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Titel2416

Herr Thierse regt sich auf  (Otto Köhler)

Der sehr ehemalige Bürgerrechtler und frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse wurde vor zwei Jahren mit der goldenen Ehrenmedaille des Fördervereins Berliner Schloss prämiiert. Der SPD-Politiker habe sich wie kein zweiter – »Seien wir nicht feige!« kommandierte er – für die Rekonstruktion der einstigen Preußen-Residenz eingesetzt. Das erklärte, damals bei der Preisverleihung, der Fördervereinschef und Geschäftemacher Wilhelm von Boddien. Korrekt. Schon 2001 erschien der Berliner Kurier mit der Schlagzeile: »Wolfgang Thierse: Baut mir ein Schloss!« und kündigte damit eine parlamentarische Initiative an gegen eine angeblich zögerliche Haltung der Bundesregierung.

 

Jetzt steht das Ding, dessen Reste Walter Ulbricht dankenswerterweise wegsprengen ließ, ziemlich fertig wieder mitten in Berlin herum und hat viel Geld gekostet. Aber Herr Thierse quengelt. Denn die Hüter und Retter des Erbes von Kaiser Wilhelm Zwo sind konsequent. Sie wollen dessen Schloss ganz und unverkürzt. Einschließlich der Kolonnaden vor dem Schloss. Das aber verstört den Mann, der sich nicht für einen Monarchisten, sondern unentwegt für einen Bürgerrechtler hält, doch sehr. Denn auf dem Gelände gegenüber dem Schloss, wo jetzt bald die Kolonnaden wiedererstehen, war ein würdiges Denkmal für die Deutsche Einheit geplant: eine vom deutschen Staatsbürger begehbare Jahrmarktwippe, die je nachdem, wie viele auf welcher Seite stehen, rauf oder runter geht. Wobei dafür gesorgt ist, dass die, die unten landen, nicht umstandslos zu erschießen sind. Allenfalls wird – Ossis sind bevorzugt – ihr Hartzvier gekürzt oder gestrichen. Weil aber dieses Denkmal der Deutschen Einheit durch die Rekonstruktion der Kolonnaden nicht mehr ermöglicht werden kann, zieht Thierse plötzlich einen Flunsch: Er ist dem Bundestagshaushaltsausschuss böse, der Gelder für Wilhelms Vorbau bereitgestellt hat. Der wiedererwachte Bürgerrechtler: »Damit zeigt der Haushaltsausschuss seine abgrundtiefe Verachtung des Beitrags der Ostdeutschen zur Freiheits- und Demokratie-Geschichte.« Lieber als der friedlichen Revolution zu gedenken, wolle er »des Kaisers Kolonnaden zurück«.

 

Ja und? Hat Thierse etwa gemeckert, als beschlossen wurde, das wiedererstandene Schloss mit Beutestücken aus Kaiser Wilhelms des Zwoten Kolonialkriegen (»Pardon wird nicht gegeben«) auszustatten? Dann wird er auch den Mund halten müssen, wenn mit den Kolonnaden pferdesalamischeibchenweise das dazugehörige Reiterstandbild von Wilhelm Numero I wiederersteht, der 1848 als Kartätschenprinz richtige Bürgerrechtler niederschießen ließ und dessen Krieg gegen Frankreich 1871 erst zu diesem grässlichen Deutschen Reich führte, das heute immer noch nicht geendet haben will.