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Titel062013

Wo bleibt das Positive?  (Christophe Zerpka)

Wenn Politiker massiv an Glaubwürdigkeit verlieren und Parteien kaum noch unterscheidbar sind, schlägt die Stunde der Kabarettisten. Zumindest in Deutschland. Und da Kabarett selbst bei einem Exportweltmeister nicht zum Export taugt, erfreut sich die Binnenkonjunktur in diesem Produktionszweig eines erfreulichen Zuwachses. Der Nachfrage nach hochkarätigen politischen Kabarettisten steht auf der Angebotsseite ein breites, qualitativ hochwertiges Spektrum gegenüber. Von einer Sättigung des Marktes kann man noch lange nicht sprechen, da die Auftritte fast aller politischen Spaßmacher bereits Monate im voraus ausgebucht sind. Neben Altmeister Dieter Hildebrandt (»Politik ist der Spielraum, den die Wirtschaft ihr läßt«), der – immerhin 85 – gerade seinen Internet-Störsender in Gang setzt, gibt es in dieser Republik eine wachsende Zahl von Kabarettisten, die übrigens fast allesamt südlich des Weißwurstäquators beheimatet sind.

An erster Stelle sei hier Georg Schramm genannt. Der ehemalige Berufssoldat und Psychologe trifft offensichtlich mit seinen drei Protagonisten Lothar Dombrowski, Oberst Sanftleben und dem Drucker August den Gemütszustand vieler Deutscher. Der Rentner Dombrowski steigert sich in seinem Unmut über die herrschenden Zustände in eine Wut der Verzweiflung, die für viele selbst in ihrer Übersteigerung nachvollziehbar ist. »Politik machen Interessenverbände, die die Fäden ziehen, an denen politische Hampelmänner hängen, die uns dann auf der Berliner Puppenkiste Demokratie vorspielen dürfen.« Der Oberst gibt sich im nüchternen Zustand als pragmatischer Militärstratege, unter Alkoholeinfluß wird er zum reaktionären Zyniker. In dem genialen Interview »Das Weichziel ist der Mensch« mit Alexander Kluge auf dessen Portal dctp.tv gibt Schramm als abgeklärter Berufssoldat den Militärstrategen, der sich nur durch unfähige Politiker behindert fühlt. »Die Bevölkerung steht unseren Einsätzen auch deswegen distanziert gegenüber, weil die Reproduktionsquote der Bevölkerung zu niedrig ist.« August, der frustrierte Sozialdemokrat mit hessischem Akzent, steht für den Niedergang der SPD als linke Partei, in der er als altgedientes Mitglied zwischen Resignation und Verzweiflung schwebt und immer noch auf bessere Zeiten hofft.

Volker Pispers verkörpert die schnelle freche Zunge des Rhein-Ruhr-Gebietes. Sein politisches Kabarett lebt von Wortspielen und entlarvenden Hintergrundinformationen, er zieht zum Beispiel Vergleiche über die Nützlichkeit von Krankenschwestern und Aktienanalysten. Ein typischer Satz von Pispers: »Sie können an unseren Eliten sehr schön beobachten, daß sie ihren materiellen Reichtum nicht zuletzt mit geistiger Armut bezahlen.« Gern prüft er auch die Begriffshülsen der herrschenden Politikerkaste auf ihre Inhalte: »Wir haben kein Jobwunder. Das Wunder ist, daß die Menschen, die von denen verarscht werden, sich ruhig verhalten.«

Wundern tut sich auch Urban Priol über die Lethargie und Naivität von Otto Normalwähler, der zwar auf die Regierung schimpft, aber Angela Merkel als Lichtgestalt sieht. Er hat sich seit langem auf die Kanzlerin, jene »Lobbymarionette aus der Uckermark«, eingeschossen und imitiert sie in Wort und Gestik. Frank-Markus Barwasser alias Erwin Pelzig ist Urbans Partner in der erfolgreichen ZDF-Sendung »Neues aus der Anstalt«. Er spart nicht mit Kraftausdrücken, nutzt aber auch seine kabarettistische Immunität, um seinem Publikum seriöse Hintergrundinformationen zu vermitteln. Beeindruckend war sein auf einer Schautafel skizziertes Diagramm, mit dem er die Verflechtung des Bankhauses Goldman Sachs mit Entscheidern aus Wirtschaft und Politik darstellte. Auch Pelzig verschont das eigene Publikum nicht: »Es ist die Mitte der Gesellschaft, die sich Günther Jauch zum Bundeskanzler wünscht und alle Politiker an den Galgen.«

Wie sehen sich Kabarettisten selber? Zunächst hatten sie alle eine entbehrungsreiche Ochsentour hinter sich, bevor sie – fast immer durch das Fernsehen – einem breiteren Publikum bekannt wurden und von ihrer Kunst leben konnten. Vor allem Volker Pispers bemüht sich deshalb um die Förderung des kabarettistischen Nachwuchses. Schramm sagt über seinen Dombrowski: »Ich möchte die Zuschauer an seiner Verzweiflung teilhaben lassen.« Der Zuschauer hat oft eine Erwartungshaltung, die der Kabarettist nicht erfüllen kann. Ein verzweifelter Leser: »Wenn ich Leute wie Pispers höre, frage ich mich auch immer, ob es nicht für uns alle besser wäre, wenn solche Leute sich aktiv in die Politik einmischen würden, um den ganz offensichtlichen Murks, der da zu oft gemacht wird, als solchen zu demaskieren.«

Georg Schramm reagiert auf solche Hilferufe nüchtern-sarkastisch: »Wenn Kabarett jetzt schon als Politikersatz gesehen wird, zeigt das eigentlich, wie erbärmlich die Politik geworden ist.« In der politischen Landschaft hatte das politische Kabarett stets neben der unterhaltenden auch eine stabilisierende Funktion. Das System kann durch die Tolerierung des politischen Spaßmachers seinen demokratischen Anspruch unter Beweis stellen und den Unmut der Bevölkerung mit den Mitteln des Humors abbauen. Allerdings gab es in der Vergangenheit Situationen, in denen das Kabarett an Grenzen stieß. In den 1960er Jahren hat der Sender Freies Berlin den Kabarettisten Neuss durch eine »Panne« abgeschaltet, später wurde die Münchner Lach- und Schießgesellschaft bei dem Thema Rhein-Main-Donau-Kanal vom Bayerischen Fernsehen behindert. Barwasser/ Pelzig findet, es sei eine Herausforderung für das politische Kabarett, die Grenzen neu zu entdecken und sich nicht nur mit lustigen Sprüchen »und ein bißchen Merkel und Namedropping« zu begnügen. Politisches Kabarett kann Politiker lächerlich machen, aber eine gesellschaftliche Veränderung kann es sicherlich nicht bewirken. Noch einmal Georg Schramm: »Der Unmut, den die Leute mit sich rumtragen, wird artikuliert, sie hören, andere regt das auch auf, wir haben mal wieder darüber geredet. Es geht doch keine echte Gefahr von uns aus.«

Wie gefährlich ist politisches Kabarett heute für den etablierten Politikbetrieb? In Italien kam der Politclown Beppe Grillo bei den Parlamentswahlen mit seiner 5-Sterne-Bewegung auf 25,5 Prozent, bei den Senatswahlen auf knapp 24 Prozent. Das sagt viel über den Zustand des politischen Systems aus. Sein historischer Vorgänger heißt Coluche. Der französische Komiker hatte 1981 für das Amt des französischen Staatspräsidenten kandidiert und lag in den Umfragen bei 16 Prozent. Die politische Klasse hatte die Gefahr bald erkannt und setzte den unbequemen Kandidaten mit Radio- und Fernsehverbot unter Druck, der Inlandsgeheimdienst wurde auf ihn angesetzt. Zwei Monate vor der Wahl mußte Coluche aufgeben, gewählt wurde schließlich der Sozialist François Mitterrand. Nach dem Rücktritt von Christian Wulff schlugen Mitglieder der Linkspartei und der Piraten Georg Schramm als Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten vor. Im Internet lief über Wochen eine heftige Kampagne für diesen alternativlosen Kandidaten, bis Schramm schließlich ablehnte: »Ich tauge als Projektionsfläche der Leute für die Sehnsucht nach glaubwürdiger Politik, aber nicht wirklich als Bundespräsident«.

Halten wir uns an das Positive. Wir haben in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern eine lebendige Kabarettszene, die keine Nachwuchssorgen hat. Erwähnt werden sollten hier noch Wilfried Schmickler, Max Uthoff und Ottfried Fischer, die neben vielen anderen die Fahne des politischen Humors hochhalten.