erstellt mit easyCMS
Titel0611

Garibaldi und die Unterschiede  (Gerhard Feldbauer)

Am 17. März 1861 proklamierte das italienische Parlament den nationalen Einheitsstaat als Monarchie. Noch war jedoch Italien nicht vollständig befreit. In Venetien dauerte die Fremdherrschaft der Habsburger an, und der Papst, einst größter Feudalherrscher des Landes, hatte noch Rom okkupiert. Venetien kam im Ergebnis des Sieges Preußens gegen Österreich 1866 an Italien, das sich auf die Seite Bismarcks geschlagen hatte. Nach der Niederlage im Deutsch-Französischen Krieg 1870 bei Sedan zog Paris seine päpstlichen Schutztruppen aus Rom ab. Als der Papst Verhandlungen über die »Römische Frage« ablehnte, rückten italienische Truppen in die Stadt ein. Am 9. Oktober 1870 wurde Rom in das Königreich eingegliedert, die weltliche Herrschaft des Papstes beseitigt und die Nationale Einheit vollendet. Zu dieser Zeit wurde auch in Deutschland der Nationalstaat hergestellt.

Der jetzige Jahrestag in Italien ist für bestimmte Politiker und Medien wieder einmal Anlaß, Gemeinsamkeiten zwischen Deutschland und Italien herauszustellen. Den Anfang machte auf italienischer Seite Staatspräsident Giorgio Napolitano. In einem Interview für die Welt am Sonntag fühlte sich der Ex-Kommunist, dann Ex-Linksdemokrat, heute liberaler Zentrumsmann bemüßigt, Gemeinsamkeiten des Fortschritts herauszustellen. Es sind Geschichtsklitterungen.

Gemeinsam waren der zeitliche Ablauf und die Herstellung des für die kapitalistischen Produktionsverhältnisse schon lange erforderlichen Einheitsstaates. In Deutschland war er das Werk Bismarcks, des Vertreters der Junkerkaste, und wurde nach dem Feldzug gegen Frankreich, der als Eroberungskrieg endete, im besetzten Feindesland proklamiert. In Italien wurde dagegen der Einheitsstaat von einer nationalen Bewegung errungen, hatte lange Zeit revolutionär-demokratischen Charakter und überwand in Befreiungskriegen die Fremdherrschaft. Während sich die deutsche Bourgeoisie der preußischen Hegemonie unterordnete und die politische Macht mit den Junkern teilte, war in Italien die Bourgeoisie des Nordens die politisch führende Kraft. Ihr Führer, Ministerpräsident Graf Benso di Cavour, und nicht der Hof von Piemont, führte den »Kompromiß von oben« herbei, der ihr Arrangement mit den Latifundistas des Südens (denen ihr Besitz garantiert wurde) einschloß. Die Großbourgeoisie handelte jedoch unter dem Druck des radikalen Flügels der kleinbürgerlichen Demokraten, der noch bis Anfang der 1860er Jahre die Bewegung vor allem durch den Einfluß Giuseppe Garibaldis dominierte. Im Mai 1860 war der Revolutionsgeneral mit seinen Rothemden den aufständischen Bauern auf Sizilien zu Hilfe geeilt, hatte ganz Süditalien von der Bourbonenherrschaft befreit und war auf Rom marschiert.

Zwar entstand auch in Italien statt der Republik eine Monarchie, doch nicht so halbabsolutistisch und militaristisch wie in Deutschland. Die Spuren, die das Handeln der revolutionären Demokraten in Italien hinterließ, wirkten sich bis ins 20. Jahrhundert aus und beeinflußten den Kampf gegen Mussolini, dessen Sturz die Kräfte des Volkes bewirkten.

Nach der Ausrufung der Republik in Paris kämpfte Garibaldi an ihrer Seite. Er befehligte ein internationales Korps an der Cote d´Or. Als einziger Befehlshaber auf der französischen Seite errang er einen Sieg, als er bei Dijon die Preußen zurückschlug. Es war der Abschluß der militärischen Karriere dieses talentierten Heerführers aus dem Volk, dem auch die Pariser Kommune das Kommando über ihre Truppen anbot. Garibaldi lehnte zwar ab, bekundete ihr aber offen seine Sympathie. Sein Heldenmut in unzähligen Schlachten machte ihn weltweit berühmt; weit weniger ist bekannt, daß er die von Karl Marx 1864 verfaßte Inauguraladresse als »Sonne der Zukunft« begrüßte, 1867 in Genf im Präsidium des internationalen Friedenskongreß saß und auch die Bemühungen der I. Internationale um Abrüstung unterstützte.

Als er am 2. Juni 1882 starb, bereiteten ihm Königshaus und Regierung ein Staatsbegräbnis mit politischen und militärischen Ehren. Die herrschenden Kreise hatten einen geschickten Schachzug getan und den unumstrittenen Volks- und Nationalhelden für sich vereinnahmt. Die Ehrung verdeutlichte aber auch nochmals gravierende Unterschiede zur nationalen Einigung in Deutschland. Während Italiens Preußen einem Garibaldi Respekt bezeugten, rechneten die deutschen mit ihren Revolutionären blutig ab. Der preußische General von der Groeben ließ nach der Kapitulation der Festung Rastatt, der letzten Bastion der deutschen Revolution, im Juli 1849 den Festungskommandanten, Oberst Gustav Tiedemann, und 27 seiner Offiziere sofort standrechtlich erschießen. Hunderte starben in den Kasematten der Festung, Unzählige wurden heimlich ermordet. Tausende fielen im ganzen Land dem Terror der Konterrevolution zum Opfer. Zehntausende wurden gerichtlich verfolgt, insgesamt 700.000 Teilnehmer der Revolution in die Emigration getrieben.