erstellt mit easyCMS
Titel518

Kafka und der BND  (Lothar Zieske)

»Ich habe den Bau eingerichtet, und er scheint wohlgelungen. Von außen ist eigentlich nur ein großes Loch sichtbar, dieses führt aber in Wirklichkeit nirgends hin, schon nach paar Schritten stößt man auf natürliches festes Gestein, ich will mich nicht dessen rühmen, diese List mit Absicht ausgeführt zu haben, es war vielmehr der Rest eines der vielen vergeblichen Bauversuche, aber schließlich schien es mir vorteilhaft, dieses eine Loch unverschüttet zu lassen.« So beginnt ein nachgelassener Text Franz Kafkas, dessen Überschrift »Der Bau« sein Freund Max Brod nachträglich hinzugefügt hat.

 

Die Pläne des erzählenden Lebewesens – offensichtlich eines unter der Erde lebenden Tieres – scheinen aufgegangen zu sein, auch wenn das Gelingen des Bauwerks letztlich Ergebnis eines Zufalls zu sein scheint.

 

Im Laufe der Schilderung der Bautätigkeit des Tieres erweist es sich aber, dass sein Gefühl der Sicherheit, je mehr Vorkehrungen es zu dem Zweck trifft, sie zu steigern, eher abnimmt; jedenfalls kommt das Tier kaum zur Ruhe und kann daher nur selten behaglich seine Vorräte genießen. Immer neue Zweifel tauchen bei ihm auf; jeder Schritt, der zu erhöhter Sicherheit zu führen scheint, bringt die Befürchtung mit sich, dass zugleich neue Schwachstellen im System entstanden sein könnten.

 

Am vorläufigen Ende des 43 Druckseiten umfassenden Textes macht sich das Tier Gedanken über die mögliche Bedrohung durch ein anderes Tier, das sich in seinem Bau aufhalten könnte: »So lange ich nichts von ihm wusste, kann es mich überhaupt nicht gehört haben, denn da verhielt ich mich still, es gibt nichts Stilleres als das Wiedersehen mit dem Bau, dann, als ich die Versuchsgrabungen machte, hätte es mich wohl hören können […]; wenn es mich aber gehört hätte, hätte doch auch ich etwas bemerken müssen, es hätte doch wenigstens in der Arbeit öfters innehalten müssen und horchen, aber alles blieb unverändert, das«

 

Hier bricht das Fragment ohne jegliches Satzzeichen ab, und man fragt sich, ob dieser Abbruch mechanische Ursachen hatte – also: ob dem Autor danach nichts mehr einfiel oder er die Lust an seinem Thema verloren hatte – oder ob er eine symbolische Intention verfolgte.

 

Die zweite Alternative ist verlockend; da wäre er dann wieder: der Kafka, der Entwicklungen vorausahnte, die später von Bedeutung waren, und dessen Fähigkeit im Rückblick eine größere symbolische Kraft hatte als beispielsweise eine satirische Beschreibung der neuen BND-Zentrale in Berlin hätte. Eine solche Beschreibung kann sich nur auf die monströse räumliche Ausdehnung und die damit zusammenhängende Gefahr beziehen, sich zu verirren. (Abgesehen davon, dass andere Überwachungsbehörden nicht durch ihre monströse Ausdehnung auf sich aufmerksam machen.)

 

Kafka schafft es in seiner Beschreibung der immer neuen gedanklichen Anstrengung des Tiers, den Sicherheitswahn (nicht nur dieses Tieres) zu entlarven: Die ungewollten Nebenwirkungen der Bemühungen, die Sicherheit zu erhöhen, schaffen neue Sicherheitsrisiken.

 

Nur geht es beim BND und den anderen Überwachungsbehörden nicht um ein bedauernswertes verunsichertes Tier, das seine Ruhe haben möchte, sondern um eine Institution, die sich durch die Erzeugung eines zusätzlichen Sicherheitsbedürfnisses unentbehrlich zu machen und damit das Bedürfnis der Öffentlichkeit nach »Sicherheit und Ordnung« zu steigern versucht. Wir wiederum sollten uns fragen, ob wir die Rolle des Tieres aus Kafkas »Der Bau« annehmen wollen.