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Titel516

Soldaten sind – Opfer?  (Monika Köhler)

Den »Wehrdienst« hätten alle männlichen Mitglieder der Gruppe »Axensprung« verweigert, behauptet Erik Schäffler, der Regisseur, noch vor Beginn des Stücks. Doch sei dem »Kosovo-Einsatz« – dem Krieg gegen Jugoslawien – hätten sie ein »Fragezeichen im Kopf«. Syrien ist der 17. »Einsatz« der Bundeswehr. Mit den »Folgen« beschäftige sich das Stück »Kampfeinsatz«. Folgen für wen? Gleich ist Schäffler bei den Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) – also bei den Soldaten. Dank an Ärzte des Bundeswehrkrankenhauses für ihre Hilfe. An die Zuschauer: »Ich wünsche Ihnen neunzig intensive Minuten Kampfeinsatz.«

Wir sitzen im Saal der Körber-Stiftung am Kehrwieder. Sie ist neben der Kulturbehörde Hamburg und der Landeszentrale für politische Bildung Förderer dieses Projektes. Der Untertitel des Stücks spricht das Publikum direkt an: »Stell dir vor, es ist Krieg, und du gehst hin« – da hätte ich gleich zu Hause bleiben sollen. Auf der Bühne vier Stühle. Hinten auf der Video-Wand ein grünes Leuchten. So wie wir es kennen vom Irak-Krieg – abstrakte Kampf-Illumination. Aussagen über Krieg allgemein. Dann ein Schauspieler (Oliver Hermann), konkret: »Wenn ich einen Einsatzbefehl kriege, würde ich sofort wieder hingehen.« Er gesteht, dass ihm Afghanistan fehle – so ein schönes Land. »Wir waren doch da, um zu helfen.« Ein paar Ereignisse jedoch hätten ihn aus der Bahn geworfen. Näheres nicht. Dann – gute Erinnerung: »Da standen schon die Kinder, mit denen haben wir die Bonbons geteilt.« Und: »Bei uns war immer was los.« Im Video eine Landschaft, vielleicht Afghanistans Berge.


Ein wichtiger Satz: »Mein Hund hat mich gerettet.« Da ist er schon zu Hause angekommen. Seine Frau (Mignon Remé) verzweifelt über seine Albträume, die bald danach anfingen. Schweißgebadet in der Nacht – wacht nicht mal auf. Zum Psychiater oder Therapeuten will er nicht: »Wollt ihr mich zum Weichei machen?« Der Hund schläft bei ihm im Bett, beißt ihn sogar in die Hand. »Ich bin doch sein Chef, Oberstleutnant André Torgau«, schreit er. Er versteht seinen Hund nicht mehr. Dann die Bestätigung (vom Psychiater?), dass er »voll krank« sei. Flimmerlicht. Erklärungen, wie eine PTBS funktioniert: »Aufzeichnungen im Erlebnisgedächtnis«. Auch Farben, orange beispielsweise, können Auslöser sein für ein Ausrasten. Warten auf einen Termin beim Arzt – acht Monate lang. Seine Frau zeigt ihm eine Stelle an ihrem Hals: »Du hast mich letzte Nacht im Schlaf gewürgt.« Er ist woanders. Im Video: ein Soldat am MG. Oberstleutnant Torgau will, dass seine PTBS endlich anerkannt wird. Ein Arzt sagt: »Sie sind eine tickende Zeitbombe.« Aber auch: »Jeder von uns hat sein Kreuz zu tragen.« Der deutsche Soldat – alleingelassen mit seiner wunden Seele.


Frau Torgau kommt mit großer Tasche vom Einkaufen, versucht ihn zu umarmen. »Wir müssen doch zusammenhalten, schon wegen der Kinder.« Ach, die Nachbarstochter habe zu seinem Sohn gesagt: »Dein Vati ist ein Mörder.« Er fühlt sich immer beobachtet, von überall her. Er, ein Opfer – das nicht anerkannt werde. Der Fernseher wird angestellt – wir sehen nur Linien. Er sieht mehr. »Sie machen Kundus platt – alles, was wir aufgebaut haben.« Dann, eine Einsicht? »… am Hindukusch verteidigt – so ein Quatsch.«


Auf dem Video fahren Panzer im Feld. Oberstleutnant Torgau spricht von einem »Trupp Kanaken«, der ihm entgegenkam. Er weiß, dass man das nicht sagen soll, aber: »Wenn so ein Typ mich an die Afghanen erinnert …« Sein riesiger Hund als Begleiter: »Jetzt hauen die ab.« Der Psychiater: »Sie sind sich bewusst, dass ihr Rassismus nicht mehr latent zu nennen ist.« Seine Frau sagt: »Heul dich beim Psychiater aus, das zahlt die Bundeswehr.« Torgau fühlt sich unverstanden. Er hätte gern den Frauen dort zu mehr Rechten verholfen – mit »Einsätzen«? Die »meinen Mann kaputtgemacht haben«, so seine Frau. Auf dem Video: Kinder mit Gewehren, die keine sind. Sie spielen Krieg.


Perspektivwechsel: Ein verzweifelter Vater klagt, dass er seinen Sohn Niklas verloren habe. »Er wollte immer allen helfen.« Nun sei er über die Grenze nach Syrien, zum IS. Dann eine Mutter, deren Tochter Kathrin »die erste weibliche Scharfschützin« war – wie sie bewundernd verrät. Später hatte sie sich als Ausbilderin beworben. Nun schreibt sie, dass sie »für Freiheit und Demokratie« in Syrien kämpfe, zusammen mit den Peschmerga. Warum ging sie weg? Etwa, weil »hier in der Gegend« – sie meint die Heimat – »nicht viel los« sei. Also Abenteuerlust? Die Tochter habe den Auftrag: zu sichern.


Woher haben die Mitglieder der Gruppe »Axensprung« – die doch alle »Wehrdienstverweigerer« sind, wie es hieß – ihre Kenntnisse vom Krieg? Der Programmzettel zählt »Literatur zum Thema« auf. Alle Titel weisen auf Selbsterfahrungsliteratur oder Selbsterdichtetes hin, die Verlage oft aufs Militär. Diese Texte, miteinander verknüpft und gemischt, verwirren das Publikum.


Kriegsdienstgegner, die müssen noch erwähnt werden. »Frieden schaffen ohne Waffen« – das war doch eine Ausrede, sagt der Soldat. Ebenso wie: »Nur Idioten gehen zum Bund.« Das hat nicht mehr zu gelten. Wieder in Afghanistan. Ein Junge sagt: »Da brennt meine Schule.« Oberstleutnant Torgau spricht von der Armut dort: »Die hältst du kaum aus.« Und er lobt die Gastfreundschaft – sie schlachten ihr letztes Vieh. Doch wer hat die Schule angezündet? Die Rede ist von drei Russen – ich verstehe nichts.


Eine Fernsehtalkshow auf der Bühne, von einer Frau moderiert – als Alibi, um ein Gegengewicht zu schaffen zur Kriegsbegeisterung der Männer? Ein Historiker, regierungstreu, seine Partei, eine »Friedenspartei«. Er will »alles im Keim ersticken, wenn es nicht anders geht: militärisch.« Denn: »Wir haben aber auch gesagt: Nie wieder Auschwitz« – und Bomben auf Belgrad geworfen. Der Soldat hat aus dem Jugoslawienkrieg seine PTBS mitgebracht, er will nur Anerkennung. Ein Dritter, der sich »Hecker« (nach dem Freiheitskämpfer von 1848) nennt, trägt eine Maske. Ein »Aktivist«? Für ihn ist »der Verteidigungsfall eingetreten«. Der Soldat: »Typen wie du stecken alles in Brand.« Der Vermummte: »Der Söldner bist du.« Richtig, niemand zwang ihn, am Hindukusch oder im Kosovo zu kämpfen.


Flimmerlicht. Auf dem Video: ein Auge. Ganz schnelle Augenbewegungen, irritierend. Die Behandlung des Soldaten Torgau. Der Psychiater: »Sie haben es geschafft, ihre PTBS wurde anerkannt.« Torgau weiß, nur noch »blanken Hass« hat er auf »jeden Afghanen« nach einem Anschlag auf einen Bundeswehrbus. Er lebt nur, weil er ihn verpasste. Jetzt bleibt das Auge auf dem Video ganz ruhig. Die afghanischen Opfer? Ein kleiner Junge, Nuri, der als Maskottchen der Truppe diente. Er wird mit Bonbons gefüttert, bekommt abgelegte »Markenklamotten«. Und lernt, deutsche Schimpfwörter unbeholfen auszusprechen. Er wird verletzt – nicht Schuld der deutschen Soldaten – und bleibt zurück, humpelnd. Torgau stellt tatsächlich die Frage: »Hat es sich für Nuri gelohnt?«


Gelohnt hat es sich zum Schluss für den Oberstleutnant Torgau. Er bekommt seine Therapie und darf bei der Bundeswehr bleiben – als »Lotse« für kriegsversehrte Soldaten durch die Institutionen. Auch seine Kollegin Daniela kümmert sich nun um »Männer und Frauen, die überall in der Welt ihr Leben riskieren«. Happy End.