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Titel416

Schlappe für die Schlapphüte  (Renate Hennecke)

Als Beleg des angeblich »linksextremistisch beeinflussten« Charakters der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) führte der bayerische Verfassungsschutz in seinem Jahresbericht 2013 unter anderem an, eine Funktionärin der VVN-BdA Regensburg habe am 30. November 2013 einen Stand der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD) geleitet. Gegen diese falsche Tatsachenbehauptung klagten die Kreisvereinigung Regensburg der VVN-BdA und die Kreisvorsitzende Luise Gutmann, die nur gemeint sein konnte. Vor dem Verwaltungsgericht München endete das Verfahren am 14. Januar 2016 nach mündlicher Verhandlung mit der Einstellung, nachdem der Prozessvertreter der bayerischen Staatsregierung, Regierungsrat Konrad, die Löschung der fraglichen Passage zugesagt und die Kosten des Verfahrens übernommen hatte.


Zu Beginn der Verhandlung erläuterte die Klägerin, worum es ihr ging. Die falsche Behauptung über sie sei geeignet, ihre Glaubwürdigkeit herabzusetzen und ihren Ruf als Kreisvorsitzende der VVN-BdA zu schädigen. Dies betreffe beispielsweise ihren Einsatz für einen offiziellen Gedenktag für die Opfer des Faschismus in der Stadt Regensburg. Im letzten Jahr sei dieser erstmals von der Stadt, den Kirchen, der Jüdischen Gemeinde, der VVN-BdA und zahlreichen anderen Organisationen unter der Schirmherrschaft des Oberbürgermeisters gemeinsam durchgeführt worden. Dieses Ziel, auf das sie lange hingearbeitet habe, werde durch Behauptungen wie die im Verfassungsschutzbericht 2013 in Frage gestellt. Auch der Ruf der VVN-BdA als seriöse Informationsquelle zur Geschichte des deutschen Faschismus und des Widerstands werde angegriffen. Sie sei deshalb nicht bereit, die falsche Tatsachenbehauptung auf sich beruhen zu lassen.


Der Verlauf der Verhandlung ergab: Am 30. November 2013 führte die MLPD in der Regensburger Innenstadt einen Infostand durch. Hierüber wurde von der Kriminalpolizeiinspektion Regensburg ein sogenannter IVS-Bericht (»Informationsstand in Sachen Verfassungsschutz«) angefertigt. Darin wurde behauptet, gegenüber Beamten der Polizeiinspektion Regensburg Süd habe sich Luise Gutmann als Leiterin des Standes benannt. Diese Information wurde laut Verteiler an das bayerische LKA, die Landeszentrale für politische Bildung und das Landesamt für Verfassungsschutz sowie nachrichtlich an mehrere Polizeidienststellen gesandt. Wie die Zeugenvernehmung im Gegensatz dazu ergab, hatte sich jedoch bei der Kontrolle des Sondernutzungsbescheids für den Stand eine dem kontrollierenden Polizeibeamten unbekannte Frau als Leiterin gemeldet, ohne ihren Namen zu nennen und ohne dass ihre Personalien aufgenommen wurden. Der Name Luise Gutmann gelangte erst nachträglich in den Bericht: Mehrere Tage nach dem Infostand hatte der kontrollierende Beamte bei telefonischer Rückfrage mitgeteilt, der Stand sei von einer »50 bis 60 Jahre alten Frau mit kürzeren grauen Haaren« geleitet worden. Bei Vorlage eines Fotos von Luise Gutmann hatte er gemeint, dass das »wohl« die fragliche Person gewesen sei.


In Ermangelung tatsächlicher Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Aktivitäten der VVN-BdA verwendete der bayerische Verfassungsschutz die falsche Behauptung umgehend in seinem nächsten Jahresbericht. Er ließ sich darin auch nicht durch einen Brief des Anwalts der Klägerin mit einer Gegendarstellung und der Aufforderung beirren, die fragliche Passage zu löschen oder zu schwärzen. Wäre er um eine wahrheitsgemäße Einschätzung antifaschistischer Organisationen bemüht, hätten ihm zumindest nach dieser Gegendarstellung Zweifel an der Richtigkeit der Behauptung im Verfassungsschutzbericht kommen müssen. Der Prozessvertreter der bayerischen Staatsregierung beharrte jedoch selbst angesichts all der gegenteiligen Zeugenaussagen weiterhin darauf, die Behauptung sei zutreffend. Das Gericht konnte er davon nicht überzeugen. Es legte ihm nachdrücklich nahe, die Behauptung zurückzunehmen, wenn er ein entsprechendes Urteil vermeiden wolle. Erst nach einer Unterbrechung der Verhandlung war er dazu bereit.


Das Verfahren wurde eingestellt, die Kosten übernahm der Freistaat Bayern. Die Klägerin erklärte sich mit dem Ergebnis einverstanden.


Die vier fraglichen Zeilen über die VVN-BdA sind mittlerweile geschwärzt. Wie glaubwürdig die bayerischen Verfassungsschutzberichte sind, hat sich in drastischer Weise gezeigt. Der Landesverband Bayern der VVN-BdA klagt insgesamt gegen die Diffamierung der ältesten und größten antifaschistischen Organisation der BRD als »linksextremistisch beeinflusst« (s. Ossietzky 20/2015). Im Oktober 2014 hat dieselbe Kammer des Verwaltungsgerichts München die Klage abgewiesen. Die Zulassung der Berufung wurde beantragt.