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Titel232013

Ein Juwel im barocken Universum Gothas  (Peter Arlt)

Gotha sei die schönste Stadt von Italien, lobte der kuriose Professor Galleti. Neue Gallettiana ertönen zur Wiedereröffnung des neuen Museums Gothas: Dieses Museum ist die Welt; es sticht die Münchner Pinakotheken aus; zwischen dem Louvre in Paris und der Ermitage in Sankt Petersburg glänzt es als neuer Stern; ein Juwel im »Barocken Universum Gothas«. So nennt sich das Gesamtziel, zu dem auch die Restaurierung der historischen Räume des barocken Schlosses Friedenstein gehört und die Sanierung und Neueinrichtung des Perthes-Forums als Zentraldepot, für Restaurierungswerkstätten und als Archiv. Vor der Neupräsentation der Friedensteinischen Kunstsammlungen im Museumsgebäude war dort das Museum der Natur, das in den Westturm des Schlosses Friedenstein eingezogen ist. Die Einbauten (seit 1954) wurden entfernt und die bauzeitliche Gebäudestruktur des Museums wiederhergestellt. In den Lobgesang darf man einstimmen, weil alles nach zwei Jahren herausragend gut und termingenau gelang und von den geplanten elf Millionen Euro Geld eingespart wurde, wovon zusätzlich die Deckendekoration in den Kuppelfeldern des Oktogons ausgemalt werden konnte. Entsprechend dem denkmalspflegerischen Prinzip der gesicherten Authentizität haben fachlich versierte Restauratoren und Handwerker die Wände farbig ausgemalt, die illusionären Marmormalereien, Stuckdekorationen und den Terrazzoboden repariert und ergänzt; alles barrierefrei und mit modernster Ausstellungstechnik. »Das ist perfekt gemacht«, urteilt die Kunsthistorikerin und Präsidentin des Moskauer Puschkin-Museums Irina Alexandrowna Antonowa, die mit dem Thema »Beutekunst« konfrontiert wurde, anstatt mit der Demut, es nicht anzusprechen.

Das Kunstmuseum präsentiert sich als ein wunderbar erhaltenes und wiederhergestelltes Museum aus dem Historismus, vom Direktor Martin Eberle gefeiert als schönstes Kunstmuseum Thüringens. Das lädt kostbar und einzigartig ein zu einem vielfältigen, aber wenig strapaziösen Überblick über ägyptische, griechische, römische Antike, Korkmodelle, Skulpturen der Aufklärung, deutsche und niederländische Gemälde, Grafiken, Fächer, Majoliken, Böttgersteinzeug und andere Keramiken, chinesische Kunst und japanische Lackkunst.

1879 dagegen gab es weniger Grund zum Jubeln: Der dreigeschossige Werksteinbau schlug nach 15 Jahre langer Bauzeit überteuert zu Buche. Architekt war der Wiener Oberbaurat Franz von Neumann, der sich von der italienischen Renaissance und Gottfried Sempers Neuem Museum in Dresden anregen ließ. Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha finanzierte den Bau für seine aus der Kunstkammer hervorgegangene Kunstsammlung selbst; sagen wir: ohne zusätzliche Bürgerbeteiligung. Ein Grund, ihn erneut Herzogliches Museum Gotha zu nennen. Eine Freitreppe lädt hinter zwei Löwenfiguren vor dem mit Doppelsäulen bestandenen Mittelrisalit den Besucher ein. In der einen Säulen-, eigentlich Pfeilerhalle stößt er hinter einer Leere auf die weltweit zweitgrößte Houdon-Sammlung, unter anderem mit dem Muskelmann und der für Gotha geschaffenen Diana, welcher gelingt, da aus Gips, bloß auf einer Fußspitze zu stehen. Und in der anderen Halle, einstmals »Säugetiersaal«, wird man künftig Sonderausstellungen sehen, wie »Gotha und der Ferne Osten« ab 25. Mai 2014.

Auf den Protestantismus der Herzöge aus der Gothaer Linie deutet einiges, wie die Förderung der Naturwissenschaften (Anatomen, Astronomen, Kartographen), Pädagogik (August Hermann Francke), Theater (Konrad Ekhof) und Musik, wohl auch das Nichtsammeln von italienischer und spanischer und Sammeln niederländischer Malerei, doch vor allem etliche Gemälde der Cranachs, darunter Porträts von Martin Luther und Philipp Melanchthon. Besonders das pantheistische Gemälde »Kreuz im Gebirge«, 1820/21, das Herzog August bei Caspar David Friedrich als Altarbild in Auftrag gab. Sollte es im Museum gezeigt werden oder nicht weiterhin im Betkabinett? Hier stoßen wir auf die Problematik der Separation. Die fortwährende Erweiterung der Bestände in fast 400 Jahren führte dazu, die Sammlungen zu separieren, Bibliothek und Münzsammlung, Kunstkammer und Naturalien, Kunst und Kunsthandwerk in den historischen Räumen des Schlosses Friedenstein zu lassen. Denn alles bildet gemeinsam mit dem Kunstmuseum das »Barocke Universum«. Für die Einbeziehung ins Museum und den Verbleib im Schloß sind die jeweiligen künstlerischen gegen die historischen Werte abzuwägen. Freilich wünscht man sich das bedeutende Gemälde Friedrichs im Kunstmuseum. Aber mit Verfälschung des originalen Raumes? Eine Kopie des Altarbildes könnte sie beheben. Wäre es andererseits bei den vier Bildern der pompejischen Wandmalerei aus der 1. Hälfte des 1. Jahrhunderts nicht besser, sie aus dem Neuen Appartement der Herzogin herauszunehmen und mit ihnen und dazu mit römischen Münzen die antike Abteilung zu stärken? Denn trotz der herausragend gemalten Vasenbilder, wie die attisch-schwarzfigurige Hydria »Götterversammlung« bleibt die Antike etwas dürftig. Die Faszination für Mumien und Ägyptika läßt sich nicht nur 1659 in der Kunstkammer nachweisen, sondern zeigt sich früh in der Unterstützung der Expedition Ulrich Jasper Seetzens durch den Herzog. Geschmackvoll sind die Exponate von blaugrünen Wänden mit Hieroglyphen umgeben. Vor einer goldenen Wand wird die Büste von Pharao Sesostris III. wegen seiner historischen Bedeutung herausgehoben, obwohl der Kopf teilweise zerstört und kaum sichtbar ist. Stattdessen würde dort die Büste der Königin Cleopatra III. mit ihrem höheren künstlerischen Wert größeren Eindruck machen.

Ein anderer Grund für den Namen Herzogliches Museum ergibt sich aus der Historisierung des historischen Sammlungsstrebens. Konserviert wird das Ergebnis des einst lebendigen Willens, die Sammlung durch weltweite Spitzenleistungen zu erweitern, entsprechend dem Zeitgeschmack und diesen mitbestimmend. Doch auch zeitgenössische Kunst wurde gesammelt, wie die Plastiken Friedrich Wilhelm Eugen Doells und Jean-Antoine Houdons mit der Büste von Voltaire, der in Gotha 1753 Zuflucht findet. Das einstige Sammlungsstreben wird vom Herren des Geschehens, Martin Eberle, kanonisch fixiert, ohne aktuelle Weiterführung, wie in der Zeit Michel Hebeckers (1986–1992). In den leeren Schloßräumen könnte somit die im Gothaer Archiv existierende Kunst unserer Zeit gezeigt werden, so von den Gothaern Hannah Höch, Kurt W. Streubel und Otto Kayser, dazu die Sammlung Eberhard Schlotter und bedeutende Gemälde, Heidrun Hegewalds Sisyphos und Gerhard Kurt Müllers Requiem.

Herzogliches Museum Gotha, Parkallee 15, täglich von 10 bis 17 Uhr (ab November 10 bis 16 Uhr); Eintrittspreis 5 €, Komplexkarte 10 €