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Titel2519

Theodor Fontane – ein gebildeter Antisemit  (Hartwig Hohnsbein)

Das Theodor-Fontane-Jubiläumsjahr 2019 neigt sich mit dem 30. Dezember, dem 200. Geburtstag des Jubilars, dem Ende zu. Viel Rühmendes konnte man in diesem Jahr zu seinen Romanen und Gedichten erfahren, und seine Beschreibung der Mark Brandenburg wurde für heutige Wanderer touristiktauglich angepriesen.

 

Dazu kam in diesem Jahr noch ein Thema, das bis heute kaum und im letzten Fontane-Jubiläumsjahr 1998 mit seinem 100. Todestag am 20. September nur einigen Fachgelehrten aus der Germanistenbranche bekannt war, nämlich Fontanes ständig wiederkehrender Antisemitismus.

 

Damals, 1998, erschien von Michael Fleischer unter dem Titel »Kommen Sie, Cohn« eine »glänzende Studie«, so der Antisemitismusforscher Wolfgang Benz, in der erstmals aus den etwa 6000 erhaltenen Briefen Fontanes ein Bild entsteht, das den Verfasser als typisches Beispiel eines »bürgerlichen Antisemiten des 19. Jahrhunderts« (Klappentext im oben genannten Buch) in die lange Geschichte der Judenfeindschaft einreiht. Diese Geschichte beginnt, als die ersten Christen sich aus der Synagogengemeinschaft lösten und die Juden fortan als »Gottesfeinde« beschimpften, die »den Teufel zum Vater« hätten, wie es im Johannesevangelium 8 Vers 44 heißt. Dieses Wort, das dem Juden Jesus als Fake in den Mund gelegt wurde, hatte im »christlichen Abendland« Langzeitwirkung, von Verleumdung bis zur Ausrottung des Judentums. Nur selten gab es in dieser Geschichte kurze liberale Phasen, in denen die jüdischen Bevölkerungsteile, zum Beispiel in Preußen durch das Emanzipationsedikt von 1812, zu »Staatsbürgern«, allerdings mit minderen Rechten, erklärt wurden. Der Kampf gegen diese neuen »Einländer« wurde dann allerdings für das Bürgertum zu einem Bekenntnis ihrer »nationalen Gesinnung«. Und in diesen Kampf reihte sich auch der preußische Dichter Theodor Fontane ein, lebenslang. Fleischer kommt zu der begründeten Annahme, dass »der junge Fontane die in seiner Umgebung allgemein verbreiteten Vorurteile gegen Juden, seien sie religiöser oder sozialer Art, aufgenommen hat«. In den 1870er Jahren, als man in einer tiefgreifenden Wirtschaftskrise nach den Verursachern suchte, wurden »die Juden« als »Sündenböcke« dafür verantwortlich gemacht. Insbesondere die Schrift des Journalisten Wilhelm Marr, »Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum«, die 1879 zwölf Auflagen erreichte, rief das Bürgertum zum Kampf gegen das Judentum auf, wofür erstmals der Ausdruck »Antisemitismus« gebraucht wurde, ursprünglich eine Ehrenbezeichnung für die, die sich als Antisemiten in einer »antisemitischen Liga« zusammenfanden (s. Tobias Jaecker: »Judenemanzipation und Antisemitismus im 19. Jahrhundert«, 2002). Der Gedanke, dass das Judentum im »Deutschen Kaiserreich keinen Platz« habe, weil das »im Prinzip ein ›christlicher‹ Staat« sei, »fand in allen Kreisen der Bevölkerung begeisterte Zustimmung«, auch bei Fontane, verstärkt noch dadurch, dass er von zwei Prominenten verbreitet wurde, von dem lutherischen Hofprediger Adolf Stoecker in seinen hetzerischen Kanzelpredigten und von dem angesehenen Historiker Heinrich von Treitschke mit seinem Aufsatz »Unsere Aussichten«. Eine Aussage daraus wurde damals viel genannt und sollte später eine noch größere Karriere machen, das verkürzte, griffig gemachte Lutherwort »Die Juden sind unser Unglück«, das ab 1927 auf der Vorderseite der NS-Hetzschrift Der Stürmer stets zu lesen war.

 

Fontane kam in jener Zeit mit dem Professor von Treitschke in Verbindung. Der hatte sich zu Fontanes erstem Roman »Vor dem Sturm« (1878) »als Zeugnis nationaler Gesinnung« begeistert geäußert, was Fontane hoch erfreute. Nach einem Besuch bei dem Professor im Frühjahr 1880 war er fortan von dessen »akademisch« begründetem Antisemitismus überzeugt, weil der »gebildete Menschen fortreißen« könne, anders als die »volksrednerische und unfeine Art« des »Agitators Stoecker«. Insgesamt war er sich aber mit beiden in Bezug auf die Juden darin einig, dass er ihnen wegen »ihres grenzenlosen Übermuts eine ernste Niederlage nicht bloß gönne, sondern wünsche. Und das steht mir fest, wenn sie sie jetzt nicht erleiden und sich auch nicht ändern, so bricht in Zeiten, die wir ... freilich nicht mehr erleben werden, eine schwere Heimsuchung über sie herein.«

 

Durch die in den Jahren 1879 und 1880 erzeugte Pogromstimmung, die in die Geschichtsbücher als »Antisemitismusstreit« eingegangen ist, kam es im Preußischen Abgeordnetenhaus im November 1880 zu einer Beratung darüber, ob die rechtliche Stellung der Juden nicht eingeschränkt werden müsse, zum Beispiel durch ihren Ausschluss von Staatsämtern. Nach einer Ablehnung des Ansinnens schrieb der darüber tief enttäuschte Fontane an den Botschaftssekretär in Paris (der später enger Vertrauter von Kaiser Wilhelm II. werden sollte), Philipp zu Eulenburg: »Was das Staatsministerium gestern (Sonnabend) geleistet hat, ist mir denn doch zu wenig. Ich liebe die Juden, ... aber regiert will ich nicht von Juden sein.« Dass es einmal dazu kommen könnte, fürchtete Fontane in den weiteren 1880er Jahren, wenn er an den preußischen Thronfolger Friedrich Wilhelm dachte, der durch seine Frau von einem englischen »Liberalismus« geprägt war, wodurch den Juden noch mehr Rechte gegeben werden könnten. Als dieser neue Herrscher dann sehr bald nach seinem Regierungsantritt (1888) starb, notierte Fontane in sein Tagebuch: »Nach 99 Tagen starb Friedrich III., und alles atmete auf, als das Kranken- und Weiberregiment ein Ende nahm und der jugendliche Kaiser Wilhelm II. die Zügel in die Hand nahm. Es war hohe Zeit.« Und in einem Knittelvers dazu dichtete er: »Wilhelm II. nun Kaiser ist,/ Der uns unsre Juden frißt.« Der Reim, der das Aufatmen der bürgerlichen Mehrheit in Preußen, der Antisemiten, wiedergibt, wurde von Fontane nicht veröffentlicht, wie er auch sonst seinem Antisemitismus fast nur in seinen Tagebüchern und Briefen, in Diskussionsrunden oder in zufälligen Begegnungen freien Lauf ließ; zum Beispiel in den Orten, in denen er seine alljährlichen Kuren machte.

 

Mehrmals war er in dem mondänen Nordseebad Norderney, wo er auch jüdische Kurgäste traf. Über sie berichtet er in einem Brief 1882: »Fatal waren die Juden; ihre frechen, unschönen Gaunergesichter (denn in Gaunerei liegt ihre ganze Größe) drängen sich einem überall auf. Wer in Rawicz oder Meseritz ein Jahr lang ... Menschen betrogen oder wenn nicht betrogen, eklige Geschäfte besorgt hat, hat keinen Anspruch darauf, sich in Norderney unter Prinzessinnen und Comtessen mit herumzuzieren.« In einem anderen Brief fasst er seine Eindrücke von Norderney so zusammen: »Hier war es, mit Ausnahme der Juden, sehr schön« und, so erläutert er es einmal seinem Sohn Theodor, »unterhaltlicher als Langeoog.« Hier konnte er sich nämlich auch ganz ungezwungen mit jüdischen Kurgästen unterhalten und von ihnen dieses und jenes erfahren, was ihn allerdings nicht von seinen Vorurteilen gegenüber »den Juden« abbrachte. Über eine jüdisch-polnische Familie berichtete er: »Die jüdisch-polnischen Leute verfügten über einen reizenden Sprachenfond (auch wohl noch über andere Fonds).« Ein Jahr später lernte er in der schlesischen Sommerfrische den Amtsgerichtsrat Georg Friedlaender kennen, mit dem er dann jahrelang freundschaftlich verbunden blieb. Friedlaender stammte aus einer alten jüdischen Familie, war aber selbst zum Christentum übergetreten, also »assimiliert«. Trotzdem: Kurz vor seinem Tode, im Mai 1898, schreibt Fontane über seinen langjährigen, vielleicht besten Freund im Alter: »Er ist klug und gescheidt und mit einem ehrlich verdienten eisernen Kreuz. Und doch Stockjude, s o sehr, dass seine feine und liebenswürdige Frau blutige Tränen weint, bloß weil ihr Mann die jüdische Gesinnung nicht loswerden kann.« Gerade diese Aussage macht deutlich, was Michael Fleischer so zusammenfasst: »Man kann daran erkennen, dass Fontanes Urteile über Juden nicht aufgrund negativer Erfahrungen entstanden sind, sondern auf schon vorgeprägtem Vorurteil der gesamten Judenschaft gegenüber beruhen.«

 

Und dieses Gift des »vorgeprägten Vorurteils«, das von einem »gebildeten Bürgertum« mit ihren christlichen Predigern, Gelehrten und eben auch Dichtern durch die Jahrhunderte weitergegeben und mit Rassismus, Nationalismus, Verachtung von Minderheiten angereichert wurde, wirkte weiter, wie die Menschheit erfahren musste, im 20. Jahrhundert und danach bis in unsere Tage.

 

 

Die Fontane-Zitate im Text sind dem Buch von Michael Fleischer »Kommen Sie, Cohn. Fontane und die ›Judenfrage‹«, 1998, entnommen.