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Titel2312

Lehren aus den NSU-Morden  (Ulla Jelpke)

Vor einem Jahr, am 4. November, wurden die beiden Bankräuber Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos tot in ihrem ausgebrannten Wohnmobil bei Eisenach gefunden. Wenige Stunden später jagte ihre Komplizin Beate Zschäpe die gemeinsame Wohnung des Trios in Zwickau in die Luft. In den Trümmern findet die Polizei Waffen und eine DVD, mit der sich das Trio zu Morden und Anschlägen bekannte. Nun wurde deutlich, daß seit rund 14 Jahren eine rechtsterroristische Zelle namens »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) in der Illegalität gelebt und gemordet hatte. Neun migrantische Kleinunternehmer und eine Polizistin wurden von den Naziterroristen regelrecht exekutiert, zwei Nagelbomben in von Migranten belebten Gegenden gelegt und mindestens zwölf Banken überfallen. Das Nazitrio verfügte nach bisherigen Erkenntnissen über bis zu 20 Helfer in der Legalität. Zumindest gedeckt – wenn nicht sogar aktiv unterstützt – wurden die untergetauchten Neonazis auch durch Verfassungsschutzämter, die über ihre V-Leute immer wieder dicht an ihnen dran waren. Schon die Nazikameradschaft Thüringer Heimatschutz, in der sich die drei späteren NSU-Mitglieder weiter radikalisierten, war eine Gründung des Verfassungsschutzes. Offenbar riß der Draht von Innenbehörden zu dem Trio nie ab. Noch unmittelbar nach der Explosion des Wohnhauses wurde Beate Zschäpe über ein Dutzend Mal mit einer Telefonnummer aus dem sächsischen Innenministerium angewählt. Anschließend versuchten die Geheimdienste, ihre zwielichte Rolle im Nazimilieu zu vertuschen.

Kurz nach Aufdeckung des NSU werden im Bundesinnenministerium Akten mit Informationen zum V-Leute-Einsatz in der Naziszene geschreddert. Die Aktenvernichtung geht noch bis in den Sommer weiter. Bundesverfassungsschutzchef Heinz Sommer nimmt als Konsequenz aus der Reißwolf-Affäre seinen Hut, auch die Spitzelchefs in Sachsen und Thüringen werden abgelöst. Der neue Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen stellt seinerseits den NSU-Untersuchungsausschuß des Bundestags als Sicherheitsrisiko dar. Die Abgeordneten würden V-Leute in der Naziszene in Gefahr bringen und das Anwerben neuer Spitzel erschweren. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang das Vorgehen des thüringischen Innenministers Jörg Geibert (CDU), der aus Angst vor einer Zensur durch den Geheimdienst Verfassungsschutzakten durch die Landespolizei kopieren und ungeschwärzt dem Bundestagsuntersuchungsausschuß übergeben ließ. Geibert sah sich anschließend von Parteifreunden dem Vorwurf des Geheimnisverrats ausgesetzt.

Für den Staatssekretär des Bundesinnenministeriums Klaus-Dieter Fritsche, der bis 2005 Vizepräsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz war, besteht die Aufklärungsarbeit des Ausschusses und der Medien gar in einem »Skandalisierungswettstreit«. »Die Menschen in Deutschland haben ein Recht darauf, daß der Staat seine Schutzfunktion erfüllt, auch und gerade da, wo man mit offenen Mitteln nicht weiterkommt«, rechtfertige Fritsche vor dem Untersuchungsausschuß den Einsatz von V-Leuten und verbat sich zugleich Kritik an der Arbeit des Geheimdienstes.

Als erste Lehre aus dem NSU-Skandal läßt sich heute sagen: Der Verfassungsschutz ist Teil des Problems und daher kein geeignetes Instrument zur Bekämpfung des Neonazismus. Mit seinen V-Leuten hat der Dienst in der Geschichte der Bundesrepublik immer personell und finanziell zur Stärkung der faschistischen Rechten einschließlich ihres terroristischen Flügels beigetragen und gleichzeitig im Namen des »Quellenschutzes« durch die Präsenz der V-Leute die Verfolgung neofaschistischer Straftäter und ein Verbot der NPD verhindert. Den Verfassungsschutz als Geheimdienst demokratisch kontrollieren zu können entspricht der Quadratur des Kreises. Eine Reform des Verfassungsschutzes kann daher nur in der Auflösung des Geheimdienstes und seiner Umwandlung in eine öffentlich und wissenschaftlich arbeitende Informations- und Beobachtungsstelle für Demokratie und Grundrechte bestehen.

Während immer größere Teile der Öffentlichkeit die Existenz des Verfassungsschutzes in Frage stellen, machen die Geheimdienste weiter wie bisher. Ohne die Abschlußberichte des Untersuchungsausschusses abzuwarten, hat die Regierungskoalition mit der Schaffung des Abwehrzentrums Rechtsextremismus und der für Dutzende Polizeibehörden und Geheimdienste offenen Verbunddatei gegen Rechtsextremismus eben jene Sicherheitsbehörden gestärkt, die bei der Bekämpfung des Naziterrors so blutig versagt hatten. Dabei macht Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich keinen Hehl aus seinem Wunsch, das Abwehrzentrum und die Datei zukünftig aus dem gesamten »Extremismus« – soll heißen auch auf den sogenannten Linksextremismus auszuweiten. Abgesehen von datenschutzrechtlichen Bedenken und der Kritik einer weiteren Verwischung des grundgesetzlichen Trennungsgebots von Polizei und Geheimdiensten hätte eine frühere Existenz der Rechtsextremismusdatei im Falle der NSU-Morde nichts genützt.

Denn – und das ist die zweite Lehre aus den Nazimorden und der Rolle der Sicherheitsbehörden – das Problem heißt Rassismus. Gemeint ist nicht nur der Rassismus, der den Morden des NSU als Motiv zu Grunde lag. Es geht auch um den Rassismus der Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften. Angesichts aller vom NSU begangenen Morde und Anschläge gegen Migranten sah nur ein einziger Profiler der Polizei die Möglichkeit eines von Fremdenfeindlichkeit getriebenen Täters. Für die anderen Ermittler ergab sich aus der Tatsache, daß – bis auf die Polizistin Michele Kiesewetter – alle Opfer ausländischer Herkunft waren, die Schlußfolgerung, daß auch deren Mörder keine Deutschen sein könnten. Während der von den Medien geprägte Begriff »Dönermorde« die Opfer schlicht verhöhnte, signalisiert die Namensgebung des bayerischen Ermittlerteams »Soko Bosporus« die Suche nach einem Täter im Ausland. So wurde nur nach türkischen Käufern der Mordwaffe gefahndet. Zwei Millionen Daten wurden bei der Suche nach den Tätern der Mordserie erhoben – doch gefahndet wurde nur unter Migranten und im Ausland. In einem Gutachten des baden-württembergischen Landeskriminalamtes heißt es, daß die Täter der Mordserie keine Deutschen sein könnten, weil Deutsche ihre Probleme nicht mit Waffengewalt lösen würden. Während die rechte Spur beharrlich ausgeblendet wurde, kriminalisierten die Ermittler die Ermordeten noch nachträglich, indem sie diese auf der Suche nach einem Mordmotiv mit der Mafia, Drogen oder dem Rotlichtmilieu in Verbindung zu bringen suchten.

Ein Jahr nach Auffliegen des NSU sehen wir keine Spur von Selbstkritik und Sensibilisierung der Sicherheitsbehörden zum Thema Rassismus. Stattdessen sehen sich weiterhin diejenigen Menschen unter »Extremismusverdacht« gestellt, die sich gegen Rassismus und Neofaschismus engagieren. Und mit ihrer neuen Debatte zum Thema Asyl bereitet die Bundesregierung weiterhin den geistigen Nährboden für faschistische Umtriebe. Für die Angehörigen der Opfer, die mit schönen Worten und Bargeld für das erlittene Unrecht abgespeist wurden, muß der von Regierung und Sicherheitsbehörden schon lange wieder vollzogene Übergang zur Routine erneut als Schlag ins Gesicht erscheinen.