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Vom Zivilgesetzbuch der DDR lernen  (Wernher S. Strasberg)

Mit dem Zivilgesetzbuch (ZGB) wurde das damals auch in der DDR noch geltende Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) einschränkungslos außer Kraft gesetzt. Am 1. Januar 1976 schlug seine Geburtsstunde.

 

Dem Inkrafttreten waren langjährige heftige Fachdiskussionen vorausgegangen. Dabei ging es vor allem um die Frage, ob nach sowjetischem Vorbild ein einheitliches Gesetzbuch sowohl für die Zivilrechtsbeziehungen der Bürger (Kauf, Miete, Eigentum und so weiter) als auch für die Kooperationsbeziehungen der Betriebe geschaffen werden sollte. Durchgesetzt hat sich schließlich die Konzeption eines auf die Bürgerbeziehungen beschränkten Gesetzbuches. Dies bedeutete eine Hervorhebung der Rechtsstellung und des Rechtsverständnisses des Bürgers unter Sicherung eines unantastbaren Bereichs privater Rechtsausübung.

 

Das BGB war vom Deutschen Reichstag am 1. Juli 1896 beschlossen worden. Die SPD-Fraktion stimmte geschlossen gegen dieses Gesetz. August Bebel veröffentlichte in der Zeitschrift Die neue Zeit einen umfassenden Artikel, in dem er das BGB als absolut unvereinbar mit dem Programm der Arbeiterpartei charakterisierte. Schon Heinrich Heine hatte das aus dem römischen Recht übernommene Privatrecht, aus dem das BGB hervorging, seinerzeit als »Bibel des Egoismus« bezeichnet.

 

In den Stellungnahmen der Fraktionen der DDR-Volkskammer zum ZGB-Entwurf am 19. Juni 1975 erklärte zum Beispiel der Sprecher der CDU, dass seine Fraktion in allen Gesetzesbestimmungen Maximen sehe, »die in vollem Maße sozialen Konsequenzen aus christlicher Ethik« entsprächen (Protokollband 6. Wahlperiode 1975, S. 33). Der Sprecher der Fraktion der Liberal-demokratischen Partei verglich das ZGB mit dem BGB und meinte: »Das Maß des BGB waren Geschäft und Profit; das Maß unseres ZGB sind der Mensch als Persönlichkeit und seine Beziehungen zur Gesellschaft« (ebenda S. 36).

 

Sicher – die Zeiten haben sich geändert, das ZGB hat das Schicksal der DDR geteilt. Eines aber ist wohl geblieben: der Versuch, im bürgerlich-rechtlichen Bereich Regelungen zu finden und anzuwenden, die die gesellschaftlichen Beziehungen der Bürger nach Lebensverhältnissen definieren und das Recht für den Bürger überschaubar und verständlich machen, was man vom BGB weiß Gott nicht sagen kann. Selbst manchem versierten Juristen erschließt sich noch heutzutage der Sinn vieler Regelungen nur in glücklichen Stunden. Ludwig Thoma beschrieb dies auf seine Weise so: »Denn Amesreiter war ein sogenannter glänzender Jurist, hatte das Staatsexamen mit 1 gemacht und war mithin zeugungsunfähig.« (Quelle: »Der Münchner im Himmel«)

 

Historisch allerdings ist anzuerkennen, dass mit dem von Kaiser Wilhelm II. angekündigten und am 1. Januar 1900 in Kraft getretenen BGB erstmals in der deutschen Geschichte Rechtseinheit geschaffen wurde, was unzweifelhaft einen Fortschritt darstellt. In der geschichtlichen Entwicklung zeigte sich, dass die abstrakte Fassung des Gesetzes seine Anwendung im Kaiserreich, in der Weimarer Republik, im Faschismus und später vorübergehend parallel in der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland erlaubte. Dabei kann nicht verschwiegen werden, dass bis zum Inkrafttreten des ZGB 1976 die grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen in der DDR, die nach der Wende wieder rückgängig gemacht wurden, sich unter der Geltung des BGB vollzogen!

 

Es ist ein unbestreitbares Faktum (wenn man mal die ach so hilfreiche »Deutungshoheit« im schwarzen Sack lässt), dass seinerzeit mit dem Zivilgesetzbuch der entgegengesetzte Weg beschritten wurde. Nach langer Vorarbeit und öffentlicher Diskussion lag ein Gesetzbuch vor, das von jedermann verstanden werden konnte, überschaubar war (nach Lebensverhältnissen geordnete und gewichtete Paragrafen) und dessen Bestimmungen auch »in vollem Maße«, wie vom Sprecher der CDU-Fraktion in der oben erwähnten Volkskammersitzung ausgeführt, »sozialen Konsequenzen aus christlicher Ethik entsprechen«.

 

Das öffentlich diskutierte Zivilgesetzbuch wurde im Land zu einem Bestseller mit nie gekannter Auflagenhöhe.

 

Das Justizministerium registrierte vor allem auch ein großes internationales Interesse. Ausländische Fachdelegationen gaben sich im Ministerium und im Zivilkollegium des Obersten Gerichtes die Klinke in die Hand. Besonders erstaunte mich als einen der Väter des ZGB das nachdrückliche Interesse von Juristenkollegen aus Japan und Südkorea. Japan, Griechenland, Brasilien und andere hatten seinerzeit das deutsche BGB in ihrer nationalen Gesetzgebung übernommen beziehungsweise »nachempfunden« und suchten nun offenbar notwendige positive Veränderungen.

 

Der Leitgedanke des ZGB bestand darin, eine gesellschaftliche Struktur auf dem Gebiet des Zivilrechts zu regeln, in der derjenige, der dem anderen hilft, besser fährt als derjenige, der sich darüber hinwegsetzt. Dies ist wohl der entscheidende inhaltliche Gegensatz zum BGB, das keine Moral kennt.

 

So formulierte 1997 der Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt, Reinhard Höppner, auf dem Rechtspolitischen Kongress der Friedrich-Ebert-Stiftung: »Das Zivilgesetzbuch der DDR wurde … von den Bürgerinnen und Bürgern aktiv zur Gestaltung ihrer Lebensbedingungen genutzt. Es stand bei vielen zu Hause im Bücherschrank. Das BGB mit all seinen Nebenbestimmungen bleibt dagegen ein Buch mit sieben Siegeln. Das Kleingedruckte auch in Verträgen des täglichen Lebens ist schwer durchschaubar.«

 

In der heutigen Zeit aber geht es darum, die Diskussion um ein »Europäisches Zivilgesetzbuch« oder zumindest ein »Europäisches Vertragsrecht« voranzubringen. Im Zuge der Harmonisierung des Europäischen Zivilrechts wäre es doch schön, die Erfahrungen mit dem DDR-Zivilgesetzbuch, zum Beispiel seiner Prägnanz, Verbraucherfreundlichkeit und Verständlichkeit sich näher anzusehen. Ein Gesetz »von Juristen für Juristen«, von der Wissenschaft für die Wissenschaft beziehungsweise für »geschulte Rechtsausleger« sollte nicht der Stil des europäischen Rechts sein. Schon der Römer Justinian I. war gegen einen solchen Stil, ebenso Napoleon; und bei Friedrich II. hieß es im Corpus Juris Friedericiani von 1749, dass »die Privati, insonderheit aber die Professores, keine Gelegenheit haben mögen, dieses Land durch eine eigenmächtige Interpretation zu corumpieren ...«.