbar wiederholt sich Geschichte doch irgendwie.

 

Die Kunst ist tot, Seele und Verstand offensichtlich auf Stecknadelkopfgröße geschrumpft. Der nagelnde Großkünstler weiß jedoch die Gunst der Stunde, seinen hochgepuschten Stellenwert und den Verfall an Kenntnissen und Wissen, was Qualitätsstandards und dergleichen angeht, zu nutzen und macht daraus eine kleine Goldgrube. So ist es auch nicht verwunderlich, dass einige regionale Kulturoberen, die in der flachen Zeitströmung heftig mitschwimmen, der Mecklenburgischen Landesbibliothek seinen Namen verliehen haben. Wahrscheinlich gibt es kein einziges erwähnenswertes Mitglied der schreibenden Zunft der letzten Jahre und Jahrzehnte in der näheren oder weiteren Umgebung, dessen Name für dieses Institut ehrenvoll genug gewesen wäre. Herr Uecker hat zwar nix geschrieben, was unter der Kategorie »Literatur« zu veranschlagen wäre. Jedenfalls kenne ich nichts dergleichen. Allerdings macht mir das Blatt, das in der FAZ abgebildet wurde, den Eindruck, als hätte ein Schreibunkundiger sich mal im Schreiben versucht. Und meines Wissens hat er auch einmal einen Nagel durch ein Buch gehämmert. Das sind dann schon mal Leistungen, die eine Namensgebung für eine Landesbibliothek rechtfertigen. Auch das Schweriner Staatliche Museum hat extra für die Präsentation einiger Uecker-Hervorbringungen einen Anbau für etliche Millionen Euro hinstellen lassen. Da hängen neben wenigen Nagelobjekten mehrere riesige, ziemlich unsaubere Leinentücher an der Wand. Ich glaubte anfangs, es wären verunglückte Fenstervorhänge, denen irgendetwas Unappetitliches passiert sein musste, und fragte mich, warum hier der Museumsreinigungsdienst so nachlässig ist. Aber es ist eben Kunst, weil die zugeordneten Ausstellungsobjekte-Schilder das so erklären.

 

Die Kunst ist tot! Künstlerische Reflexionen der erlebten gesellschaftlichen Wirklichkeit, der Verwerfungen in einer Gesellschaft, die nicht nur für kluge Köpfe, sondern für den normalen Zeitgenossen verständlich sind, spielen eben keine Rolle in einer Zeit, wo »Fun« oder irgendwelches, oft geistloses Spektakel den allergrößten Stellenwert besitzen. Sie würden die mit so viel Aufwand errichtete, schöngefärbte Fassade stören, hinter der es bröckelt und fault. Bei meinen Recherchen stieß ich auf das globale »Mockingbird«-Programm der CIA, das, bereits kurz nach 1945 installiert, ganz offensichtlich verantwortlich ist für die zunehmende Verblödung auch im Kunstbetrieb. Elegant versteckt hinter den verschiedenen Foundations, vor allem der von Rockefeller, verschrieb man sich der intensiven Förderung des verschiedensten Blödsinns, den man fürderhin als Kunst verkaufte. Kritische Künstler dagegen werden vor allem nur geschätzt, wenn deren kritische Töne gegen ein gegnerisches System instrumentalisiert werden können. Auch hierbei haben künstlerische Kriterien keine Bedeutung. Beispielhaft ist in diesem Zusammenhang der russische »Konzeptkünstler« Pjotr Pawlenski, der seine Kritik am Putin-Regime dadurch ausdrückte, dass er seine Hoden auf den Roten Platz nagelte oder sich den Mund vernähte oder das Gebäude der russischen Inlands-Geheimdienstzentrale in Brand setzte. Ich weiß zwar nicht, wo da ein künstlerischer Aspekt liegen sollte, aber weil er das alles aus Protest gegen Putin veranstaltete, war er in unseren Medien ein ganz großer Künstler, für den man sich vehement einsetzte, als er in Russland in die Psychiatrie eingeliefert werden sollte. Nach Frankreich ausgereist, zündete er nun ganz aktuell eine Pariser Bank an, diesmal nicht als Protestaktion gegen Putin, sondern aus Protest gegen den Kapitalismus. Damit aber hörte der Spaß auf, jetzt ist das selbstverständlich keine Kunst mehr und Pawlenski kein Künstler, sondern nur noch ein Verrückter. Jetzt muss er tatsächlich in die Psychiatrie, nun in eine französische, und ist damit wohl für die Kunstwelt verloren.