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Titel072013

Feindbild Roma  (Ulla Jelpke)

»Sie kommen aus einer archaischen Welt. Väter haben keine Hemmungen, ihre Kinder zum Anschaffen und Stehlen statt zur Schule zu schicken. Sie schlagen ihren Frauen die Zähne aus, gönnen sich selbst Stahlzähne. Viele jungen Roma-Männer schmelzen sich mit Klebstoffdünsten das Gehirn weg.« – Diese Zeilen über Roma-Einwanderer aus Rumänien und Bulgarien sind nicht etwa einem Flugblatt der NPD entnommen, sondern stammen von der Website des SPD-Politikers Martin Korol, Abgeordneter der Bremer Bürgerschaft.

Mit seiner Hetze steht der Sozialdemokrat nicht allein. Vor allem Unionspolitiker sind fest entschlossen, die angeblich massive Armutsmigration von Sinti und Roma aus Rumänien und Bulgarien zum Thema im Bundestagswahlkampf zu machen. Am immer wiederkehrenden Beispiel einiger weniger Kommunen – Berlin-Neukölln, Dortmund, Duisburg und Mannheim – suggerieren Medien und Unionspolitiker, es fände bereits eine massive und bedrohliche Armutsmigration von Roma aus Rumänien und Bulgarien nach Deutschland statt. »Wir werden in den kommenden Wochen und Monaten mit den Menschen in den von ungesteuerter Zuwanderung betroffenen Städten intensiv darüber reden müssen, ob wir, wie SPD und Grüne hier im Deutschen Bundestag, uns weiter hilflos einer ungesteuerten Zuwanderung gegenübersehen oder ob wir endlich handeln und geeignete Maßnahmen ergreifen, um Integrationspolitik erfolgreich in Deutschland durchsetzen zu können und ungesteuerte Zuwanderung zu verhindern«, drohte der CDU-Abgeordnete Reinhard Grindel im Bundestag an. »Gerade angesichts des ungesteuerten Zustroms von Roma und Sinti und sonstigen Bürgern aus Rumänen, Bulgarien und anderen EU-Ländern wäre eine solche Ballung von Problemen, die uns integrationspolitisch vor eine nicht zu bewältigende Herausforderung stellen, eine völlige Fehlentwicklung.«

Beweisen läßt sich die Behauptung über einen massiven »Armutstourismus« aus Bulgarien und Rumänien nicht. Tatsächlich besteht die Migration aus diesen Ländern nur zu einem geringen Teil aus Menschen, die vor elenden sozialen Verhältnissen und als Roma vor rassistischer Diskriminierung und Mobilmachung neofaschistischer Gruppierungen fliehen. Laut Bundesagentur für Arbeit sind 2012 rund 176.000 Menschen aus beiden Ländern eingewandert, 88.000 kehrten gleichzeitig in ihre Heimat zurück. Es handelt sich bei den Zuwanderern in erster Linie um Saisonarbeitskräfte, die gar nicht das ganze Jahr in der Bundesrepublik verbringen, sowie um Akademiker, Facharbeiter und Studenten. Ende 2012 waren knapp 100.000 Rumänen und Bulgaren in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigt und zahlten Beiträge. Nach Angaben des Rheinisch-Westfälischem Instituts für Wirtschaftsforschung arbeiten 80 Prozent der Bulgaren und Rumänen, die seit dem EU-Beitritt 2007 nach Deutschland kamen. 46 Prozent sind qualifiziert und 22 Prozent sogar hoch qualifiziert. Die Zahl der arbeitslosen Rumänen und Bulgaren in Deutschland ist dagegen geringer als im Durchschnitt der migrantischen Bevölkerung.

Ungeachtet dieser Zahlen hat Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) mit seinem Veto auf dem Treffen der EU-Innenminister im März die Aufnahme von Bulgarien und Rumänien in den Schengen-Raum verhindert. Wer nur nach Deutschland komme, um »Sozialhilfe zu kassieren, muß wieder gehen«, verkündete der Bundesinnenminister und forderte EU-Gesetze, um diejenigen, die »wir rausgeschmissen haben wegen Betrugs oder versuchten Betrugs« durch eine »Wiedereinreisesperre« dauerhaft außerhalb der Bundesrepublik halten zu können.

Dagegen mußte selbst die EU-Kommission am 7. März klarstellen, daß sie keine Maßnahmen zur Eindämmung von »Sozialtourismus« beabsichtige, weil es einen solchen gar nicht gebe. Es handle sich vielmehr »um ein Wahrnehmungsproblem in manchen Mitgliedsstaaten, das keine Grundlage in der Wirklichkeit hat«, erklärte ein Sprecher der Kommission wohl mit Blick auf Deutschland.

Wo offizielle Zahlen fehlen, wird an niedere Instinkte appelliert, um die gewünschte Wahrnehmung zu erzeugen. Eine Reportage der Bild-Zeitung aus einem »Roma-Haus« in Berlin bedient so rassistische Klischees: »Kaputte Möbel, zertretene Türen, beißender Urin-Gestank. [...] Wie viele Menschen wirklich in dem Roma-Haus leben[,] kann niemand sagen. Männer, Frauen, Kinder, Schwangere, Babys, Behinderte, Alte – im Treppenhaus herrscht ständiges Chaos und Gebrüll. Menschen ziehen aus, Menschen ziehen ein. In einigen Zimmern liegen bis zu zehn verranzte Matratzen nebeneinander.«

Mittlerweile sind auch die Rassisten der rechtsextremen Kleinpartei ProNRW auf die romafeindliche Kampagne aus der Mitte der Gesellschaft aufgesprungen. Sie wollen direkt vor Flüchtlingsheimen in Nordrhein-Westfalen gegen »massenhaften Asylmißbrauch und Asylbetrug« protestieren.

Dieses Zusammenspiel von Scharfmachern aus den etablierten Parteien, Rechtsextremen und der Springerpresse erzeugt ein brandgefährliches Gebräu.