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Volksentscheid – ein Jahr danach  (Thomas Rudek)

Vor einem Jahr wurde der erste Volksentscheid in Berlin gewonnen: Über 660.000 Berlinerinnen und Berliner stimmten für ein Volksgesetz, das die Offenlegung aller Verträge, Beschlüsse und Nebenabreden vorsieht, die im Zusammenhang mit der Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe abgeschlossen worden sind. Was ist nun seit dem Volksentscheid geschehen, und was bleibt noch zu tun?

Vorweg ein paar Sätze zum Erfolgsrezept des Volksentscheids. Die Initiative »Berliner Wassertisch« setzte sich lediglich aus 30 Aktivisten zusammen und verfügte nur über einen Etat von gerade mal 30.000 Euro. Die tonangebenden Medien berichteten sehr zurückhaltend. Aber zu den Vielen, die zum Erfolg beigetragen haben, gehören Umweltorganisationen wie die Grüne Liga, Mieterorganisationen wie der Berliner Mieterverein, Kleingartenorganisationen, attac, die Verbraucherzentrale Berlin, Kirchen bis hin zu Erwerbslosenorganisationen. Sie erkannten die Bedeutung des Themas und warben dafür. Das brachte nicht nur etwas Geld, sondern vor allem Zeit- und Kontakt-Spenden, indem viele Berliner beim Sammeln mitmachten oder ihre persönlichen Netzwerke mobilisierten.

Allerdings stand fest, daß mit dem erfolgreichen Volksentscheid die eigentliche Arbeit erst noch bevorstand. Durch die Offenlegung der geheimen Wasserverträge bestätigte sich, daß die Ursache der hohen Wasserpreise in den Gewinngarantien liegt, die den Konzernen RWE und Veolia bei der Teilprivatisierung der Wasserbetriebe vertraglich zugesichert wurden. Diese Garantien führten dazu, daß die Wasserbetriebe beispielsweise im vorletzten Geschäftsjahr 270 Millionen Euro an RWE und Veolia sowie an das Land Berlin ausgeschüttet haben. In der Kalkulation der Wasserpreise beläuft sich der Anteil der sogenannten kalkulatorischen Kosten einschließlich der kalkulatorischen Zinsen auf sage und schreibe 44 Prozent. Das bedeutet grob gerechnet, daß sich der Gewinnanteil in der Wasserrechnung eines Vier-Personen-Haushalts auf 320 Euro beläuft. Nun fragt sich: Läßt sich dagegen etwas tun, sind die Verträge rechtlich angreifbar und wenn ja, wer ist klageberechtigt, und welches Gericht ist zuständig? Um diese Fragen beantworten zu können, waren wir dringend auf juristischen Sachverstand angewiesen. Es gelang der Volljuristin Sabine Finkenthei, die den Volksentscheid von Anfang an begleitet hat, etliche Juristen aus unterschiedlichen Rechtsgebieten zur Mitarbeit zu gewinnen. Bereits unmittelbar nach dem Volksentscheid, also im März vergangenen Jahres, gründete sich ein Arbeitskreis unabhängiger Juristen (AKJ), der unterdessen mehrere Schritte in die Wege geleitet hat.

Der Arbeitskreis ist der Ansicht, daß die Teilprivatisierungsverträge zum einen gegen das europäische Ausschreibungsrecht verstoßen und daß zum anderen die Gewinnausfallgarantien des Vertrages zugunsten der Konzerne RWE und Veolia eine öffentliche Subvention darstellen – und auch die ist nach europäischem Recht verboten. Daher hat der AKJ in enger Abstimmung mit Transparency International und der Verbraucherzentrale Berlin gegenüber der Kommission diese Rechtsverstöße zur Anzeige gebracht. Die Kommission hat daraufhin im Sommer letzten Jahres eine entsprechende Vorprüfung der Verträge eingeleitet, die mindestens ein Jahr dauern wird. Sollte die Kommission unsere Rechtsauffassung nicht teilen, besteht nach Aussage des Europarechtlers Jürgen Keßler die Möglichkeit, vor dem Europäischen Gerichtshof zu klagen.

Nach der europarechtlichen Prüfung der Verträge hat der AKJ auch verfassungs- und haushaltsrechtliche Aspekte einbezogen und dabei in einem Leitfaden herausgearbeitet, daß auch die Fraktionen des Abgeordnetenhauses mit einer sogenannten Organklage vor dem Berliner Verfassungsgericht gegen die Verträge vorgehen könnten. Inhaltlich entscheidend ist, daß die vertraglich zugesicherten Gewinnausfallgarantien als eine Sicherheit zu bewerten sind, die nach unserer Verfassung einer gesetzlichen Grundlage bedurft hätte; eine solche besteht jedoch nicht. Es bleibt abzuwarten, ob die Piraten die in sie gesetzten Hoffnungen erfüllen und eine Organklage erheben.

Bei der Umsetzung des Volksentscheids geht es um Milliarden-Beträge. Da verwundert es nicht, daß Stör- und Ablenkungsmanöver auch in die Initiative »Berliner Wassertisch« hineingetragen wurden und zu einem neuen »Sprecherteam« geführt haben. Auch hier wird um Informationen und ihren freien Zugang gekämpft, und es ist ein Armutszeugnis, daß der Wassertisch unter seiner neuen Führung der Bevölkerung den juristischen Leitfaden zur Vertragsanfechtung genauso vorenthält wie das Schreiben an die EU-Kommission. Daher ist das neue Internetportal www.wasserbuerger.de entstanden. Dort können sich alle Unterstützerinnen des Volksentscheids informieren und die erwähnten Unterlagen lesen und weiterleiten.

Im Berliner Abgeordnetenhaus wurde vor kurzem ein Sonderausschuß eingesetzt, der nach dem Gesetzestext des Volksentscheids die Aufgabe hat, die Verträge einer eingehenden öffentlichen Überprüfung zu unterziehen. Ich bin skeptisch – schon deswegen, weil sich das Parlament damit so viel Zeit gelassen hat.

Vor Weihnachten kam die Nachricht, das Bundeskartellamt wolle die Berliner Wasserbetriebe über eine Abmahnung dazu bewegen, die Wasserpreise zu senken. Dazu muß man aber wissen, daß das Bundeskartellamt nur die Trinkwasserpreise prüft, nicht aber die Abwasserpreise; doch gerade letztere sind in Berlin besonders hoch. Mit einer minimalen Senkung der Trinkwasserpreise wäre wenig gewonnen. Eigentliches Ziel muß eine Wasser-Versorgung und -Entsorgung sein, frei von Kommerz, frei von Profitinteressen.

Thomas Rudek ist der Verfasser des Volksgesetzes. Kontakt: ThRudek@gmx.de, für Hintergrundinformationen: www.wasserbuerger.de; Kontakt zum Arbeitskreis unabhängiger Juristen, Sabine Finkenthei, E-Mail: S.Finkenthei@gmx.de