erstellt mit easyCMS
Titel617

Rüsselerlebnis  (Katharina Schulze)

Was ist der Unterschied zwischen einem Bundesligatrainer und einem Elefanten? Der Elefant kann nicht fliegen.

 

Denkste. Babar, der König der Elefanten, kann auch das. Die Besucher des jüngsten Familienkonzerts konnten im Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie miterleben, wie Babar gemeinsam mit seiner Braut Celeste nicht nur in den siebten Himmel der Liebe, sondern in einem dottergelben Heißluftballon in die Welt hinaus fliegt. Wetterturbulenzen stoppen den Höhenflug. Es gibt Notlandungen auf einsamer Insel und Felsenriff, Weiterreise per Walfisch und Dampfer, Arbeit in einem Zirkus, Erholungsurlaub bei einer alten Bekannten beziehungsweise einer bekannten Alten und schließlich die Rückkehr mit der Oma ins Elefantenreich. Das war inzwischen von den Nashörnern verwüstet worden und neuer Krieg drohte. Mich hat das irritiert. In Zeiten, da an allen Ecken und Enden der Welt geschossen, gebombt und gemordet wird, und zwar unter Beteiligung der größten Mächte, sollte Kindern nicht ganz selbstverständlich vorgeführt werden, dass Krieg etwas Alltägliches ist – sogar im Reich der Tiere –, und auch nicht, dass ihm mit einem Bluff beizukommen wäre. Und gern möchte ich den Berichten Glauben schenken, dass einige englische Büchereien das Buch nach ebensolchen Überlegungen aussortiert haben. Im Konzert jedoch vertreibt eine List des schlauen Babar die Feinde. Friede, Freude, Eierkuchen.

 

Diese Story hat sich vor 85 Jahren in Frankreich Mama Cécile als Gute-Nacht-Geschichte für ihre drei Söhne ausgedacht, und Papa Jean de Brunhoff, ein Maler, hat sie unbekümmert bebildert. Das gefiel – und so ist eine Fortsetzungsreihe der elefantastischen Abenteuer entstanden, in der Tiere wie Menschen gekleidet sind und wie ihre Vorbilder denken und handeln. Daraus haben sich längst zahlreiche Trickfilmer und Fernsehschaffende bedient. Und auch die sogenannten Musikvermittler, denen immer wieder originelle Ideen für Kinderkonzerte, Schulworkshops und »Projekte« abverlangt werden, griffen zu – und zumeist nach den Noten, mit denen der französische Pianist und Komponist Francis Poulenc das erste Buch »L'Histoire de Babar, le petit éléphant« garniert hatte. Auf die zwischen 1940 und 1945 entstandene (kostengünstige) Klavierfassung stützten sich beispielsweise mehrere Aufführungen im Konzerthaus Berlin seit 2011 – nächste Wiederholung des »musikalischen Theaters mit Puppen und Objekten für eine Spielerin und eine Pianistin« am 25. und 26. März 2017 – und auch das Schulkonzert des Deutschen Symphonie-Orchesters im Februar des Jahres.

 

Die Berliner Philharmoniker haben's selbstverständlich eine Nummer größer als die Kollegen: Ihr dem »Babar auf Reisen« gewidmetes Familienkonzert bot »eine musikalische Nachzeichnung« des amerikanischen Komponisten Raphael Mostel – eine europäische Erstaufführung. Und die Präsentation der Brunhoffschen Originalzeichnungen auf drei Leinwänden oberhalb der Ränge war gar eine Weltpremiere. Mit im Spiel waren acht klassische Instrumente, denen unter anderem Donnerblech, Trillerpfeife, Regenrohr und Heulschläuche assistierten, dazu Mitglieder des Orchesters und Stipendiaten der Orchesterakademie, Stanley Dodds, der wieder einmal seine Geige mit dem Dirigentenstab getauscht hatte, sowie der bewährte Erzähler Hans-Jürgen Schatz. Sie meisterten ihre Aufgaben souverän und bekamen verdienten Beifall. Die Posaune gab dem Wal die tiefe Stimme, die Celesta imitierte das Stimmchen der Braut, das Cello brummte wie ein Nashorn. Und so weiter. Stieg der Heißluftballon, kletterten sämtliche Töne munter die Tonleiter rauf. Wurde das Geschehen dramatisch, wurde es die Musik auch. Das alles gefiel den Ohren, im Kopf hängen blieb es nicht. Wahrscheinlich, weil die Zuhörer nicht so viele kleine graue Zellen haben wie ein Elefant. Und der Wiedererkennungseffekt, den beispielsweise Prokofjew in »Peter und der Wolf« immer parat hat, blieb leider aus.

 

Als Genießer künstlerischer Leistungen kann ich mir kaum vorstellen, dass »im Westen« ein Mangel an Stoffen für Kinder- und Familienkonzerte herrscht, und alle Educationteamworker auf wenige Vorlagen angewiesen sind. Und ich grübele, warum noch niemand erwogen hat, die wunderbaren Märchen der slawischen Völker oder die vielgeliebten Kinderbücher und -filme der DDR zu vertonen beziehungsweise Kompositionsaufträge zu vergeben und sein Publikum damit bekannt zu machen. In Konzertsälen gibt es keinen Eisernen Vorhang, in den Köpfen jedoch noch immer.

 

Und deshalb wird hier Schluss gemacht. Nicht geschimpft ist genug gelobt.