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Titel718

Aus dem Leben eines Mieters  (Wolfgang Haible)

Ich wohne in einem Haus, das gehörte einmal einem gemeinnützigen Verein, der von gutmeinenden Bürgern gegründet worden war zum Wohle der arbeitenden Klassen. Ziel war, die Arbeiter an bürgerliche Wohnformen zu gewöhnen und eine Verbesserung der hygienischen Verhältnisse herbeizuführen, da ja Bakterien und Viren noch nicht nach Klassen unterscheiden. (Genau genommen tun sie beziehungsweise ihre Wirkung es doch, aber das ist eine andere, auch wiederkehrende Geschichte.)

 

Das ist wie die »Neue Heimat« lange her. Nun heißt der Verein anders, sozial ist er noch bedingt, wobei es ja schon sozial ist, Wohnungen im unteren Preissegment zu bauen und zu vermieten!

 

Jetzt stehen bei mir zwei Wohnungen leer. Ausziehen sollte ich ursprünglich, damit man das alte Haus renovieren kann. Das ist zwar mühsam, aber durchaus notwendig und sinnvoll. Den Mietern im Erdgeschoss war rasch eine akzeptable Ersatzwohnung angeboten worden, die diese dann auch bezogen. Die Mieterin in der Mitte war vor kurzem woanders hingezogen, in himmlische Gefilde.

 

Nun wartete ich also auf eine Ersatzwohnung. Die Zuständige des Hauseigentümer-Vereins empfahl mir, sie ab und an zu erinnern, dass ich eine Wohnung suche. Da kam mir ein Verdacht.

 

Die zwei freien Wohnung sollen nun einer Baufirma beziehungsweise deren Sub-Unternehmen zur Verfügung gestellt werden; die Sub-Firma (= Sub-Verantwortung; weit verbreitet heute) will ihre polnischen Bauarbeiter dort einziehen lassen, maximal acht pro Wohnung. Also in zwei kleine Wohnungen, circa 60 Quadratmeter, drei Zimmer. Das ist sicher eine höhere Belegung von Menschen pro Quadratmeter als sie für Hunde zulässig wäre. Der »Verein« schafft also jene Verhältnisse neu, zu deren Beseitigung er einst gegründet wurde. Aber halt: Heute haben die Vermieter dabei ein gutes Gewissen, denn das ist doch besser, als zum Beispiel in einem Männerwohnheim oder in Containern zu wohnen. Und hier werden keine Wuchermieten genommen.

 

Da ich nicht weiß, was auf mich zukommt, bin ich zum Mieterverein gegangen, in dem ich Mitglied bin. Das ist, früher hätte man gesagt eine Vorfeldorganisation der SPD, was sich nicht nur in der personellen Verstrickung zeigt, sondern auch in ihrer Publikation – besonders zu Wahlkampfzeiten. Das ist nun noch nicht ganz schlimm. Oder doch? Denn diese Partei hat doch jene Gesetze mit beschlossen, vor deren Folgen uns der Mieterverein dann schützen soll. Insofern war der Besuch dort nach zwei Minuten erledigt: Kann man nichts machen.

 

Nun, fragt sich der Leser, was hätte ich überhaupt wollen? Dass man die armen Bauarbeiter in Container sperrt? Ich hoffte wohl, ich könne irgendwie den Vermieter motivieren/zwingen, mir rasch eine Ersatzwohnung anzubieten, dann hätten die Bauarbeiter auch mehr Platz! Aber, wie gesagt, nichts! Der Rechtsanwalt wirkte am hellen Morgen schon etwas schwitzig, ist wohl ansonsten toll engagiert. Gern lehnte er sich weit nach hinten, wohl um seinen Bauch zu umfassen und ihn zu streicheln. Oder noch »psychologischer«: Abstand zu gewinnen? Auf die Idee, den Sachverhalt politisch zu analysieren, kam er nicht. Das ist eben das Elend der Sozialdemokraten.

 

Auch das wäre eine Aufgabe einer kommunistischen Partei, wenn es wieder einmal eine gibt, die Lebensbedingungen und die Heuchelei der »Zuständigen« aufs Korn zu nehmen und kollektiven Protest zu organisieren.

 

Um meine Stimmung wieder zu heben, lud ich daraufhin einen befreundeten Hartz-IV-Empfänger zum Essen ein. Freilich, dessen Hauptsorge und Thema war die Migration, nicht der Kampf gegen das »Kapital«. Ihm gefällt manches, was von der AfD kommt, aber auch manches aus anderen Parteien, die Linke wählt er wegen ihrer Forderung nach offenen Grenzen nicht mehr, trotz Sympathien für Sahra Wagenknecht. Politik wie im Supermarkt – mal von hier, mal von da was mitnehmen. Klassenbewusstsein wäre dagegen, den Zusammenhang, das Klasseninteresse herauszufinden und sich entsprechend zu verhalten und zu verorten.

 

Die Bauarbeiter, die ins Haus kommen, sprechen meine Sprache nicht. Mit großer Spannung werden wir verfolgen, ob wir eine gemeinsame finden. Kam nicht Rosa Luxemburg aus Polen? Ja, irgendein Papst auch ...

 

Und der Verdacht? Das können Sie sich ja denken!