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Asse: Wer will Atommüllfabrik planen?  (Andreas Riekeberg)

Möchte jemand mitbieten bei der »Entwurfs- und Genehmigungsplanung für die Abfallbehandlungsanlage und das Zwischenlager für die rückzuholenden radioaktiven Abfälle aus der Schachtanlage Asse II«? Die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) hat diese Planungsarbeiten kürzlich ausgeschrieben, die Bieterfrist läuft noch bis zum 21. Dezember.

 

Offensichtlich will die BGE die Ankündigung von Staatssekretär Jochen Flasbarth vom Bundesumweltministerium, an der Asse derartige Anlagen für Atommüll zu errichten (siehe Ossietzky 17/2020), so zügig wie möglich umsetzen. Während die Lokalpolitik sich noch – fünf Jahre zu spät – auf die Hinterbeine zu stellen versucht, werden hier Fakten geschaffen.

 

Es ist schon erstaunlich, wie schnell die Errichtung von Konditionierungsanlage und Atommüll-Zwischenlager an der Asse nun vorangetrieben wird. Vor allem, wenn man vergleicht, wie wenig innerhalb der letzten zehn Jahre für die offiziell zum Ziel erklärte »Rückholung des Atommülls« getan wurde. »Ohne Konditionierungsanlage und ohne Zwischenlager keine Rückholung«, mit dieser Formel üben Berlin, Hannover und Peine (BGE) schon seit langem Druck auf den Landkreis Wolfenbüttel aus, in dem – nur fünfzehn Kilometer südöstlich des Braunschweiger Hauptbahnhofs – die Anlagen entstehen sollen.

 

Eine possierliche Aktion veranstalteten kürzlich der Vizepräsident des niedersächsischen Landtags, Frank Oesterhelweg (CDU) aus Wolfenbüttel, und der CDU-Kandidat für das Amt des Landrates, Uwe Schäfer. Mit der Botschaft »Ihr ›Basta!‹ schmeckt uns nicht! – Besser Pasta statt ›Basta!‹!« schickten sie ein Fass Nudeln an Staatssekretär Flasbarth. Dem Vernehmen nach soll auch die noch amtierende Landrätin Christiana Steinbrügge (SPD) in einen Schriftwechsel mit ihrer Parteifreundin, der Bundesumweltministerin Svenja Schulze, eingetreten sein, um doch noch einen fairen Vergleich des Standortes in der Asse mit einem Asse-fernen Standort zu erreichen. Es sind Wahlkampfzeiten.

 

Das alles mutet absurd an. Schließlich hatten die drei zusammen mit anderen politischen Lokalgrößen im Kreistag Wolfenbüttel vor mehr als fünf Jahren, am 5. Oktober 2015, folgenden Beschluss durchgesetzt: »Der Kreistag fordert den unverzüglichen Beginn einer transparenten, ergebnisoffenen, kriterienbasierten Standortsuche für die Konditionierungsanlage, das Puffer- und Zwischenlager. Dies gilt insbesondere für die Suche nach Asse-nahen Standorten (...). Konkrete Entfernungsvorgaben beim Suchverfahren werden abgelehnt.« Wer aber heute die Kreistagsabgeordneten an ihre Beschlüsse von 2015 zu erinnern versucht, stößt vielfach auf Ungläubigkeit.

 

Der Landkreis Wolfenbüttel hat jetzt eigentlich nur das bekommen, was der Kreistag gefordert hat: Unter fünf Asse-nahen Standorten hat der Betreiber nach bestimmten Kriterien ergebnisoffen einen ausgewählt. Zufällig ist es derjenige Standort geworden, den man am wenigsten von der Bundesstraße aus einsehen kann, die an der Asse vorbeiführt. Klar: Wer möchte sich schon den Blick auf die Asse durch eine 20 Meter hohe, mehrere Fußballfelder große Anlage verderben lassen? Schließlich wurde an der Asse auch nicht ein Hunderte Meter hoher Kamin gebaut, um etwa die radioaktive Abluft von der lokalen Bevölkerung fernzuhalten. Wo kein Schornstein, da keine Gefahr? Mitnichten. An der Asse hatte man über Jahrzehnte das zweifelhafte Vergnügen, die Grenzwerte für Radioaktivitätsbelastung zu circa zehn Prozent auszuschöpfen, wohingegen das bei AKWs sich eher im einstelligen Prozentbereich bewegte, wenn überhaupt.

 

Warum nur, mögen entfernte Beobachter*innen sich fragen, hat der Kreistag damals den Beschluss gefasst? Man kann hier nur spekulieren. Auffällig ist, dass der Niedersächsische Landtag im November 2015 – keine acht Wochen nach dem Kreistagsbeschluss – das Gesetz über den »Zukunftsfonds Asse« verabschiedet hat. Über diesen Fonds flossen in den letzten Jahren jeweils bis zu drei Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt in den Landkreis. Der Stiftungsrat kann damit Projekte von Kommunen und Vereinen unterstützen. Im Vorstand des Stiftungsrates hat im Jahr 2018 der SPD-Landtagsabgeordnete Falk Hensel den CDU-Politiker Uwe Schäfer abgelöst. Jährlich 30 mal 100.000 Euro freie Mittel: Das ist kein schlechter Anreiz, mit der Bundesregierung und dem ihr unterstellten jeweiligen Betreiber von Asse II zu kooperieren.

 

Im Jahr 2016 wurde bekannt, dass im Bundesverkehrswegeplan eine Ortsumgehung Wolfenbüttel mit »Vorrangbedarf« zur Fertigstellung 2030 aufgenommen worden war, die von der A36 bei WF-Nord östlich um die Stadt herum und bei Wendessen auf die Bundesstraße 79 führt, die zur Asse läuft. Weder von der Stadt noch vom Landkreis war eine solche Umgehungsstraße gefordert worden. Da der überregionale Verkehr von Braunschweig nach Südosten (Halle/Saale) über die A36/A14 läuft, kann die neue Trasse nur einen regionalen Nutzen haben, zum Beispiel wenn Gefahrgut per Straßentransport von der Autobahn zur Asse verfrachtet werden soll, ohne dabei durch die Stadt Wolfenbüttel zu müssen – vielleicht Atommüll-Transporte von den AKW-Standorten, wo die Anlagen abgerissen werden sollen? Soll an der Asse ein Umschlagplatz entstehen, für die Vorbereitung der Einlagerung des Atomschrottes in das alte Eisenerzbergwerk Schacht Konrad, nur 25 Kilometer entfernt?

 

Für die Rückholung des Atommülls aus Asse II könnte mit Inkrafttreten des aktuellen Strahlenschutzrechts nämlich die rechtliche Rechtfertigung entfallen sein. Mit der neuen Strahlenschutzverordnung sind ab 2019 diverse Sicherheitsreserven entfallen. Nun dürfen aus einer Atomanlage deutlich höhere Emissionen (gemessen in Becquerel) entweichen, bis der gleich gebliebene, über Modelle errechnete Grenzwert der Belastung der Menschen von einem Millisievert pro Jahr erreicht wird.

 

Diese Veränderungen sind von der Anti-Atom-Bewegung noch nicht ausreichend beachtet und rezipiert worden, sie wurden auch politisch kaum diskutiert. Da der Bundesrat zustimmen musste, kann man wohl von einer großen schwarz-rot-grünen Koalition bei der Änderung der Berechnungsgrundlagen ausgehen.

 

Allein über die Anwendung des neuen Berechnungsverfahrens für die Ausbreitung (ARTM-Partikelmodell) anstatt des bisherigen Gauß-Fahnenmodells hätten sich die errechneten Belastungen der Menschen an der Asse (in mSv) circa um den Faktor 10 reduziert, bei praktisch gleich gebliebenen Emissionen aus Asse II (in Bq). Dies kann beim Vergleich der Parlamentsberichte Radioaktivität von 2014 (Berechnung nach dem Gauß-Fahnenmodell) und von 2015 (ARTM-Partikelmodell) belegt werden. Zusätzlich wurden die Sicherheiten für die Menschen an Atomanlagen weiter reduziert, da neue Randbedingungen für die Berechnungen in der Strahlenschutzverordnung aufgestellt werden, dort in Anlage 11 (zu §§ 100, 101, 102): reduzierter Aufenthalt der Anwohner im Freien (Anlage 11 Teil B Tabelle 3); Anwohner befinden sich nicht mehr am kritischen Aufpunkt, sondern an sogenannten »realen Aufenthaltsorten« (Anlage 11 Teil C, 6e); Lebensmittel werden nicht mehr komplett am kritischen Aufpunkt angebaut (Anlage 11 Teil C; siehe: https://www.gesetze-im-internet.de/strlschv_2018/anlage_11.html).

 

Die Klage eines beliebigen Rückholungsgegners könnte sich jetzt auf §57b AtG, Absatz 2, Satz 4 berufen: »Die Rückholung ist abzubrechen, wenn deren Durchführung für die Bevölkerung und die Beschäftigten aus radiologischen oder sonstigen sicherheitsrelevanten Gründen nicht vertretbar ist.« Eine Rückholung des Atommülls würde höchstwahrscheinlich eine – wenn auch geringe – Freisetzung von Radioaktivität bedeuten. Sie könnte von Gerichten als nicht akzeptabel gewertet werden, wenn bei einer Flutung von Asse II die Grenzwerte nach den neuen Berechnungen eingehalten würden.

 

Das muss man sich vor Augen halten, wenn man die Situation um Asse II realistisch betrachten will. Es hilft nichts, die Augen vor der neuen rechtlichen Situation zu verschließen und auf die Versprechen von Regierungspolitikern zu vertrauen.

 

Außerdem kann auch das Bergrecht zum Hindernis für eine Rückholung werden, weil es bestimmte Sicherheitsabstände (»Sicherheitspfeiler«) an den Flanken von Salzbergwerken verlangt, in die nicht gebohrt werden darf. Auf der 750-Meter-Sohle, auf der der meiste Atommüll in Asse II eingelagert ist, bleibt bei der Berücksichtigung der gesetzlich vorgeschriebenen Sicherheitspfeiler kaum noch Raum, in dem neue Wege aufgefahren werden dürfen.

 

Der Asse-II-Koordinationskreis hat sowohl BGE-Geschäftsführer Stefan Studt (SPD) als auch den niedersächsischen Umweltminister Olaf Lies (SPD) auf einer großen Veranstaltung am 13. Januar 2020 mit den beiden rechtlichen Problemfeldern konfrontiert und verlangt, sie mögen darstellen, wie angesichts der Probleme die Genehmigungsfähigkeit einer Rückholungsplanung sichergestellt werden soll. Auch erneute Nachfragen seither blieben bislang ohne Antwort. Offensichtlich wissen weder der Betreiber von Asse II (die BGE) noch das Umweltministerium in Hannover als Genehmigungsbehörde, wie eine Rückholungsplanung genehmigt werden kann. Wie sollen dann Bürgerinitiativen darauf vertrauen, dass es überhaupt zu einer Rückholung kommen soll?

 

Und wohlgemerkt: Noch immer gibt es keinen Masterplan für die Rückholung, noch immer keine Bergetechnik, noch immer keinen Schacht 5!

 

Als das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) unter seinem Präsidenten, dem Grünen Wolfram König, für Asse II verantwortlich war, hätte es einen Masterplan für die Rückholung erstellen lassen müssen, dazu ferngesteuerte Technik für die Bergung von Atommüll aus Salz entwickeln und produzieren lassen müssen, einen neuen Schacht Asse 5 für die Trennung von Personaltransport und Materialtransport bauen lassen müssen. Das alles ist in den letzten zehn Jahren nicht passiert. »Zielt der Betreiber BfS absichtlich daneben?« hatte der Asse-II-Koordinationskreis schon Mitte 2016 getitelt (http://www.asse-watch.de/daneben.html) und festgestellt: »Hinweise mehren sich, dass viele Arbeiten nicht der Rückholung dienen, sondern eine Vernässung und Flutung des Atommülls in der Asse vorbereiten.« Vierzehn besorgniserregende Beobachtungen dazu waren der Öffentlichkeit mitgeteilt worden.

 

Statt für die Rückholung notwendige Maßnahmen zu ergreifen, wurde viel Zeit mit einer sogenannten Faktenerhebung und mit Nichtstun vertan. Außerdem wurden Maßnahmen umgesetzt, die schädlich für eine Überwachung des Atommülls und der Laugenflüsse in der Anlage sind. So wurden beispielsweise Laugensümpfe von den Atommüll-Kammern verfüllt, ebenso die komplette »2. südliche Richtstrecke nach Westen« auf der 750-Meter-Sohle, die an vielen der Atommüll-Kammern entlangführt.

 

Der Verdacht ist kaum abzuwenden, dass die Bekenntnisse zur Rückholung Lippenbekenntnisse sind, dass die Rückholung nur vorgespiegelt wird, um relativ widerstandsarm eine Atommüllfabrik (»Konditionierungsanlage«) und ein bundesweites Atommüll-Zwischenlager an der Asse errichten zu können.

 

 

Die Ausschreibung ist zu finden unter: https://www.service.bund.de/IMPORTE/Ausschreibungen/subreport/2020/11/E62375849.html