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Titel2519

Goya geht zur Kur  (Monika Köhler)

Ein alter Mann mit wirrem weißem Haar, über ein Buch mit zerfledderten Seiten gebeugt. Er sieht gebannt auf das, was er liest. »Der Philosoph«, um 1764 von Jean-Honoré Fragonard gemalt – nun in der Hamburger Kunsthalle in der Ausstellung »Goya, Fragonard, Tiepolo – Die Freiheit der Malerei« (bis 13. April 2020). Auch auf der Frontseite des Katalogs (Hirmer Verlag, 336 Seiten, 29 Euro) dieses Bild, ganz in Brauntönen gehalten, mit Lichteinfall von oben auf die Haarkringel, die ein Eigenleben zu führen scheinen, auf den Bart, die Hand über den Blättern – selbst sein Kragen sträubt sich. Ein Gemälde, das nicht den Klischees entspricht, die sich mit dem Namen Fragonard verbinden. Dem Maler von wild wogenden Wellen und Weibern mit nacktem Fleisch – und von pittoresken Gartenszenen mit neckischen Spielchen. »Die Geburt der Venus« (1755), eine Ölskizze Fragonards, leicht und locker die Malweise, viel weißes Fleisch im schäumenden Wasser, alles rauscht, fließt, wuselt um sie herum, die mit naivem Augenaufschlag und rosa Wangen schon Verführerin ist.

 

Älter als Fragonard (1732 geboren) war Giovanni Battista Tiepolo, der 1696 in Venedig zur Welt kam. Sein ältester Sohn Giovanni Domenico (1727 geboren) wurde auch Maler. Von beiden Künstlern Gemälde und Ölskizzen (oft als Vorstudien für Fresken), Federzeichnungen und Radierungen in Hamburg. Giovanni Battista liebte das Theatralische – »Die Enthauptung Johannes des Täufers« (1733), eine Ölskizze. Das Düstere, Schwarzgraue des Verlieses überzieht alle Farben, auch das gelbe Gewand der Salome, die auf den abgeschnittenen Kopf des Johannes weist. Der kniet auf einer Mauer. Alles in fahlen Grautönen, kein Tropfen Blut fließt. Das Gemälde »Christus in Gethsemane« (nach 1753), im Besitz der Kunsthalle, lebt ganz aus dem Hell-Dunkel-Kontrast. Christus, schlafend, in einem blauen Gewand. Ein Engel hält ihn und den Kelch. Unwirkliches Licht fällt auf sie. Auch die Jünger schlafen. Von rechts kommen die Schergen und Soldaten mit Fackeln.

 

Der Sohn, Giovanni Domenico Tiepolo, taucht sein Bild »Christus am Teich von Bethesda« in helles Tageslicht. Vor einer Säule kauern Blinde, Lahme, Verkrüppelte am Boden. Neben ihnen Christus, stehend, alles überstrahlend. Eine Hand weist nach rechts, dahin, wo der geheilte Gelähmte nun mit seinem Bettzeug auf dem Rücken nach Hause wankt. Ein Engel, der beim Wunder hilfreich zur Seite stand, er fliegt, einem dicken Kind gleich, direkt auf den Herrn zu, greift ihm an den Kopf oder Heiligenschein. Es scheint so, als sei der Engel von oben geworfen worden. Weil Christus am Sabbat die Arbeit des Heilens vollzog? Ein irritierendes Bild.

 

Pulcinella-Darstellungen von Vater Battista. »Pulcinellas Küche«, das große Ölbild: weiße Gestalten mit hohen Mützen. Was brauen sie da im Freien zusammen? Wohl nichts Gutes – die Federzeichnung »Pulcinella erleichtert sich« lässt es vermuten. Zwei Gefährten schauen zu. Das Bild des Sohnes »Der Triumph des Pulcinella«, beim Karneval in Venedig entstanden. Alle tragen Masken und Kostüme. Von Vater und Sohn Tiepolo sind Federzeichnungen und Radierungen unter dem Titel »Karikaturen« zusammengefasst.

 

Auch Goya schuf mit seinen Caprichos Karikaturen, die anders als die seiner Malerkollegen, nicht komisch-ironisch, sondern sozialkritisch sind. Francisco José de Goya y Lucientes (1746 geboren) ist der Jüngste der Künstler. Ausgestellt von ihm neun Ölbilder und viele der Caprichos- und der »Los Desastres de la Guerra«-Radierungen. Kritik am spanischen Bildungssystem übt er in dem dunklen, die muffige Atmosphäre ausdrückenden Ölbild »Ohne Fleiß kein Preis«(1785). Eine Schulklasse, der Lehrer züchtigt mit der Peitsche einen Schüler, der ihm sein bloßes Hinterteil darbietet. Vom Fenster fällt Licht darauf. Zwei Schüler haben die Prozedur schon hinter sich, stehen mit herabgezogener Hose und weinend in der Klasse. Korrespondierend dazu die Radierung »Wenn er den Krug zerbrochen hat«. Wenn? Der Vater schlägt den Sohn auf den Nacken mit seinem Schuh. Am Boden Scherben.

 

Das große Gemälde »Die Tabakzöllner« (1780) zeigt erst auf den zweiten Blick, wer hier die liebliche Landschaft bevölkert: keine staatstreuen Beamten, sondern Männer, die mit Schmugglern und Räubern gemeinsame Sache machen. Ihre Kleidung und die Waffen deuten es an. Dazu die Radierung »Burschen an die Arbeit«. Während Fragonards »Gesellschaft im Freien« (1759) sich gesittet benimmt und nur spielt, entpuppt sich Goyas »Die Landpartie« (1788) als ein wilder Haufen eleganter betrunkener Vertreter von Spaniens Jeunesse dorée. Leere Flaschen liegen herum, einer übergibt sich. Damen sind auch dabei. Die Kuratorin Sandra Pisot beim Rundgang durch die Ausstellung: »Fragonard war überhaupt nicht gesellschaftskritisch – er wollte seine Bilder verkaufen.« Goya hingegen durfte wegen der Inquisition nicht zu deutlich werden mit seiner Kritik. So geben manche Blätter der Caprichos Rätsel auf, wie Nr. 39: Ein Esel blättert in einem Buch. Titel: »Bis zu seinem Großvater« (1799). Was findet er? Nur Esel – der Stammbaum, der die adelige Herkunft beweisen sollte. Hier direkt bezogen auf einen Staatsminister. Ob die Vererbungsforscher der Nazis Goyas Blatt kannten?

 

Den Krieg in Spanien bilden die »Los Desastres de la Guerra« ab. Goya erlebte ihn in Saragossa. Das Blatt »Welcher Mut!« zeigt eine junge Frau an der Kanone, sie steht auf Ermordeten. 1822 war die Hoffnung auf eine liberale Verfassung zerfallen, die Revolte der Bürger blutig niedergeschlagen. Goya floh 1824 ins Exil nach Bordeaux, wo er schwer erkrankt starb. Im Katalog, im Lebenslauf Goyas ließ er sich dort nieder »für einen Kuraufenthalt«. Unter dem »Vorwand« einer Kur wäre korrekt. Leider noch ein Fehler im Katalog, an anderer Stelle: Goya starb 1828 – nicht 1825. Das letzte Blatt in der Ausstellung drückt die Enttäuschung nach dem Aufstand der Bürger aus. Eine Höhle, in der Verwesende liegen, hinten undeutlich eine Waage, vorn ein Toter mit einem Schild in der Hand, auf dem nur »Nada« steht. Aber das Blatt heißt: »Nichts, so sagt er«.