erstellt mit easyCMS
Titel2409

Hasi, Fotzi und der Staatsminister  (Matthias Biskupek)

Manchmal treffen Ereignisse sehr scharf, also bezeichnend aufeinander:
Der Verband deutscher Schriftsteller feierte im November am Sitz seiner Geschäftsführung im Haus der Bundesverwaltung der Gewerkschaft Vereinte Dienstleistung am Paula-Thiede-Ufer zu Berlin – so viel Zeit muß sein – in einer bescheidenen Ecke des sehr großen, sehr breiten, sehr metallgläsernen und modisch rotgeziegelten Palastes. Er feierte in hübscher Bescheidenheit seinen 40. Geburtstag. Der war da schon ein paar Monate vorbei. Nobelpreisträger Heinrich Böll hatte zur Gründung 1969 dies verkündet: »Ich schlage vor, daß wir die Bescheidenheit und den Idealismus einmal für eine Weile an unsere Sozialpartner delegieren: an Verleger, Chefredakteure und Intendanten.«

Sozialpartnerschaftlich hielt der Staatsminister für Kultur, Bernd Neumann, eine Rede, in der er wörtlich ausführte »Wir brauchen schließlich auch weiterhin Autoren, Schriftsteller und Übersetzer.«

Angerührt von solchem Hauch der Bedeutung erfuhr der einfache, gewerkschaftlich dichtende Schriftsteller anderntags am selben Ort, daß es ein schwierig Ding sei mit all den Verwertungsrechten, die derzeit durch den digitalen Netzraum schwirrten. Ein Diskutant wagte zu formulieren: »Eigentum ist sozial gebunden – dieser Verfassungsgrundsatz fällt den politischen Sonntagsrednern immer nur dann ein, wenn es um geistige Leistungen und deren Vergütung geht.« (Sprich: Schriftsteller, Komödianten und Musiker sollen sich nicht so haben, wenn ihre Produkte halt mal ohne Honorar nachgenutzt werden.) Ist aber nicht auch Geldeigentum sozial gebunden? Das gelegentlich nachzunutzen, erlaubt leider kein Sonntagspolitiker.

Mit diesen bescheidenen Gedanken im Hinterkopf geht man abends fürbaß durch den Stadtbezirk Friedrichshain, einige hundert Meter entfernt vom Gewerkschaftsfunktionärspalast, und landet in der Boxhagener Straße in einer Theaterkapelle. Davor sind ein paar Fahrräder angeleint, darinnen wird man geduzt, es darf im sakralen Raum geraucht und Bier aus der Flasche, bei Bedarf auch aus dem Glas, genossen werden. Im Gewölbe darunter, zwischen Theken und Barhockern, gibt es ein Stück von Werner Schwab: »ÜBERGEWICHT, unwichtig: UNFORM.« Gut, man kennt den barock-bürokratisch formulierenden Österreicher (»Wenn Sie das bitte in eine Erkenntnis hineinnehmen möchten«), staunt aber doch über die Präzision des Spiels, den genauen sozialen Abriß einer Kneipen-Gesellschaft, das verblüffende Ensemblespiel, die einprägsamen Physiognomien der Schauspieler. Wo die Figuren Fotzi oder Hasi heißen und der Intellektuelle, der das Schöne will, sich permanent in den Schritt faßt. Schauspieler, die Schau und Spiel so erstaunlich zusammenbringen, daß man ihnen bescheinigen möchte: Ihr seid Berufene, keine Häschen vom gesellschaftlichen Häkelzirkel.

Nein, wir sind nicht beim Staatstheater, wir sind in der sogenannten off-Theater-Szene. Und die Regisseurin des Stücks und zeitweilige künstlerische Chefin dieses Projekts (www.theaterkapelle.de), Christina Emig-Könning, jammert nicht, sondern freut sich, daß sie so eine gute Truppe zusammenbringen konnte. Daß der Stadtbezirksbürgermeister Schirmherr der Kapelle ist. Daß hier Mitarbeiter als Ein-Euro-Jobber Dienst tun können.

Wir verraten nicht, für welche Honorare hier gespielt wird, für welche Handgelder man derzeit arbeitet, organisiert, Anträge schreibt und sich von Bürokraten permanent belöffeln läßt. Hier ausgereichte Gelder als Mindestlohn zu bezeichnen, wäre grotesk. So grotesk wie Schwabs Stücke. Doch ob unsere Sozialkämpfer gegen die Bescheidenheit das »in eine Erkenntnis hineinnehmen möchten«, ist fraglich. Denn der Staatsminister sieht sich schon längst »als Anwalt der Kreativen«, er weiß: »Der ›Arme Poet‹ hat zwar als Spitzweg-Idyll seinen Reiz, als Lebensmodell für Kreative aber ist er unzumutbar.« Der Staatsminister muß sich vom Gewerkschaftspalast nur ein paar Schritte ostwärts chauffieren lassen. Dann könnte er erfahren, was für Kreative, wirklich großartige, lustvolle, nicht bärmelnde Kreative, alles zumutbar ist. Und wie man wirkliches Geldeigentum sozial binden könnte.